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       # taz.de -- Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen: Investition in den sozialen Frieden
       
       > Weniger harte Sanktionen bei Hartz-IV – schürt das nicht Ungerechtigkeit?
       > Mag sein, aber ein Sozialstaat muss das aushalten.
       
   IMG Bild: Proteste am 2. Mai in Berlin, dem internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen
       
       Endlich hat das Bundesverfassungsgericht dem Sanktionsirrsinn bei Hartz IV
       Grenzen gesetzt, [1][teilweise zumindest]. Wer sich weigert, einen
       bestimmten Job anzunehmen, muss künftig nicht mehr damit rechnen, dafür so
       heftig bestraft zu werden, dass er vielleicht nicht einmal mehr Geld für
       Essen hat. Oder sogar aus der Wohnung fliegt, weil das Jobcenter nicht mehr
       für die Miete aufkommt. Machen wir uns nichts vor: Die Macht von
       Jobcenter-Mitarbeiter*innen gegenüber Bedürftigen ist immens hoch, [2][sie
       entscheiden über die Existenz von Menschen] – und die ihrer Angehörigen, in
       vielen Fällen über die von Kindern.
       
       Das Urteil ist auch aus psychologischer Sicht zu begrüßen. Aus zahlreichen
       Studien ist seit Jahren bekannt: Druck bewirkt eher das Gegenteil dessen,
       was er erzeugen soll. Man kennt es doch selbst aus eigener Erfahrung: Wem
       gedroht wird, der reagiert mit Gegenwehr. Wer mit Hartz-IV-Empfänger*innen
       spricht, hört häufig Sätze wie: „Die da im Jobcenter üben Willkür aus, sie
       hören mir gar nicht richtig zu. Ich will ja arbeiten, aber nicht das tun,
       was sie mir aufzwingen.“ Wer so negativ motiviert wird, begibt sich eher in
       die innere Emigration [3][statt in die selbstständige (Job-)Offensive].
       
       Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es Menschen gibt, die nicht
       arbeiten wollen – aus welchen Gründen auch immer. Die sich in die „soziale
       Hängematte legen“, um mal ein klischiertes Narrativ zu bedienen. Ja, diese
       Menschen leben auf Kosten der Gesellschaft. Und ja, sie in diesem Habitus
       zu unterstützen, regt berechtigterweise auf. Vor allem jene, die sich Tag
       für Tag abrackern, manche sogar für sehr wenig Geld und [4][eine mickrige
       Rente]. Doch Menschen, die weniger am Gemeinwohl und mehr am eigenen
       Vorteil interessiert sind, wird es immer geben – ob mit oder ohne
       Sanktionen.
       
       Die Frage, die hierbei im Raum steht: Darf der Staat das legitimieren? Darf
       er eine neue Ungerechtigkeit aufbauen, indem er eine andere abbaut – und
       nichts anderes tut er, indem er die Hartz-IV-Sanktionen abmildert? Aber ein
       Sozialstaat, der Deutschland immer noch ist, muss das aushalten. Es ist
       eine Investition in den sozialen Frieden.
       
       Eine echte sozialstaatliche Konsequenz – und das Ende aller
       Sanktionsdebatten – wäre indes das bedingungslose Grundeinkommen. Eine
       finanzielle Zuwendung in Höhe des Existenzminimums für alle hat vor allem
       einen Effekt: Ohne Behördendruck und Angst vor drohendem Existenzaus ist
       nun tatsächlich jede und jeder selbst dafür verantwortlich, wie gut es
       einer und einem geht. Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – und
       dafür mit weniger auskommen.
       
       Die Zahl derer, die ausschließlich vom Grundeinkommen leben, dürfte
       allerdings gering sein. Erfahrungen des Projekts „Bedingungsloses
       Grundeinkommen“, das seit einiger Zeit 1.000 Euro für zwölf Monate verlost,
       besagen nämlich, dass die Gewinner*innen so weiterleben wie zuvor. Aber es
       geht allen besser, vor allem psychisch.
       
       5 Nov 2019
       
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