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       # taz.de -- Förderungs-Lücken: Betreuungsförderung frisst Bafög
       
       > Ein Stipendium soll Bremer Studentinnen in Betreuungs- und
       > Pflegeverantwortung entlasten. Es profitieren aber nur jene davon, die
       > kein Bafög erhalten.
       
   IMG Bild: Doppelbelastung, die nicht ausgeglichen wird: Wer ein Kind hat, studiert meist länger
       
       BREMEN taz | Architekturstudentin Marina Kaiser hat doppeltes Glück: Zum
       einen, weil sie seit August für zwei Jahre ein Stipendium in Höhe von 150
       Euro monatlich bekommt und zum anderen, weil sie kein [1][Bafög] erhält.
       Wäre nämlich Letzteres der Fall, hätte sie nichts mehr von ihrem
       Stipendium.
       
       Ausgelobt hatte [2][die Förderung der Deutsche Akademikerinnenbund Bremen
       (DAB) im März]: Es richtet sich an Studentinnen in Sorge- und
       Pflegeverantwortung, also an Mütter oder jene, die Angehörige pflegen
       müssen. Das Geld, gestiftet von einem DAB-Mitglied, reicht für zwei
       Stipendien, von denen eines nun vergeben ist.
       
       Anders als nahezu alle anderen Stipendien ist die Zuwendung mit voller
       Absicht nicht zweck- oder leistungsgebunden, sondern soll für eine
       ausgewogenere Balance zwischen Studium und Privatleben sorgen: „Die
       Studentinnen fallen durch sämtliche Raster, sie sind strukturell
       benachteiligt und können die Bedingungen für andere Stipendien aufgrund
       ihrer Mehrfachbelastung nicht leisten“, sagt Heike Mühldorfer vom DAB.
       
       Das kann die 38-jährige Marina Kaiser nur bestätigen: Sie studiert seit
       fünf Jahren Architektur und hat für ihren Bachelor ein Jahr länger
       gebraucht, weil sie bereits ein Kind hatte und nebenbei arbeiten musste.
       Mittlerweile hat sie zwei Kinder und ist im dritten Semester ihres
       Masterstudiums: „Ich war finanziell abhängig von meinem Mann. Als er
       arbeitslos wurde, habe ich sehr große Angst gehabt, mein Studium abbrechen
       zu müssen.“
       
       ## 150 Euro wären ein Tag Arbeit
       
       Sie bewarb sich um das [3][DAB-Stipendium] – als eine von 40 Bewerberinnen.
       „Die 150 Euro sind für mich wie ein Lottogewinn“, sagt sie. Für das Geld
       hätte sie mindestens einen vollen Tag in der Woche arbeiten müssen: „Den
       habe ich jetzt für die Kinder und fürs Studium.“
       
       Alle 40 Studentinnen, die sich um das Stipendium beworben haben, hätten es
       verdient, sagt Andrea Buchelt vom DAB – deswegen habe schließlich das Los
       entschieden: „Da gab es eine Bewerberin, die regelmäßig von Bremen nach
       Essen fährt, um dort ihre Eltern zu pflegen.“ Und eine andere habe
       geschrieben, sie würde sich von dem Stipendium einmal im Monat einen
       Babysitter leisten, um tanzen zu gehen: „Die Bewerbungen waren teilweise
       richtiggehend herzzereißend“, sagt Buchelt.
       
       Was der DAB zum Zeitpunkt der Stipendiums-Vergabe nicht wusste: Die 150
       Euro werden voll auf das Bafög angerechnet. „Als wir das erfuhren, haben
       wir erfolglos versucht, beim Bafög-Amt Auskunft darüber zu bekommen“, sagt
       Buchelt. Man sei nicht zuständig, habe man lediglich gesagt.
       
       In der Tat handelt es sich beim Bafög um ein Bundesgesetz laut dem
       Stipendien nur dann nicht verrechnet werden, wenn sie begabungs- und
       leistungsabhängig vergeben wurden. „Dabei erbringen diese Frauen durch ihre
       Pflege- und Betreuungstätigkeiten doch Leistungen!“, sagt Mühldorfer.
       
       ## Stipendium schließt Lücke
       
       Das DAB-Stipendium sei immens wichtig, sagt Barbara Rinken,
       Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule: „Wir haben sehr viele
       studierende Eltern in unserer Beratung und das Thema Armut ist vor allem
       bei alleinerziehenden Studierenden extrem ausgeprägt.“ Es gebe an der
       Hochschule zwar einen Soli-Fonds für studierende Eltern in Notlagen, „da
       gibt es aber nur eine einmalige Hilfe und auch nur dann, wenn’s wirklich
       brennt.“ Das Stipendium schließe eine Lücke.
       
       Der DAB hat jetzt über seinen Bundesverband eine Initiative zur Änderung
       des Bafög gestartet. „Dass Studentinnen in Pflege- und
       Bettreuungsverantwortung dort keine Berücksichtigung finden, ist klassisch
       für unser patriarchalisches Gesellschaftssystem, sagt Buchelt.
       
       6 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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