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       # taz.de -- Entschädigung ehemaliger Heimkinder: Warten auf die Anerkennung
       
       > Die Linksfraktion möchte vom Bremer Senat wissen, wie die Entschädigung
       > von ehemaligen Heimkindern läuft. Ein Bremer klagt bereits seit neun
       > Jahren.
       
   IMG Bild: Ehemalige Heimkinder protestierten bereits 2010 gegen Missbrauch in Kinderheimen
       
       Bremen taz | Vor dem Bremer Sozialgericht klagt D. nun schon seit neun
       Jahren. Er kämpft um Anerkennung für das, was ihm vor vielen Jahrzehnten
       zugestoßen ist: Als Heimkind sei er unzählige Male vergewaltigt worden,
       erzählt er. Zudem sei er in Ketten gelegt worden und stark unterernährt
       gewesen. „Bisher wurde ich aber nicht entschädigt“, so D. (Name ist der
       Redaktion bekannt).
       
       D.s Gegner im [1][Prozess nach dem Opferentschädigungsgesetz], der
       zuständige Landesverband Westfalen-Lippe, versuche mit Gutachten zu
       widerlegen, dass er immer noch unter den Misshandlungen leide. Auch sein
       öffentliches Engagement werfe ihm die Gegenseite vor sowie kriminelle
       Handlungen im Erwachsenenalter. Sein Prozess verzögert sich weiter.
       
       Der „schockierende Fall“ von D. sei, so Jan Restat, wissenschaftlicher
       Mitarbeiter der Linksfraktion, der Anlass für eine [2][Anfrage, die die
       Fraktion jetzt an den Senat gestellt hat] – sie will wissen, ob noch andere
       Bremer vom langen Warten auf ein Urteil betroffen sind. „In den 50er- und
       60er-Jahren wurden mehrere Hunderttausend Kinder in Heime und Psychiatrien
       eingewiesen, häufig unter heute nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen“,
       heißt es dort. In vielen Heimen sei es zu schweren seelischen und
       körperlichen Misshandlungen gekommen.
       
       [3][Das Opferentschädigungsgesetz] von 1985 soll Menschen, die irgendeine
       Form von Gewalt erfahren haben, Entschädigung bieten. Laut einer Sprecherin
       des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erhalten dadurch derzeit
       23.777 Menschen monatliche Geldleistungen.
       
       ## Die Hürden sind hoch
       
       Doch wer seinen Anspruch über das Gesetz geltend machen möchte, muss neben
       der Gewalttat oder Misshandlung selbst eine andauernde gesundheitliche
       Belastung und ihren Zusammenhang zur Tat nachweisen. Bleibt eine Einigung
       aus, kommt der Fall vor Gericht. Und selbst, wenn Kläger*innen gewinnen,
       kann mit einer Revision der Beklagten die Zahlung der Entschädigung über
       Jahre hinausgezögert werden – bis ein neues Urteil gefällt ist.
       
       D. glaubt, dass er in Bremen kein Einzelfall ist. Beim Verein ehemaliger
       Heimkinder hilft er anderen Betroffenen bei der Antragstellung – und
       stellte dabei wiederholt große Verzögerungen fest. Wird ein Antrag vom
       zuständigen Landesverband abgelehnt, beginne mit der Einlegung einer
       Beschwerde die „Gutachter-Schlacht“, so D. Die Gutachten der Gegenseite
       kämen aus den eigenen Reihen – oft Besitzern der Heime und Psychiatrien, in
       denen früher Kinder misshandelt wurden. So würde versucht, den Anspruch der
       klagenden Person zurückzuweisen.
       
       „Nicht selten sterben die Kläger, bevor der Prozess abgeschlossen ist“,
       sagt D. Die meisten von ihnen seien zu Beginn über 60. „Wenn ein Prozess 18
       Jahre dauert, kann man sich das ausrechnen.“ Sein Vorwurf: „Der Staat
       möchte gar nicht entschädigen, und durch die Verzögerungen bringt man Leute
       gewollt um ihren Anspruch.“
       
       Im Antrag fragt die Fraktion, wie viele Anträge auf Entschädigung nach dem
       Opferentschädigungsgesetz von ehemaligen Heimkindern seit dem Jahr 2000 an
       Bremer Gerichten gestellt wurden und wie lange die Verfahren dauern.
       Abgefragt wird auch die Anzahl der Urteile und der Revisionen. Und
       schließlich möchte die Linke in Erfahrung bringen, wie viele
       Gerichtsverfahren mit dem Tod des Antragsstellenden vorzeitig endeten. Laut
       einem Senatssprecher soll bis Mitte November eine Antwort vorliegen.
       
       D. ist schwer krank. „Ich würde sehr unbefriedigt ins Grab gehen, wenn ich
       bis dahin kein Urteil habe.“ Es komme ihm dabei weniger auf das Geld,
       sondern vielmehr auf den Schuldspruch an. „Sollte ich Recht bekommen, ist
       das ein richtungsweisendes Urteil, was auch anderen Menschen mit einer
       ähnlichen Geschichte helfen kann.“ Er hat inzwischen in allen anderen
       Landesparlamenten selbst um Auskünfte über die Anträge auf Entschädigung
       gebeten.
       
       20 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kindesmissbrauch-in-Institutionen/!5472194
   DIR [2] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2019-10-08_Drs-20-97_cf1cf.pdf
   DIR [3] https://www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-Sicherung/Soziale-Entschaedigung/Opferentschaedigungsrecht/oeg.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Götz
       
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