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       # taz.de -- AfD bei der Thüringen-Wahl: Die Macht des „Flügels“
       
       > Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke ist zugleich Galionsfigur der
       > parteiinternen extrem rechten Strömung. Der starke Mann im „Flügel“ ist
       > er nicht.
       
   IMG Bild: Björn Höcke am Wahlabend im Fernsehstudio
       
       Björn Höcke scheint der eigentliche Sieger des Wahlabends in Thüringen zu
       sein. Er hat das Ergebnis der AfD im Vergleich zur Landtagswahl 2014
       verdoppelt und [1][sie auf Platz 2 vor der CDU] bugsiert. Auf der Wahlparty
       der Partei am Sonntagabend in der Gasttätte „Hopfenberg“, wo früher auch
       schon mal die CDU gefeiert hat, haben seine AnhängerInnen ihn dafür mit
       viel Applaus und „Höcke, Höcke“-Rufen gefeiert. In Reihe hat sich die
       AfD-Spitze im Fernsehen vor Höcke gestellt – Parteichef Alexander Gauland
       sprach gar davon, Höcke, den man mit richterlichem Segen als „Faschist“
       bezeichnen kann und der einem Teil der AfD maßgeblich die Beobachtung durch
       den Verfassungsschutz eingebracht hat, sei „die Mitte der Partei“. Ob
       Gauland die mögliche Tragweite dieser Aussage bis zu Ende gedacht hat, kann
       man bezweifeln. Sie dürfte sich im nächsten AfD-Bericht des
       Verfassungschutzes wiederfinden.
       
       Der Wahlabend in Thüringen hat andererseits auch gezeigt: Mit Höcke, dem
       vermeintlichen Superstar am rechten Rand der AfD, kann die Partei nicht in
       neue Dimensionen vorstoßen. Das Ergebnis in Thüringen bleibt klar hinter
       dem in Sachsen zurück, wo die AfD im September 27,5 Prozent geholt hat. Und
       das mit einem blassen, bis zur Wahl weitgehend unbekannten
       Spitzenkandidaten, der den sächsischen Landesverband erst führt, seitdem
       die ehemalige Parteichefin Frauke Petry 2017 die AfD verlassen hat. Höcke
       dagegen ist seit vielen Jahren das Gesicht der Thüringer AfD und durch
       seine rechtsextremen Einlassungen auch weit über das Bundesland hinaus
       bekannt. Seine Beliebtheitswerte aber liegen dramatisch unter denen der
       Partei. Seinen Wahlkreis im Eichsfeld hat er nicht geholt.
       
       Zudem: Mit Höcke an der Spitze ist eine Regierungsbeteiligung der AfD
       ausgeschlossen. Das mag ihn selbst, der gern vom Systemwechsel raunt und
       Umsturzfantasien nährt, nicht wirklich stören. Für viele in der AfD, auch
       für die beiden Vorsitzenden, wäre das aber der folgerichtige nächste
       Schritt auf dem Siegeszug der Partei. Zumal es in Thüringen, lässt man
       Höcke und einige fehlende Prozentpunkte einmal außen vor, mit der starken
       Linkspartei grundsätzlich eine Konstellation gibt, von der manche
       AfD-Strategen träumen: dass die CDU nämlich vor der Frage steht, ob sie mit
       der AfD oder mit „den Kommunisten“ gemeinsame Sache macht. Mit [2][einem
       „Drecksnazi“], wie CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring Höcke genannt hat, aber
       kann man das nicht.
       
       Und so könnte Höckes bislang größter Wahlerfolg ihn gleichzeitig in seine
       Schranken weisen: dass über Thüringen und den rechten Rand der AfD hinaus
       nämlich sein Einfluss beschränkt bleibt.
       
       Denn es stimmt zwar: Durch die drei sehr erfolgreichen Landtagswahlen in
       Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird der Einfluss der ostdeutschen
       Landesverbände und des „Flügels“ , wie sich die extrem rechte
       innerparteiliche Strömung nennt, in der Partei insgesamt gestärkt. Etwa ein
       Drittel der Parteimitglieder werden dem „Flügel“ zugeordnet.
       
       In allen drei Ländern standen „Flügel“-Männer an der Spitze, auch sind die
       Landesverbände in Thüringen und Brandenburg stramm auf „Flügel“-Kurs. Doch
       diese Konsequenz gilt nicht unbedingt für [3][die Person Björn Höcke].
       
       Der ist zwar die Galionsfigur des „Flügels“, der Fan-Artikel mit seinem
       Konterfei vertreibt, darunter Kaffeetassen und Baumwollbeutel mit der
       Aufschrift „Geht aufrecht“. Aber der starke Mann im „Flügel“ ist Höcke
       nicht. Auch innerhalb der Strömung wächst die Kritik. Fahneneinzug beim
       Kyffhäusertreffen, bei dem sich der „Flügel“ alljährlich selbst feiert, ein
       Video über „den Menschen Björn Höcke“, die Verleihung des silbernen
       „Flügel“-Abzeichens für besonders treue Dienste – dieser Personenkult geht
       auch einem Teil der „Flügel“-AnhängerInnen zu weit. Und so mancher meint,
       man sollte die gemeinsamen Inhalte vielleicht doch lieber etwas gefälliger
       formulieren.
       
       Hinzu kommt: Höcke ist keiner, der Mehrheiten organisiert. Eher schart er
       seine Fans um sich – und sonnt sich in dem Kult, der um ihn entstanden ist,
       und der Begeisterung, die er entfachen kann. Dass er dabei seinen Einfluss
       überschätzt, einige sprechen gar von „Größenwahn“, meint so mancher in der
       Partei.
       
       ## Kalbitz, nicht Höcke
       
       Der Mann, der im „Flügel“ das Sagen hat, der die Strippen zieht und den
       Einfluss der Strömung in der Gesamtpartei immer weiter ausbaut, ist nicht
       Björn Höcke. Es ist Andreas Kalbitz, der Brandenburger Landeschef mit
       rechtsextremer Biografie. Insofern war es fast anmaßend, als Höcke auf dem
       Kyffhäusertreffen Anfang Juli unter dem Jubel seiner AnhängerInnen den
       Bundesvorstand der Partei frontal anging. „Ich werde mich mit großer
       Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstands hingeben“, kündigte er an. Und
       dass die Parteispitze in der aktuellen Zusammensetzung nicht wiedergewählt
       würde.
       
       Darauf hagelte es Kritik derer, die sich in der AfD als gemäßigt sehen.
       Einige von ihnen, darunter Uwe Junge, Parteichef in Rheinland-Pfalz,
       forderten Höcke gar auf, bei den Bundesvorstandswahlen Ende November
       anzutreten. „Ich bin mir sicher, er wird scheitern“, sagte Junge der FAS.
       Dass Höcke dieses Risiko eingehen wird, halten viele für unwahrscheinlich.
       
       Auffällig aber ist, dass die mehr als hundert AfDler vor allem aus dem
       Westen, die Höcke nach dem Kyffhäusertreffen in einem Appell „Für eine
       geeinte und starke AfD“ öffentlich kritisierten, dies nur mit Bezug auf
       seinen Stil und seine Rhetorik taten, nicht aber wegen seiner Inhalte. Dies
       wäre ein Angriff auf den gesamten „Flügel“ gewesen, der Höckes Inhalte
       weitgehend teilt. Mit dem „Flügel“ aber wollen es sich die meisten in der
       Partei nicht verscherzen.
       
       Zum einen wissen alle, dass der große Erfolg der AfD genau darin begründet
       ist, dass die Partei WählerInnen von der Mitte bis weit ins rechtsextreme
       Lager hinein anspricht. Bricht eine Seite weg, ist es mit dem Höhenflug
       vorbei. Zudem ist der Einfluss des „Flügels“ innerhalb der AfD inzwischen
       so groß, dass gegen ihn parteintern keine Mehrheiten zu gewinnen sind. Wer
       in der Partei etwas bleiben oder werden will, sollte sich also besser nicht
       mit ihm anlegen. Das dürfte auch die Antworten mancher Parteifunktionäre am
       Wahlabend im Fernsehen erklären.
       
       28 Oct 2019
       
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