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       # taz.de -- Flüchtlingscamps in Frankreich: Polizei räumt Zeltstädte in Paris
       
       > Wieder werden Camps geräumt. Die Regierung wolle so Härte gegenüber
       > Flüchtlingen zeigen, sagt Flüchtlingshelfer Yann Manzi.
       
   IMG Bild: Donnerstagmorgen in Saint-Denis im Norden von Paris
       
       Paris taz | Monatelang hausten Hunderte Flüchtlinge an der Porte de la
       Chapelle im Norden von Paris in Igluzelten und unter Plastikplanen. Doch am
       Donnerstag ging es plötzlich ganz schnell: Ab drei Uhr morgens bekamen die
       ersten Bewohner der Zeltstadt unter der Ringautobahn Périferique die
       Aufforderung, im strömenden Regen ihre notdürftigen Unterkünfte zu
       verlassen. Als es hell wurde, zeigte das französische Fernsehen ein
       heilloses Durcheinander aus Zelten, Matratzen und Schlafsäcken.
       
       Die Flüchtlinge waren in Bussen weggebracht worden, begleitet von 600
       Polizisten. Polizeipräfekt Didier Lallement warnte die Menschen aus
       Afghanistan, Somalia, dem Sudan, Eritrea und anderen afrikanischen Staaten
       davor, ihre Lager wieder unter der Brücke aufzuschlagen. „Wir werden das
       Gelände halten und mit zahlreichen Patrouillen überwachen“, kündigte er an,
       als handele es sich um einen Armeeeinsatz.
       
       „Die Räumung soll zeigen, dass die Regierung hart gegenüber den
       Flüchtlingen ist“, sagt Yann Manzi von der Hilfsorganisation Utopia 56 der
       taz. Nicht zufällig sei die Aktion einen Tag nach Ankündigung einer neuen,
       harten Linie in der Flüchtlingspolitik erfolgt. So sollen Asylbewerber erst
       drei Monate nach ihrem Antrag zum Arzt gehen können. Nach Ablehnung ihres
       Antrags gilt die Krankenversicherung für sie nur noch sechs statt wie
       bisher zwölf Monate. Die Regierung will so einen „Behandlungstourismus“
       bekämpfen.
       
       „Wir müssen die Kontrolle über unsere Einwanderungspolitik zurückgewinnen“,
       hatte Premierminister Edouard Philippe angekündigt und gleichzeitig 16.000
       Unterkünfte versprochen. Die sollen nicht nur für die Flüchtlinge in Paris
       geschaffen werden, sondern auch für die entlang der Kanalküste, die auf
       eine heimliche Überfahrt nach Großbritannien hoffen.
       
       ## Die 59. Räumung seit Sommer 2015
       
       Das Flüchtlingslager in der Hafenstadt Calais, rund 40 Kilometer Luftlinie
       vom englischen Dover entfernt, wurde 2016 geräumt. Seither verhindert die
       Polizei teils mit drastischen Mitteln, dass sich wieder Camps rund um die
       70.000-Einwohner-Stadt bilden. So werden die Zelte der Flüchtlinge zerstört
       und ihre Schlafsäcke verbrannt. „Die Flüchtlinge in Paris werden in Zukunft
       genauso bedrängt werden wie in Calais. Man wird ihre Zelte hier ebenfalls
       kaputt machen“, befürchtet Manzi. „Ziel ist es, die Flüchtlinge unsichtbar
       zu machen, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, das Problem
       sei gelöst.“
       
       In Wirklichkeit besteht das Problem der Unterbringung der Flüchtlinge seit
       Jahrzehnten. Im Norden von Paris, der Stadt mit den meisten Touristen
       weltweit, hausen die Menschen aus Afrika oder Afghanistan zu Hunderten
       neben ein paar Dixi-Klos. Zum Waschen müssen sie eine der öffentlichen
       Duschen der Hauptstadt aufsuchen. Versorgt werden sie von
       Hilfsorganisationen, der Stadtverwaltung oder von Nachbarn.
       
       Die Räumung am Donnerstag war die 59. seit dem Sommer 2015. „Diese
       kurzfristigen Antworten, die in aller Dringlichkeit erfolgen, können nicht
       ausreichen“, kritisierte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf
       Twitter. Die Sozialistin hatte 2016 eine Erstaufnahmeeinrichtung an der
       Porte de la Chapelle geschaffen, die allerdings nur für zwei Jahre geplant
       war und deshalb im vergangenen Jahr geschlossen wurde.
       
       Seither landen die Flüchtlinge direkt in Aufnahmezentren, wo ihre Identität
       festgestellt wird. Bei den meisten handelt es sich um „Dubliner“ – also um
       Flüchtlinge, die irgendwo in Europa bereits erfasst wurden. Ihnen droht die
       Abschiebung, denn nach den Regeln der Dublin-Vereinbarung ist dasjenige
       Land für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig, in dem Geflüchtete
       zuerst europäischen Boden betreten haben.
       
       ## Helfer fürchten „systematische Menschenjagd“
       
       Utopia 59, 2015 von Yann Manzi nach dem Tod des Flüchtlingskinds Alan
       Kurdi gegründet, sorgt sich um das weitere Schicksal der 1.600
       Flüchtlinge, die am Donnerstag abtransportiert wurden. „Wie sollen wir
       sicherstellen, dass die Menschen, wenn sie einmal in einer Turnhalle
       untergebracht sind, nicht in Abschiebehaft kommen?“, fragt die Organisation
       in einer Mitteilung.
       
       Für diejenigen, die nicht in die Busse gestiegen sind, fürchten die Helfer
       eine „systematische Menschenjagd“. Polizeipräfekt Lallement kündigte
       bereits an, das Gelände an der Porte de la Chapelle rund um die Uhr
       überwachen zu lassen. „Wir haben das Ziel von null Rückkehrern.“
       
       7 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christine Longin
       
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