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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die irische Schnattertasche ist tot
       
       > Gay Byrne war der am längsten amtierende Talkshowmaster der Welt. Jetzt
       > ist der Meister der Schnattershow vermutlich glücklich in der Hölle.
       
   IMG Bild: Protestanten unerwünscht: Buddy und seine Familie in „Belfast“
       
       Ohne ihn hätte es in Irland keinen Sex gegeben. Das hat zumindest der
       frühere Verteidigungsminister Oliver J. Flanagan behauptet. Gay Byrne war
       der am längsten amtierende Talkshowmaster der Welt, er moderierte die „Late
       Late Show“ 37 Jahre lang. Nebenbei hatte er auch jeden Morgen eine
       Radiosendung. Bei keiner anderen Fernsehshow versammelten sich Alt und Jung
       so einträchtig vor der Glotze. Seine Nachfolger erreichten nie mehr Byrnes
       Quoten.
       
       In den achtziger Jahren, als Verhütungsmittel in Irland nur an Paare mit
       Trauschein abgegeben wurden, zog sich „Gaybo“, wie er genannt wurde, ein
       Kondom über den Zeigefinger, um den ahnungslosen Iren zu zeigen, wie es
       funktionierte. Fortan stülpten sich die Iren vor dem Geschlechtsverkehr ein
       Präservativ über den Finger und wunderten sich, warum die Dinger versagten.
       Die Bischöfe wünschten Byrne trotzdem zur Hölle.
       
       Als er zwei lesbische Nonnen live vor der Kamera eingehend befragte, fiel
       der Klerus erneut in kollektive Ohnmacht. Einmal lud die Plappertasche
       versehentlich eine englische Prinzessin und einen ehemaligen IRA-Mann
       gemeinsam als Studiogäste ein. Richard Behal hatte 1964 die Proteste gegen
       den Irland-Besuch von Prinzessin Margaret organisiert und später eine
       Kanonenkugel auf ein britisches Torpedoboot abgefeuert. In seiner Show
       stellte ihn der ahnungslose Byrne als Mitarbeiter eines Komitees für
       besseren Wohnraum vor.
       
       Byrne hat Irland geprägt wie kein anderer. Seine Schnattershow wurde in den
       Kneipen und den Wohnzimmern oft tagelang diskutiert. Bono, der Sänger der
       Dubliner Pop-Combo U2 und selbsternannte Retter der Welt, sagte, dass man
       als Künstler nicht existierte, solange man nicht in der „Late Late Show“
       auftreten durfte. Hätte Bono demnach verhindert werden können?
       
       Zum Schluss wurde Byrne jedoch immer zahmer und lud nur noch Leute ein, die
       Reklame für ihre Bücher machen wollten, darunter auch die ehemalige
       britische Premierministerin Margaret Thatcher, die ihre Memoiren anpreisen
       durfte. Man kreidete Byrne an, dass er vor dem Kotzbrocken wie ein Wurm
       gekrochen sei und ihr eine Stunde lang Honig ums eiserne Maul geschmiert
       habe.
       
       Als er 1999 abtrat, trauerte die Nation dennoch. Der Ruhestand war
       allerdings nur von kurzer Dauer, Byrne schaffte das dramatischste Comeback
       seit Lassies Rückkehr. Er moderierte zwei Jahre lang eine grauenhafte
       Quizsendung, bei der die Kandidaten mit Scherzfragen hereingelegt wurden,
       so dass niemand den Hauptpreis gewann – außer Byrne selbst, der die
       Honorar-Millionen brauchte, weil sein Finanzverwalter heimlich das ganze
       Vermögen verprasst hatte.
       
       Vorigen Montag ist Gay Byrne nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren
       gestorben. Möglicherweise ist er nun in der Hölle, wie ihm der Klerus das
       gewünscht hat. Dort dürfte er aber jede Menge Pfaffen und Bischöfe treffen.
       
       11 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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