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       # taz.de -- Digitalisierung im Gesundheitswesen: Hausarzt trifft auf Dr. Google
       
       > Die Arzt-Patienten-Beziehung ändert sich. Neue Anforderungen an Patienten
       > spielen ebenso eine Rolle wie die gestiegene Bedeutung des Internets.
       
   IMG Bild: Patient*innen konfrontieren ihre Ärzt*innen zunehmend mit Infos, die sie im Netz gefunden haben
       
       Heute suchen immer mehr Menschen im Internet nach Gesundheitsinformationen
       – manchmal bevor, nachdem oder anstatt mit Ärzt*innen über gesundheitliche
       Probleme oder Fragen zu sprechen. Die steigenden Nutzerzahlen gehen mit
       vielen Befürchtungen einher.
       
       Vor allem das ärztliche Fachpersonal bewertet den Trend ambivalent. Zur
       Skepsis tragen die schwankende Qualität der Informationen bei. Ebenso
       stehen [1][intransparente Eigeninteressen der Online-Anbieter] immer wieder
       in der Kritik. Skeptiker*innen befürchten, dass die Suche im Internet zu
       einer ernsthaften Gesundheitsgefährdung führen kann oder die Suchenden
       verunsichert und verängstigt sind. Und seien wir mal ehrlich, wer hat im
       Rahmen einer Selbstdiagnose mittels Dr. Google nicht schon einmal Angst vor
       einer Krebserkrankung bekommen?
       
       Im Gegensatz zu den Gefahren sind die [2][Potenziale von Dr. Google]
       weniger präsent: Umfangreiche Informationen zu sehr speziellen Themen sind
       jederzeit verfügbar und Antworten auf drängende Fragen schnell auffindbar.
       Die eigene Recherche steigert Wissen, hilft Betroffenen, Ärzt*innen
       gestärkt gegenüberzutreten und sich aktiv für die eigene Gesundheit
       einzusetzen.
       
       Zudem kann Dr. Google auch der Sinnstiftung dienen – gerade in Situationen,
       in denen das Leben auf den Kopf gestellt wird und Sorgen leicht
       überhandnehmen. Insgesamt besteht das Potenzial für Patient*innen, durch
       die eigene Suche nach Informationen mehr Kontrolle und Selbstbestimmung
       über Fragen zu ihrer Gesundheit zu erlangen.
       
       ## Patientenrechte und Verantwortung
       
       Diese neue Selbstbestimmung steht im Einklang mit den Anforderungen an
       Patient*innen. Sie entspricht der politischen Zielsetzung, die informierte
       und partizipative Entscheidungsfindung von Patient*innen zu stärken. So
       steht im Patientenrechtegesetz unter anderem, dass sich der oder die
       Einzelne in die medizinische Entscheidungsfindung einbringen soll und
       Verantwortung für die eigene Gesundheit trägt, statt diese
       (verantwortungsvoll) an Ärzt*innen abzugeben.
       
       Um diese Rolle auszufüllen, braucht es informierte Patient*innen. Sie
       sollten nicht nur ein gewisses Grundwissen mitbringen, sondern müssen vor
       allem über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um relevante Informationen
       finden, verstehen und bewerten zu können. Statt die Motivation und
       Fähigkeit der Patient*innen wertzuschätzen, eine partizipative Rolle in der
       Behandlung einzunehmen, werden (vor-)informierte Patient*innen in der
       Arzt-Patienten-Interaktion allerdings weiterhin eher kritisch betrachtet.
       
       Tatsächlich bleibt die zunehmende Gesundheitssuche im Internet auch nicht
       folgenlos für die Beziehung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, da sich
       zumindest die wahrgenommene Abhängigkeit von ärztlichem Fachpersonal
       verringert und bisher noch kein neues, gemeinsames Rollenverständnis
       besteht. Ärzt*innen sind nicht mehr Götter in Weiß, denen Patient*innen
       blind vertrauen.
       
       ## Sinkendes Vertrauen
       
       Das generell sinkende Vertrauen sollte uns, trotz aller Potenziale von Dr.
       Google, alarmieren. Denn Vertrauen ist und bleibt eine elementare Größe für
       die Arzt-Patienten-Beziehung. In kaum einem Lebensbereich erscheint es so
       unerlässlich, sich weitgehend vorbehaltlos auf andere zu verlassen,
       Verantwortung zumindest zu teilen und trotz empfundener Unsicherheiten und
       emotionaler Belastung einen Umgang mit der Situation zu finden.
       
       Wollen wir das Vertrauen in Ärzt*innen schützen, schaffen fachliche
       Kompetenzen nur die Basis. Darüber hinaus kommt es auf interpersonale und
       kommunikative Kompetenzen an. Speziell gilt es, die veränderten und
       individuellen Erwartungen von Patient*innen zu erkennen – vor allem mit
       Blick auf unterschiedliche Informations- und Entscheidungspräferenzen. So
       macht beispielsweise eine qualitative Studie mit 34 Arthrosepatient*innen
       besonders deutlich, dass nicht alle Betroffenen gewillt oder in der Lage
       sind, selbst die Verantwortung für Entscheidungen zu tragen.
       
       Die Forderung nach einem höheren Maß an Partizipation lässt sich somit
       teilweise nur schwer mit den Bedürfnissen von Patient*innen vereinen und
       führt dazu, dass sich einige Patient*innen vor den Kopf gestoßen oder sogar
       im Stich gelassen fühlen. Auf ähnliche Diskrepanzen weist auch eine für
       Deutschland repräsentative Befragung hin, die wir ebenfalls am Institut für
       Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover durchgeführt haben.
       
       ## Internet als zweite Meinung
       
       Im Gegensatz zu dem Wunsch, Entscheidungen zu delegieren, ist das
       Informationsinteresse deutlich höher ausgeprägt – allerdings unterschätzen
       dies Ärzt*innen häufig. Bleiben Fragen unbeantwortet, bietet das Internet
       eine zweite Meinung. Dies spiegelt sich ebenfalls in den Erkenntnissen der
       Repräsentativbefragung wider, die zeigt, dass geringeres Vertrauen in
       ärztliches Fachpersonal zu einer stärkeren Intention zur Nutzung des
       Internets führt.
       
       Die Zuwendung zu Ärzt*innen oder zum Internet sollte allerdings kein
       Gegensatz darstellen, sondern eine Ergänzung der vorhandenen Stärken.
       
       Wir brauchen einen Perspektivwechsel, durch den die eigene Recherche von
       Patient*innen nicht mehr verteufelt wird und Patient*innen stärker
       einbringen, dass sie sich selbst schon informiert haben. So können gezielte
       Hinweise auf vertrauenswürdige Informationsangebote durch Ärzt*innen sowohl
       das hohe Informationsinteresse ihrer Patient*innen besser befriedigen als
       auch dabei helfen, die durchaus knappe Zeit in ihren [3][Sprechstunden
       effektiver auszunutzen.]
       
       Auf beiden Seiten setzt dies aber einen gewissen Grad an Medienkompetenz
       voraus, die es zu fördern gilt – nur so sind Patient*innen und Ärzt*innen
       in der Lage, adäquate Gesundheitsinformationen zu finden und von diesen zu
       profitieren. Ist dies gegeben, steht einem Mit- anstelle eines
       Gegeneinanders nichts mehr im Weg.
       
       12 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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