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       # taz.de -- Rechtsextreme Anschläge in Neukölln: Ermittler scheitern an sich selbst
       
       > Blamage für VS und Polizei: Wegen Quellenschutz und falscher
       > Namensschreibweise werden Erkenntnisse über Anschlagspläne nicht
       > verwertet.
       
   IMG Bild: Kämpfer gegen Rechts: Ferat Kocak
       
       Berlin taz | 63 Straftaten hatte die Polizei bislang der seit Mai 2016
       anhaltenden mutmaßlich [1][rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln]
       zugerechnet, darunter 14 Brandstiftungen. Nach einer erneuten Überprüfung
       des Tatkomplexes durch die im Mai eingesetzte polizeiliche
       [2][Ermittlergruppe Fokus] werden der Serie inzwischen mindestens zwei
       weitere Taten zugerechnet. Um welche Taten es sich handelt, verriet
       [3][Oliver Stepien], stellvertretender Leiter des Berliner
       Landeskriminalamtes (LKA), am Montag im Innenausschuss nicht.
       
       Dennoch war es eine aufschlussreiche Sitzung, in der neben Stepien auch
       Innensenator Andreas Geisel (SPD), Verfassungsschutzschutzpräsident Michael
       Fischer und Oberstaatsanwalt Jörg Raupach Auskunft über den Stand der
       Ermittlungen gaben und dabei versuchten zu erklären, warum
       Ermittlungserfolge bis zum heutigen Tag ausgeblieben sind. Sie alle, das
       vorweg, bedauerten, dass noch keine Täter überführt werden konnten. „Das
       wurmt mich zutiefst“, so Geisel.
       
       Im Vordergrund der offenen Fragen steht der Anschlag auf den
       Linken-Lokalpolitiker Ferat Koçak am 1. Februar 2018, dessen Auto dabei
       abgefackelt wurde. Nur mit Glück war das Feuer nicht vom Carport auf das
       angrenzende Haus übergegriffen.
       
       Seit Längerem ist bekannt, dass der Verfassungsschutz zwei Wochen vor der
       Tat durch eine Telefonüberwachung von der Verfolgung eines roten Smart
       durch die zwei hauptverdächtigen Nazis T. und P. Kenntnis hatte und seine
       Informationen auch dem LKA übermittelt hatte. Warum aber wurden die
       Verdächtigen, die offensichtlich konkrete Anschlagsziele verfolgten, nicht
       mit einer Gefährderansprache ins Visier genommen?
       
       ## Quellen- vor Opferschutz
       
       Wie LKA-Mann Stepien erläuterte, erfolgte die Übermittlung der
       Informationen vom VS an die Polizei mit der Auflage, diese nicht zu
       verwenden, also auch nicht für eine Gefährderansprache. Der
       Verfassungsschutz (VS) wollte seine Quelle, also seine
       Informationsbeschaffung mittels Telefonüberwachung eines der
       Hauptverdächtigen, schützen.
       
       Vom „Prinzip Quellenschutz vor Opferschutz“ spricht Niklas Schrader,
       innenpolitischer Sprecher der Linken; dies erinnere ihn an Ermittlungen im
       NSU-Komplex. Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, es
       stünde der Straftatbestand der „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ im Raum.
       Die Praxis wurde inzwischen geändert, sagte Stepien: Demnach sollen
       „Bedürfnisse des Geheimschutzes“ zurückstehen, „wenn Leib und Leben
       gefährdet werden“.
       
       Warum aber wurde zumindest Koçak nicht rechtzeitig gewarnt? Die [4][alte
       Version] lautete: Die Polizei habe ihn als Halter des Autos erst nach dem
       Anschlag ermittelt. Nun gab Stepien zu Protokoll, dass man bereits am 30.
       Januar drei mögliche Halter des Fahrzeugtyps ausfindig gemacht hatte,
       darunter Koçak. Man habe ihn, den Linken-Politiker mit Migrationsbiografie,
       aber nicht als mögliches Opfer identifiziert, weder sei er ihnen durch
       Anti-rechts-Aktivitäten noch mit Engagement für Flüchtlinge aufgefallen.
       Schrader sagt, das Gegenteil „hätte man durch Googeln herausfinden können“.
       
       ## Falsche Schriebweise
       
       Doch die Fehlerkette geht noch weiter: So stellte der VS bereits im Februar
       2017 einen Tatverdächtigen an Koçaks Wohnhaus fest, im September fiel
       Koçaks Name in einem Telefonat der Verdächtigen. Beide Informationen
       brachte die Behörde nicht mit dem Smart-Halter Koçak zusammen – aufgrund
       der „phonetisch falschen Schreibweise“ in ihrem System, wie Stepien
       erklärte.
       
       „Nach der Sitzung ist unabhängige Aufklärung eher dringender geworden“,
       sagte Schrader anschließend im Gespräch mit der taz. Die Linke fordert
       ebenso wie Betroffene und eine [5][vergangene Woche eingereichte Petition]
       einen Untersuchungsausschuss. SPD und Grüne wollen sich dem jedoch nicht
       anschließen. Ende des Jahres will die Ermittlungsgruppe Fokus einen Bericht
       vorlegen, danach könne man über einen Sonderermittler sprechen, so Lux.
       
       Innensenator Geisel hatte im September den Generalbundesanwalt um die
       Übernahme der Ermittlungen gebeten. Dieser hatte jedoch keinen Anlass dafür
       gesehen.
       
       11 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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