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       # taz.de -- Hinter den Barrikaden
       
       > In der Bremer GAK haben Marie Cool und Fabio Balducci in der Ausstellung
       > „Can Carry No Weight“ keine Werke im klassischen Sinn hinterlassen –
       > sondern große Ideen
       
   IMG Bild: Spuren von Aktion: Marie Cool und Fabio Balducci dokumentieren ihre Performances in der GAK
       
       Von Radek Krolczyk
       
       Große Ideen brauchen einen geschützten Raum, um sich zu entwickeln. Sie
       brauchen Zeit. Eine große Idee bringt etwas Neues in die Welt. Sie rüttelt
       am herrschenden Zustand und drängt auf radikale Veränderungen. Eine große
       Idee muss nicht unbedingt eine gute Idee sein. Sie kann auch religiös sein,
       oder sogar faschistisch. Sie kann auf einem Phantasma basieren, und
       tatsächlich tun das wohl alle Gedanken, die als große Ideen auftreten. Eine
       große Idee steht oftmals aber auch in tatsächlich radikaler Opposition zum
       Bestehenden. Das Phantasma hilft dabei, eine grundsätzlich andere Welt
       vorzustellen, und füttert die Furie, sie umzuschmeißen.
       
       Die Künstler*innen Marie Cool Fabio Balducci haben zunächst ihre
       individuellen Namen abgeschafft und deren Bestandteile zu einem einzigen
       gereiht. Von einer kollektiven Identität kann allerdings nicht die Rede
       sein, denn sie bleiben zwei ganz bestimmte Personen mit ihren ganz
       bestimmten Namen. Als Paar arbeiten die beiden bereits seit 1995 zusammen.
       Die Ideen, die sie entwickeln, und die ästhetische Gestalt der
       Vergeblichkeit ihres Versuchs, hängen ganz an diesen beiden
       Künstlerindividuen. Große Ideen aber sind grundsätzlich überindividuell,
       sie können prinzipiell von allen gedacht werden und haben einen
       universellen Anspruch.
       
       In ihrer Ausstellung „Can Carry No Weight“, die noch bis Weihnachten in der
       Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) zu sehen ist, ist nicht wörtlich von
       großen Ideen die Rede. Die ästhetische Geste von Marie Cool Fabio Balducci
       jedoch drängt ganz offensichtlich auf etwas vollkommen Neues hin.
       Bestimmend in der GAK ist die Erfahrung von Leere, künstlichem Licht und
       Hall. Cool Balducci haben in Bremen für die Dauer von immerhin dreieinhalb
       Monaten keine Werke im klassischen Sinn hinterlassen. Stattdessen kann man
       in den Ausstellungssälen nun Spuren und Videoprotokolle ihrer Handlungen
       begutachten.
       
       Zwischen den Scheinwerferstrahlen und Videoprojektionen findet man
       umgekippte Bürotische und verdunkelte Heckscheiben von Geländewagen. An
       einer Säule glitzern kleine, metallene Kacheln, auf dem Boden reflektieren
       silberne Kugelscheiber das künstliche Licht. Für die Durchführung ihrer
       Handlungen reisen Cool Baducci mehrere Male aus Paris in ihre Bremer
       Ausstellung. Sie selbst sprechen dabei von Aktionen, was den politischen
       Gehalt ihres künstlerischen Treibens unterstreichen soll.
       
       Auffällig ist der asketische Charakter der Inszenierung. Die Videoarbeit
       „Untitled, rain, window, workspace“ zeigt die 1961 im französischen
       Valenciennes geborene Marie Cool. Mit dem Rücken zur Kamera steht sie mit
       freiem Oberkörper, die Arme kopfüber in Richtung des verregneten Fensters
       ihres Ateliers gestreckt. Akkurat entlang ihrer Wirbelsäule liegt ihr
       langer, fester, roter Haarzopf. Gleich gegenüber sieht man sie in einem
       Videoprotokoll bei den vergangenen Aktionen in der GAK.
       
       Der 1963 im italienischen Ostra geborene Fabio Balducci filmt und ist in
       den Videos nicht selbst zu sehen. Das Protokoll zeigt sie beim allmählichen
       Verschieben und Kippen eines schweren Bürotisches. Der Vorgang wirkt
       kontrolliert und anstrengend, ihre Aktionen sind langwierig. Hin und wieder
       sieht man sie mit einer kleinen Flamme hantieren. Sie bewegt sich langsam
       von ihrer Hand abwärts. Marie Cool folgt ihr, schützt sie mit der Hand und
       löscht sie schließlich am Boden.
       
       Die umgekippten und verschobenen Tische immerhin findet man in den
       Ausstellungsräumen. Einige wurden in Einzelteile zerlegt und wie Barrikaden
       schützend vor die Fenster gestellt, die zur Weser zeigen. Große Ideen sind
       auf einen gesicherten Raum angewiesen. Dies müsste eine der Aufgaben sein,
       die Kunstinstitutionen zu übernehmen haben. Der Raum des Kunstvereins
       schützt dabei zweifach: Er lässt etwas geschehen, das draußen gefährdet
       wäre, gleichzeitig bleibt zunächst alles folgenlos. Es ist wie mit der
       kleinen Flamme, die im Schutz von Cools Hand entsteht und gleich wieder
       verlischt.
       
       Als größte denkbare Metapher bezeichnete Adam Szymczyk, der Leiter der
       letzten Documenta, in seiner Einführungsrede die Sonne. Sie erst mache
       Leben und Sehen möglich, betonte er. Während seiner Documenta in Athen
       stellte er Cool Balducci in der oberen Etage des Museums für moderne Kunst
       aus. Der Raum hat ein prägnantes Seitenfenster, durch das die Sonne
       scheint. In ihren Athener Aktionen folgten sie dem Gang der Sonne.
       Tatsächlich haben sie in Bremen die Eigendynamik der Sonne aus der
       Ausstellung verbannt. Die Fenster sind verbarrikadiert, die auffälligen
       Sonnenflecken auf dem Boden durch Scheinwerfer erzeugt. So bleibt von der
       alten Welt nicht einmal mehr die Sonne übrig, höchstens noch als Metapher.
       
       Ausstellung bis 22. 12., GAK; Aktionen: Sa, 16. 11., 11–18 Uhr
       
       9 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Radek Krolczyk
       
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