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       # taz.de -- Ende des Waffenstillstands in Nordsyrien: Alles nach Plan für Erdoğan
       
       > Die kurdische YPG hat sich aus der von der Türkei beanspruchen Grenzzone
       > zurückgezogen. Dort bekämpfen sich jetzt Milizen und Assad-Truppen.
       
   IMG Bild: Familie auf der Flucht vor der türkischen Offensive in Syrien
       
       Istanbul taz | Am Dienstagabend um 18 Uhr ist der in Sotschi zwischen der
       Türkei und Russland vereinbarte [1][Waffenstillstand] im Norden Syriens
       abgelaufen – und offiziell läuft alles nach Plan.
       
       Wie der russische Verteidigungsminister schon kurz vor Ablauf der Frist
       bekannt gab, haben sich die kurdischen Milizen der YPG aus dem 450
       Kilometer langen Grenzstreifen zwischen Euphrat und irakischer Grenze
       zurückgezogen. „Die YPG“, sagte Sergei Schoigu, „hat 34.000 Kämpfer samt
       allen Waffen aus dem Gebiet abgezogen und damit die Voraussetzungen für
       eine dauerhafte Waffenruhe erfüllt.“
       
       Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte Dienstagabend bei einer
       Veranstaltung, er nehme das zur Kenntnis. Man werde die Lage vor Ort durch
       die mit Russland vereinbarten gemeinsamen Patrouillen überprüfen. Sollten
       dabei noch YPG-Kämpfer angetroffen werden, würden diese „eliminiert“.
       
       Laut Berichten türkischer Reporter von verschiedenen Stellen entlang der
       Grenze war es am Mittwochmorgen ruhig, doch diese Ruhe könnte trügerisch
       sein. Nach dem Abzug der kurdischen Miliz tut sich bereits ein neuer
       Konflikt auf.
       
       ## Schwere Kämpfe zwischen Milizen und Assad-Truppen
       
       Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London
       kam es am Dienstagabend zu schweren Kämpfen zwischen den mit der Türkei
       verbündeten islamischen Milizen der Freien Syrischen Armee und Truppen des
       Assad-Regimes, die in den letzten Tagen in die von den Kurden verlassenen
       Stellungen nachgerückt waren. Dabei soll es 13 tote syrische Soldaten des
       Regimes gegeben haben und 10 tote syrische Islamisten.
       
       Die Kämpfe sollen erbittert gewesen sein. Nach Meldungen in den sozialen
       Medien wurden vier gefangene Regimesoldaten von syrischen Milizkämpfern
       enthauptet. Die türkische Armee soll die mit ihr verbündeten islamischen
       Milizkämpfer mit Artilleriebeschuss auf die Regimetruppen unterstützt
       haben.
       
       Offiziell werden diese Berichte weder von türkischer noch von russischer
       Seite bestätigt. Im türkischen Fernsehen ist lediglich von 18 Verletzten
       bei örtlichen Scharmützeln die Rede. In den letzten zwei Wochen war es
       allerdings immer wieder zu eigenmächtigen Angriffen der mit der Türkei
       verbündeten Milizen auf kurdische Zivilisten gekommen, die zeigten, dass
       die türkische Armee ihre Verbündeten offenbar nicht unter Kontrolle hat.
       Für die russische Militärpolizei wird es schwierig werden, zukünftig Kämpfe
       zwischen Assad-Truppen und den syrischen Hilfstruppen der Türkei zu
       unterbinden.
       
       Für die kurdische Zivilbevölkerung in dem gesamten Gebiet ist diese
       Situation ein Albtraum. Ohne den Schutz der kurdischen YPG-Miliz sind sie
       hilflos den islamistischen Milizen ausgeliefert und auch vor den
       Assad-Truppen fühlen sie sich nicht sicher.
       
       ## Flüchtlinge irren zwischen den Fronten herum
       
       Rund 200.000 Menschen sind deshalb in den letzten zwei Wochen schon
       geflohen. Die meisten in die Gebiete jenseits der 30 Kilometer
       „Sicherheitszone“, etliche von ihnen aber auch über die Grenze in den von
       Kurden kontrollierten Nordirak. Die dortigen Flüchtlingslager sind völlig
       überfüllt und die kurdische Autonomieverwaltung im Nordirak ist kaum in der
       Lage, die Flüchtlinge alle zu versorgen.
       
       Schlimmer noch aber geht es laut UN rund 100.000 Flüchtlingen, die nach wie
       vor in Nordsyrien zwischen den Fronten herumirren und bislang keinen Ort
       gefunden haben, wo sie sich in Sicherheit bringen können.
       
       Unterdessen beginnt an diesem Mittwoch der Verfassungsausschuss für Syrien
       bei der UNO in Genf mit seiner ersten Sitzung. Der Ausschuss ist gebildet
       aus Regimevertretern und Oppositionellen; Kurden sind dort auf
       ausdrückliche Forderungen der Türkei nicht vertreten.
       
       Der Ausschuss soll nun eine neue Verfassung für Syrien debattieren und
       damit gleichzeitig eine politische Lösung für den seit acht Jahren wütenden
       Bürgerkrieg finden. Die Mitglieder dieses Ausschusses wurden im sogenannten
       [2][Astana-Prozess] ausgesucht, also von Russland, Iran und der Türkei in
       Absprache mit dem Assad-Regime und den syrischen Exilpolitikern in der
       Türkei, die im Wesentlichen die syrischen Muslimbrüder repräsentieren.
       
       30 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
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