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       # taz.de -- Politiker*innenbesuche in Westafrika: Was machen die da?
       
       > Deutsche Politiker*innen haben Westafrika als Reiseziel entdeckt. Für ein
       > erhöhtes Interesse an der Region sprechen ihre Kurztrips leider nicht.
       
   IMG Bild: Macht sich prima als Kulisse für westliche Politiker: Modenschau in Lagos, Nigeria
       
       Gesundheitsminister Jens Spahn ist kürzlich durch Äthiopien, Ruanda, den
       Kongo und Nigeria gereist. Die Vierländertour dauerte gerade einmal vier
       Tage. Am Ende sagte er in der nigerianischen Hauptstadt Abuja, dass Afrika
       mehr als nur Krise – im Mittelpunkt der Reise stand [1][der Ebola-Ausbruch
       im Kongo] – sei. Man habe Start-ups gesehen, Innovationskraft, junge
       Menschen, die einen Unterschied, auch für ihr Land, machen wollen. „Da wird
       deutlich, welche Dynamik in diesem Kontinent steckt.“
       
       Dabei ist Nigerias Start-up-Szene hinlänglich bekannt, auch wenn sie
       mitunter etwas zu sehr gehypt wird. Als der Gesundheitsminister längst
       wieder im Flieger nach Berlin saß, fragte eine nigerianische Journalistin
       kopfschüttelnd: „Warum ist er nach Nigeria gekommen? Was hat er hier
       gemacht?“ Die Frage klang nicht zynisch, sondern ratlos.
       
       Im Fall von Spahn ist die Antwort recht klar: Werbung in eigener Sache.
       Wenn sich eine Reise im Kern um Ebola drehen soll, muss man nicht nach
       Nigeria fahren. Dort wurden zwar vor fünf Jahren 20 Ebola-Fälle
       registriert, die das Land aber überraschend gut und schnell in den Griff
       bekam. Spahn wollte hingegen zeigen, dass er sich mehr als nur das Amt des
       Gesundheitsministers zutraut. Er kann auch Kanzler und international
       auftreten – das hatte er in den vergangenen Monaten schon in Kosovo und
       Mexiko getan. Bei der Afrika-Tour kamen immer wieder Themen zur Sprache,
       die weit über sein Ressort hinausgehen. Migration etwa, die mit
       Gesundheit zusammenhänge, wie er mehrfach betonte. Die afrikanische Kulisse
       sollte für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgen.
       
       Spahn ist jedoch nicht der Einzige, der Afrika im Schnelldurchlauf macht.
       Dafür ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt. Nigeria, die größte
       Volkswirtschaft des Kontinents und mit 200 Millionen der einwohnerreichste
       Staat, besuchte sie zwar zweimal, aber immer nur für wenige Stunden. Dabei
       wird kolportiert, dass sie sich gut mit Präsident Muhammadu Buhari
       versteht. In Nigeria ist sie zudem außerordentlich beliebt. Beim letzten
       Mal im August 2018 hatte Merkel allerdings nur zwei Grundsatzvereinbarungen
       im Gepäck. Im Vergleich zu anderen Besucher*innen oder Gastgeber*innen ist
       das wenig.
       
       Nur zwei Tage zuvor hatte die damalige britische Premierministerin Theresa
       May ein Sicherheitsabkommen im Kampf gegen Boko Haram unterzeichnet und
       Unternehmer Aliko Dangote, der sein Imperium unter anderem auf Zement und
       Zuckerrohr gebaut hat, getroffen. Auch war Buhari nach dem Merkel-Besuch
       für mehrere Tage zum China-Afrika-Gipfel nach Peking eingeladen worden.
       
       Kaum besser glückte der erste Besuch von Verteidigungsministerin
       [2][Annegret Kramp-Karrenbauer in Mali], der fast zeitgleich zu Spahns
       Reise stattfand. Soldat*innen klagten über die Verschiebung ihres
       Heimatflugs. Zudem sollen „Vorübungen“ für den Empfang den Betrieb
       lahmgelegt haben. Nach der Reise habe es dann auch „gekracht“, wird AKK
       zitiert. Ein politischer Beobachter aus Mali lächelt über die Frage, ob
       solche Besuche überhaupt etwas bringen. „Es ist Routine, die viel Geld
       kostet.“ Höchstens inoffizielle Gespräche am Rande könnten für einen
       differenzierteren Diskurs sorgen. Doch dazu bleibt keine Zeit, da die
       Kurztrips minutiös getaktet sind, besonders bei den
       Afrika-in-vier-Tagen-Reisen. Dem Zufall bleibt nichts überlassen.
       
       Tatsächlich bringen diese teuren und aufwendigen Reisen also kaum mehr als
       politische Selbstdarstellung fürs heimische Publikum. Es werden Gelder
       zugesagt, die längst beschlossen sind und die es auch ohne Reise geben
       würde. Mit der „Übergabe vor Ort“ erhalten sie allerdings mehr
       Aufmerksamkeit und wirken wie großzügige Geschenke, die scheinbar zäh
       verhandelt wurden. Bei Spahn waren es jedoch nur 4 Millionen Euro – viel
       weniger als das, was sonst übergeben wird.
       
       Auch ist der Erkenntnisgewinn minimal. Wie viel [3][Potenzial im jungen
       Nigeria] steckt, hat schon vor Jahren der Besuch von Facebook-Gründer Mark
       Zuckerberg gezeigt. Im Fall von Mali gibt es gute Analysen zur aktuellen
       Konfliktlage, zur Situation innerhalb der Armee und über die im Land
       agierenden Terrorgruppen und Rebellen. Ebenfalls mangelt es nicht an
       Expert*innen.
       
       ## Ein verzerrtes Bild
       
       Da die Kurzbesuche nur einen winzigen Einblick bieten, geben sie zudem ein
       verzerrtes Bild wieder. Die Planstadt Abuja mag mit Orten wie dem Civic
       Innovation Lab modern und vertraut westlich wirken. Themen wie Digital
       Health, worüber Spahn mit dem nigerianischen Gesundheitsminister Osagie
       Ehanire gesprochen hat, erwecken den Eindruck, dass in beiden Ländern
       ähnliche Diskussionen geführt werden. Das täuscht jedoch darüber hinweg,
       dass knapp jede*r vierte Nigerianer*in keinen Zugang zu einer Toilette
       hat. Mehr als 94 Millionen Menschen leben in absoluter Armut. Andersherum
       ist Mali nicht ein einziges Camp Castor, wo jede*r stets in
       Alarmbereitschaft lebt. Auch wenn die Sicherheitslage vielerorts immer
       prekärer wird, sind Millionen Menschen mit ihrem Alltag beschäftigt – wie
       überall auf der Welt.
       
       Schließlich ist das Durchhecheln durch Afrika schlichtweg unhöflich.
       Selbstverständlich ist die Zeit für Politiker*innen-Reisen knapp bemessen,
       natürlich müssen Besuche sorgfältig geplant werden. Wer Ländern wie Nigeria
       jedoch nur ein paar Stunden widmet, kann es auch gleich lassen. Die
       Kurztrips zeigen nämlich zwei Dinge: Es ist zwar längst klargeworden, dass
       man an Afrika – und gerade am Giganten Nigeria, aber auch den Sahelstaaten
       Mali, Burkina Faso und Niger – nicht vorbeikommt. Sie sind riesige
       Absatzmärkte und enorme Risikofaktoren gleichermaßen. Jede*r möchte einen
       Fuß in der Tür haben. Zugleich jedoch erscheinen sie bis heute dem Globalen
       Norden nicht wichtig genug, um sich ernsthafter mit ihnen
       auseinanderzusetzen.
       
       14 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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