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       # taz.de -- Regeln für Öko-Lebensmittel: Kaum Strafen bei Bio-Verstößen
       
       > Wenn Ökobauern Regeln für den Biolandbau missachten, haben sie oft nur
       > geringe Sanktionen zu befürchten. Das gilt auch beim Putenfleisch.
       
   IMG Bild: Auch diese Puten müssen nicht mit Strafe rechnen, wenn sie auffliegen
       
       Berlin taz | Die Vorschriften [1][im Ökolandbau] sind für Profitmaximierer
       schon eine lästige Sache: Die Ökoverordnung der Europäischen Union schreibt
       zum Beispiel vor, dass jede Pute 10 Quadratmeter Auslauf haben muss, der
       ihr wenigstens etwas Bewegungsfreiheit gibt. Aber jeder Quadratmeter Land
       kostet den Tierhalter etwa Pacht oder Zinsen. Das dürfte ein Grund sein,
       weshalb manche Landwirte zu viele Tiere in ihren Stallanlagen unterbringen.
       Das Risiko von Strafen ist äußerst gering.
       
       Das belegt ein Untersuchungsbericht der EU-Kommission und ein von der taz
       recherchiertes Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern: Die
       Öko-Agrargesellschaft in Wesenberg, einem etwa 100 Kilometer nördlich von
       Berlin gelegenen Dorf, setzte am 30. Oktober vergangenen Jahres 1.780
       Putenküken in eines ihrer Stallabteile. Der Auslauf an dem Stall war aber
       laut Ökoverordnung der Europäischen Union nur für 1.650 Tiere groß genug.
       Jede Pute hatte also 7 Prozent weniger Platz als vorgeschrieben. Das teilte
       das für die Aufsicht über den Ökolandbau zuständige Landesamt für
       Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei auf Anfrage der taz
       mit. Der Betrieb ist vom Ökoanbauverband Naturland zertifiziert und darf an
       zwei Standorten insgesamt 12.000 Puten halten. Er gehört dem
       konventionellen Großbauern Henning Luhmann aus Niedersachsen.
       
       Verstöße gegen die Auslaufvorschriften scheinen bei der
       Ökoagrargesellschaft kein Einzelfall zu sein. Denn am 19. Februar 2019
       stallte die Firma dem Landesamt zufolge in ein Abteil sogar 1.890
       Putenküken ein – 13 Prozent mehr als erlaubt. Das Unternehmen ließ eine
       Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       Herausgekommen ist der Fall erst, als die taz aus der Branche einen Tipp
       erhalten hatte und daraufhin am 3. Juni bei Naturland nachfragte. Zwei Tage
       danach wurde die Fachgesellschaft Öko-Kontrolle bei dem Betrieb für eine
       nach Verbandsangaben „kurzfristig anberaumte Stichprobe“ in Wesenberg
       vorstellig. Erst dann hätten die Kontrolleure die Überbelegung in diesem
       Jahr festgestellt, so Naturland. Später berichtete das Landesamt dann auch
       von dem Verstoß im Oktober 2018. Ohne den Tipp an die taz hätten die
       Verantwortlichen in den Kontrollstellen und -Behörden wohl nichts getan.
       Das ist ein Indiz dafür, dass das Risiko für Biobetrüger, entdeckt zu
       werden, oft gering ist.
       
       ## 500 Euro Bußgeld für einen Millionenbetrieb
       
       Selbst wer auffliegt, muss noch lange keine empfindliche Strafe fürchten.
       Die Behörde hat dem Fleisch der bei der Schlachtung 21.000 Kilogramm
       wiegenden Puten nach eigenen Angaben nicht das Biosiegel entzogen. Tausende
       Verbraucher haben also den hohen Bioaufschlag bezahlt und Fleisch bekommen,
       das eigentlich nie das Biosiegel hätte erhalten dürfen. Ökoputen-Schnitzel
       kostet zum Beispiel 40 Prozent mehr als konventionelles.
       
       Das Fleisch aus dem Handel zurückzuholen wäre dem Landesamt zufolge
       unverhältnismäßig gewesen. Schließlich habe nur 1 Quadratmeter pro Pute im
       Auslauf gefehlt, die Ställe seien groß genug gewesen und die Tiere hätten
       Ökofutter bekommen. Die Firma müsse aber ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro
       zahlen. Das ist ein winziger Betrag für ein Unternehmen, das Ende Juni 2018
       eine Bilanzsumme von 8,7 Millionen Euro auswies. Die abschreckende Wirkung
       dürfte sich in Grenzen halten.
       
       Aber mehr sei nicht möglich gewesen, da „in diesem Fall fahrlässig
       gehandelt wurde“, argumentiert das Landesamt. Denn der Betrieb habe
       eigentlich genügend Auslauffläche, er habe die Tiere nur auf die einzelnen
       Ausläufe falsch verteilt. Zudem würden der Firma als Strafe demnächst auch
       die Agrarsubventionen gekürzt. Doch ob das klappt oder ob die Anwälte des
       Betriebs das verhindern, ist offen.
       
       Naturland hat dem Betrieb nur einen „verschärften Hinweis“ ausgesprochen.
       Weil die Firma aber zum 1. Januar von der Kontrollstelle ABCert zur
       Fachgesellschaft Öko-Kontrolle wechselte und Naturland erst den Bericht der
       neuen Inspekteure abwarten wollte, musste die Agrargesellschaft einige
       Monate auf das Siegel des Verbands verzichten. Deshalb wurden die im
       Februar eingestallten Puten ohne das Logo des Verbands verkauft. Doch seit
       dem 30. Juli darf er wieder das Naturland-Siegel auf seine Produkte kleben.
       
       ## Hohe Gewinne, geringes Risiko
       
       Wesenberg ist kein Einzelfall. Die EU-Kommission klagte nach [2][Abschluss
       der „Operation Opson VIII“] von Polizei- und Ökobehörden gegen Bio-Betrüger
       im Juni, dass bereits gelieferte Ware zuweilen nicht zurückgerufen werde,
       wenn sie sich als konventionell herausstellt. „Bußgelder und Strafen sind
       vergleichsweise gering in finanzieller Hinsicht“, schreibt die Kommission.
       Wenn Betrug entdeckt werde, werde der Ware zwar das Biosiegel entzogen,
       aber oft dürfe sie als konventionelle verkauft werden. Da die Betrüger so
       noch Geld verdienten, würden sie nicht abgeschreckt. „Die
       Wirtschaftlichkeit von Bio-Betrug liegt in hohen Gewinnen, geringen Strafen
       und einer geringen Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden“, so die
       Kommission.
       
       Die EU-Kommission sieht die Verantwortung vor allem bei den
       Mitgliedstaaten, die die Biobranche überwachen. Eine Sprecherin der
       Brüsseler Behörde kündigte in einer E-Mail an die taz an,
       Minimalanforderungen für die Bestrafung von Bio-Betrügern vorzulegen. Das
       soll dafür sorgen, dass die EU-Länder Täter schärfer sanktionieren.
       
       4 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Bio-Landwirtschaft/!t5022870/
   DIR [2] https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/safety/docs/food-fraud_succ-coop_2019_org-prods_qandas.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
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