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       # taz.de -- Soziales Verhalten von Kindern: Faires Teilen beim Spielen lernen
       
       > Gemeinsam bauen oder im Wettkampf gegeneinander antreten? Die Art des
       > Spielens beeinflusst die sozialen Fähigkeiten von Kindern.
       
   IMG Bild: Gemeinsames Spielen fördert die sozialen Fähigkeiten von Kindern
       
       Zwei Puppen sitzen vor einem vier Monate alten Baby. Der Versuchsleiter
       tritt ein, mit zwei Keksen in der Hand. Die Puppen rufen begeistert: Sie
       möchten gerne Kekse haben! Nun bekommt entweder jede Puppe einen Keks, oder
       eine bekommt beide.
       
       So sah es zeitweise in Renée Baillargeons „Infant Cognition Laboratory“ an
       der University of Illinois aus. Mit solchen und ähnlichen Versuchen möchten
       Baillargeon und ihr Team herausfinden, wie kleine Kinder Gerechtigkeit
       wahrnehmen. Und tatsächlich, bereits mit vier Monaten blicken die Babys
       länger auf die Szene, wenn eine Puppe leer ausgeht – ein Zeichen dafür,
       dass sie über die Ungerechtigkeit verwundert sind. Renée Baillargeon
       vertritt daher die Theorie, dass Babys ein angeborenes Konzept von Fairness
       haben. Ein Grundgerüst sozusagen, das sie durch ihre Erfahrungen und
       kulturelle Einflüsse ausbauen.
       
       Doch offensichtlich ist es eine Sache zu wissen, was gerecht ist, und eine
       ganz andere, auch danach zu handeln. Fragt man beispielsweise ein kleines
       Kind, ob es seine Spiel- oder Naschsachen teilen möchte, erntet man oft ein
       Kopfschütteln.
       
       Je älter die Kinder werden, desto eher entscheiden sie sich für faire
       Lösungen, manche mehr als andere. Wissenschaftler fragen sich daher, wie
       Kinder eigentlich soziale Fähigkeiten lernen. Macht es einen Unterschied,
       ob sie lieber gemeinsam oder gegeneinander spielen?
       
       Eine 1994 veröffentlichte Studie aus den USA deutet darauf hin, dass
       Wettkämpfe aggressives Verhalten fördern. Kinder, die zusammen spielten,
       zeigten hingegen sozialeres Handeln, halfen sich gegenseitig eher und
       teilten mehr.
       
       ## Die Spielvarianten
       
       Die Forscher untersuchten damals die Kinder über Monate hinweg. Ein Team am
       [1][Leipziger Institut für frühkindliche Entwicklung (LFE)] der Universität
       Leipzig und des Max-Planck-Instituts (MPI) für evolutionäre Anthropologie
       Leipzig wollte nun wissen, ob schon kurze Spielsituationen das Verhalten
       von Kindern beeinflussen. Erstautor Theo Toppe und seine Kollegen hatten
       dazu ein Spiel entwickelt, das in allen Varianten nutzbar war: miteinander,
       gegeneinander oder nebeneinander.
       
       Bei „Koko“ sollten die 4- bis 5-jährigen Kinder eine Murmel auf einer
       runden Plattform in eines von zwei Löchern navigieren. Die Plattform
       konnten sie mit jeweils zwei Schnüren bewegen und dabei entweder
       zusammenarbeiten oder gegeneinander antreten. Auch allein kann man Koko
       bedienen. So wollten die Wissenschaftler alle Bedingungen genau gleich
       spannend machen.
       
       In früheren Studien war das nicht so. In einem extremen Beispiel durften
       die Kinder im Wettkampf ein aufregendes Mini-Bowling spielen, während die
       Kontrollgruppe sitzend einen Roboter-Hund mit einer Fernbedienung vor und
       zurück bewegte. In solchen Fällen könnte allein die unterschiedliche
       Aktivität der Spiele Auswirkungen haben, deshalb legten die Forscher nun
       besonderen Wert auf die Vergleichbarkeit der Bedingungen.
       
       Toppe und seinen Kollegen ging es allerdings nicht um das Spiel selbst.
       Nach einer Spielzeit von nur fünf Minuten bekamen die Kinder zehn Sticker
       und durften entscheiden: Wie viele Sticker wollen sie für sich behalten und
       wie viele abgeben? Erschwerend kam dazu, dass sie nicht mit ihrem
       vorherigen Spielkameraden teilen sollten, sondern mit einem Unbekannten.
       Dieser würde laut Versuchsleiter am nächsten Tag kommen und die Sticker
       abholen. So wollten sie herausfinden, ob sich das soziale Verhalten ändert,
       unabhängig von der Bekanntschaft zum anderen Kind.
       
       ## Sticker abgeben
       
       Und tatsächlich teilten die Versuchsteilnehmer mehr Sticker, wenn sie zuvor
       ein kooperatives Spiel anstatt gegeneinander gespielt hatten. Zwar waren
       die Effekte nicht groß, wie die Autoren selbst einräumen. Nach einem
       gemeinsamen Spiel gaben die Kinder im Schnitt vier Sticker ab, ebenso wenn
       sie allein gespielt hatten. Wer gegeneinander angetreten war, trennte sich
       eher nur von drei Stickern.
       
       Die geringen Auswirkungen seien allerdings nicht verwunderlich nach einer
       so kurzen Spielzeit, so Theo Toppe. „Wir waren im Grunde genommen sehr
       streng. Dass wir trotzdem signifikante Effekte gefunden haben, zeigt, dass
       an den bisherigen Vermutungen etwas dran ist.“
       
       Eine Beobachtung stach allerdings heraus: Nach dem gemeinsamen Spiel gaben
       die Kinder immer mindestens einen Sticker ab. Die Teilnehmer der anderen
       Gruppen hingegen behielten häufig alle für sich. Umgekehrt teilte aber nach
       einem kooperativen Spiel niemand mehr als sechs Sticker, während manche
       Kinder nach alleinigem oder kompetitivem Spiel sogar acht Stück abgaben. Es
       sieht also danach aus, als würde Kooperation im Spiel weniger für
       Großzügigkeit sorgen, stattdessen aber das Gefühl für Fairness stärken –
       womit wir bei der Umsetzung des angeborenen Konzepts angekommen wären.
       
       Das Teilen war nicht das einzige soziale Verhalten, das die Wissenschaftler
       untersuchen wollten. Ihnen ging es auch um Inklusion: Wie bereit sind die
       Kinder, andere bei einem Spiel mitmachen zu lassen? Dazu spielten die
       Teilnehmer ein Ballspiel mit einer Handpuppe. Eine zweite Puppe wollte
       gerne in das Spiel einsteigen und das Kind durfte entscheiden, ob es dieser
       Puppe den Ball zuspielte. Die Ergebnisse dieses Teilversuchs sind jedoch
       nicht sehr aufschlussreich, wie Theo Toppe erklärt: „Alle Kinder waren
       extrem offen und inklusiv. Sie ließen die andere Puppe sehr schnell
       mitspielen.“
       
       Eine erfreuliche Beobachtung, aber leider konnte man dadurch nicht
       unterscheiden, ob das vorherige Spielverhalten einen Einfluss auf die
       Inklusion hat. In zukünftigen Versuchen könnte man die Hürde höher setzen.
       Beispielsweise, indem die zweite Puppe das Spiel nicht gut versteht.
       
       Im normalen Leben sind die Spielformen ohnehin nicht deutlich getrennt und
       wechseln sich oft ab. [2][Professor Malte Mienert], Entwicklungs- und
       pädagogischer Psychologe, sieht es so: „Kinder spielen und lernen dabei
       alles, was sie für ihr derzeitiges Leben brauchen, unabhängig von der
       Spielform.“
       
       ## Konfliktfreie Spiele
       
       Das Interesse an Wettbewerben nehme ab dem dritten Jahr stark zu. Wenig
       sinnvoll sei es, den Kindern möglichst niederlagenlose und konfliktfreie
       Spiele zu bieten, so Mienert. „Das empfinden die Kinder eher als
       langweilig, sie wollen lieber gewinnen.“
       
       So lernten sie auch, mit schmerzhaften Erinnerungen umzugehen und
       langfristig Handlungen zu planen. Das gemeinsame Spiel hingegen fördere
       soziale Fähigkeiten, wie das Einstehen füreinander und die gegenseitige
       Unterstützung. Das klassische Mutter-Vater-Kind-Spiel beispielsweise zeigt,
       wie sich Kinder ohne Leistungsdruck entfalten.
       
       Relativ viel Zeit verbringen Kinder auch mit dem Alleine-Spielen. Das sei
       gar kein Problem, findet Mienert. „Die Erwachsenen denken manchmal, dass es
       der größte Wunsch der Kinder ist, immer zusammen zu spielen. Das muss gar
       nicht so sein.“
       
       Sorgen muss man sich also nicht machen, egal, welche Spielform das eigene
       Kind bevorzugt. Oft finden die Kleinen selbst heraus, was sie gerade
       brauchen.
       
       16 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.lfe.uni-leipzig.de/
   DIR [2] http://www.mamie.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefanie Uhrig
       
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