# taz.de -- Neues im Fall Kentler: Aufklärung bleibt schwierig
> Forscher stellen einen Zwischenbericht zum Kentler-Experiment vor, bei
> dem Berliner Bezirke Pflegekinder an Pädophile vermittelten.
IMG Bild: Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) beauftragte ein Forscherteam mit der Aufklärung
Die Aufarbeitung eines der größten pädagogischen Skandale der
Nachkriegsgeschichte geht nur mühsam voran. Fußend auf dem sogenannten
Kentler-Experiment wurden in Westberlin seit dem Ende der sechziger Jahre
bis 2001 Pflegekinder von Jugendämtern an vorbestrafte Pädosexuelle
vermittelt.
Ein Forschungsteam stellte am Montagnachmittag in der Bildungsverwaltung
einen ersten Zwischenbericht vor, der nach ersten Eindrücken nur wenig
Neues beinhaltet. Das Team soll untersuchen, wie es zu dem sogenannten
Kentler-Experiment kommen konnte und welche Lehren daraus für die heutige
Jugendhilfe gezogen werden müssen.
Neben Aktenstudium und Zeitzeugenbefragungen haben die Forscher*innen
bislang drei Betroffene ausfindig machen können. Zwei von ihnen standen für
Interviews zur Verfügung. Unklar ist weiter, wie viele solcher
vermeintlichen Pflegestellen es gegeben hat – ebenso wie viele Opfer es
insgesamt in diesem Zeitraum gab.
Die Betroffenen, die befragt wurden, berichteten laut Julia Schröder
Erschreckendes: Die Opfer seien psychisch belastet, hätten in den
„Pflegestellen“ vollständige Isolation erfahren und keinerlei Möglichkeiten
gehabt, sich Hilfe zu holen.
Neu ist laut Senatorin Sandra Scheeres (SPD) die Erkenntnis, dass auch
Kinder und nicht nur Jugendliche unter den Opfern waren und sich die
Unterbringung bei vorbestraften Pädosexuellen bis Anfang der 2000er Jahre
länger als gedacht hinzog. Scheeres versprach, weiter „alles zu tun“, um
Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe aufzuklären, und
nannte es „zynisch und menschenverachtend“.
## „Zärtliche Fürsorge“
Die Vermittlung durch die Jugendämter Friedrichshain-Kreuzberg und
Tempelhof-Schöneberg war dabei wohl nur einigen Mitarbeiter*innen bekannt.
Legitimiert war die Vermittlung in diese „Pflegestellen“ durch Gutachten
und ein vermeintliches „Experiment“ des damals renommierten und inzwischen
verstorbenen Sozialpädagogen Helmut Kentler, der sich für die Legalisierung
von Sex mit Minderjährigen einsetzte und es für heilsam hielt, wenn
Straßenkinder bei vorbestraften Pädophilen untergebracht würden.
In einem sogenannten Modellprojekt brachte er Ende der 60er Jahre erstmals
mit behördlicher Genehmigung Pflegekinder bei vorbestraften Pädosexuellen
unter – und zog später, nachdem alle mutmaßlichen Straftaten verjährt
waren, ein positives wie empörendes Fazit aus dem „vermeintlichen
Experiment“: „Sekundärschwachsinnige“ Analphabeten hätten sich durch die
zärtliche Fürsorge der Pädosexuellen zu selbstständigen Persönlichkeiten
entwickelt, die ein „ordentliches, unauffälliges Leben“ führten.
Nach Erkenntnissen des Forscherteams hat Kentler zudem den Kontakt zu den
vermeintlichen Pflegevätern lange aufrecht erhalten. Nach Schilderungen von
Betroffenen sei er ein Freund, ja Mentor der Pädosexuellen gewesen. Die
Betroffenen hätten ihn mit den Pflegevätern sogar zu Weihnachtsfesten in
Hannover besucht.
Ein 2017 eingeleitetes Strafverfahren im Zusammenhang mit dem sexuellen
Missbrauch wurden eingestellt.
18 Nov 2019
## AUTOREN
DIR Gareth Joswig
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