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       # taz.de -- Blockierten Abgeordnete eine AfD-Demo?: Ermittlungen ohne Ende
       
       > Seit Monaten wird gegen Abgeordnete wegen der Blockade einer AfD-Demo
       > ermittelt. Akten zeigen: Trotz teils dünner Beweise bleibt das Verfahren
       > offen.
       
   IMG Bild: „Enges Zusammenstehen“: Protest gegen den „Frauenmarsch“ im Februar 2018 in Berlin
       
       Berlin taz | Es war ein kleiner Paukenschlag: Im Oktober 2018 ließ die
       Staatsanwaltschaft Berlin [1][die Immunität gleich einer ganzen Reihe von
       ParlamentarierInnen aufheben]: von den Bundestagsabgeordneten Canan Bayram
       und Caren Lay sowie die von vier VertreterInnen des Berliner
       Abgeordnetenhauses. Der Vorwurf: die Blockade eines rechten
       „Frauenmarsches“. Nun, gut ein Jahr später, ist das Verfahren noch immer
       offen, obwohl die Staatsanwaltschaft längst Beweise erhoben hat – teils
       entlastende.
       
       Dies zeigen Ermittlungsdokumente, welche die taz einsehen konnte. Bei den
       Abgeordneten herrscht inzwischen Unmut. „Mir ist völlig unverständlich,
       warum dieses Verfahren so verschleppt wird“, kritisiert die
       Grünen-Rechtspolitikerin Bayram. Auch Linken-Fraktionsvize Lay sagt, ihr
       sei „schleierhaft, woran das Verfahren hängt“.
       
       Ausgangspunkt war ein [2][„Frauenmarsch“ am 17. Februar 2018 in Berlin,
       angemeldet von der AfD-Politikerin Leyla Bilge]. Rund 500 rechte
       Demonstrierende wollten gegen Gewalt an Frauen durch Migranten
       demonstrieren und vom Stadtteil Kreuzberg zum Kanzleramt ziehen. Das
       misslang. Denn mehr als 1.500 Menschen protestierten gegen den Aufzug,
       stellten sich schon kurz nach dem Start auf eine Kreuzung. Darunter auch:
       Bayram, [3][Lay sowie die Berliner Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger,
       Fatoş Topaç, Georg Kössler und der Linke Hakan Taş].
       
       ## Reihenweise Anzeigen der AfD
       
       Danach hagelte es Anzeigen von AfD-Funktionären gegen die PolitikerInnen:
       Diese hätten rechtswidrig den Aufzug blockiert. Und die ErmittlerInnen
       reagierten. Tatsächlich bestehe gegen die Abgeordneten der Verdacht einer
       „groben Störung“ im Sinne des Versammlungsgesetzes, auch einer Nötigung,
       heißt es in einem Bericht schon wenige Tage darauf. Die Rechtslage, ob und
       wann Sitzblockaden zulässig sind, ist indes durchaus strittig.
       
       Die ErmittlerInnen halten auch fest, dass die Angelegenheit heikel ist:
       Mehrmals wird auf die Immunität der ParlamentarierInnen hingewiesen.
       Trotzdem blieben sie aktiv – und hefteten Tweets der Abgeordneten vom
       Protesttag ab. So habe etwa Lay geschrieben: „Eine sehr kalte, aber schöne
       Blockade.“ Zu Bayram wird der Aufruf „Kein Fußbreit“ notiert.
       
       Im Oktober 2018 erfolgte dann die Aufhebung der Immunität aller
       Abgeordneten – ein Vorgang mit Seltenheitswert. Bei Bayram hieß es zur
       Begründung: „Durch gemeinsames enges Zusammenstehen“ habe sie mit anderen
       den „Frauenmarsch“ verhindert – was auch ihr Ziel gewesen sei.
       
       ## Ermittler betrieben Aufwand
       
       Mit der aufgehobenen Immunität legten die ErmittlerInnen richtig los: Sie
       ließen alle bei der Blockade eingesetzten PolizeibeamtInnen feststellen.
       Ein Dutzend wurde befragt, wie sie damals die PolitikerInnen beobachtet
       hätten. Polizeivideos wurden ausgewertet. Auch die
       „Frauenmarsch“-Anführerin Bilge wollte die Polizei befragen, ohne Erfolg:
       Sie blieb, trotz gestellter Anzeigen, den Terminen fern. Von einem
       „regelrechten Jagdeifer“ der ErmittlerInnen ist in Parlamentskreisen die
       Rede.
       
       Das Ergebnis aber blieb durchwachsen. So wird zwar Kössler vorgeworfen,
       sich in die Blockade gesetzt und dort „verharrt“ zu haben. Zu Topaç, Taş
       und Schmidberger heißt es, diese hätten sich zudem mit anderen
       „einvernehmlich untergehakt“. Dies bedeute eine „körperliche Kraftwirkung“
       und sei als Gewalt im Sinne einer Nötigung zu qualifizieren. Der
       „Frauenmarsch“ sei schließlich komplett verhindert worden, die Blockade
       habe damit eine rechtswidrige „Störungsintensität“ erreicht. Mehr noch
       hätten die Abgeordneten „bewusst ihre Stellung in der Öffentlichkeit
       genutzt“, um Gegendemonstranten zu der Blockade zu motivieren.
       
       Zu Bayram hingegen heißt es explizit: „Es konnten keine strafrechtlich
       relevanten Szenen beobachtet werden.“ Auch bei Caren Lay wird nur
       festgehalten, dass sie mit Demonstranten gesprochen habe. Vermerkt wird:
       „Jedoch steht sie nur an der Seite.“
       
       ## Schlussbericht schon vom April
       
       Dies alles ist seit Monaten zusammengetragen, ein Schlussbericht der
       Polizei liegt bereits seit April vor. Eingestellt oder angeklagt wurde der
       Fall indes bis heute nicht. „Die Ermittlungen dauern an“, sagte ein
       Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft der taz lediglich.
       
       Die Abgeordneten haben dafür wenig Verständnis. „Ich habe nichts
       verbrochen, sondern nur von meinem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht“,
       sagt Bayram. „Dass hier antirassistischer Protest bereits seit anderthalb
       Jahren kriminalisiert wird, ist ein starkes Stück.“ Ihr Parteikollege
       Kössler nennt es „beängstigend, welche Welle an Anzeigen aus der ganzen
       Republik die AfD ausgelöst hat“. Damit solle legitimer Protest
       eingeschüchtert werden.
       
       Auch Caren Lay sagt, die Aktion in Kreuzberg sei berechtigt gewesen. Die
       Linken-Politikerin hat bereits Erfahrung. Schon einmal wurde gegen sie und
       andere Abgeordnete ermittelt und ihre Immunität aufgehoben, weil sie
       [4][2011 in Dresden einen Großaufmarsch von Neonazis mit Sitzblockaden
       gestoppt] hatten. Das Verfahren zog sich über mehrere Jahre – und wurde am
       Ende wegen Geringfügigkeit eingestellt. Nun sagt Lay: „Ich gehe auch
       diesmal davon aus, dass das Verfahren eingestellt wird.“
       
       20 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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