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       # taz.de -- Proteste im Iran: Sieht so Solidarität aus?
       
       > Seit mehreren Tagen protestieren die Menschen im Iran gegen die
       > Benzinpreiserhöhung. Linke im Westen unterstützen sie kaum.
       
   IMG Bild: Proteste in der iranischen Stadt Schiras
       
       Zwanzig Minuten nach Mitternacht wurde am vergangenen Wochenende eine
       drastische Benzinpreiserhöhung (ums Dreifache) im Iran verkündet.
       [1][Seitdem protestieren zahlreiche Menschen]. Am ersten Tag der Proteste
       riefen die Protestierenden tatsächlich noch Parolen, in denen es um den
       Spritpreis ging. Am zweiten Tag dann schon weniger; und nun, nachdem der
       Protest schon mehrere Tage und Nächte andauert, sprechen die
       Demonstrierenden kaum noch über den Anstieg der Benzinpreise.
       
       Inzwischen geht es um [2][viel mehr]: um das ganze System, das politische
       System, das, ohne ein Gesetz im Parlament verabschiedet zu haben, eine
       radikale Änderung, die viele Bürgerinnen und Bürger betrifft, entschieden
       hat.
       
       Existenziell deshalb, weil es im Iran keine öffentlichen Verkehrsmittel
       gibt, die für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Die meisten
       Menschen im Land fahren eigene Autos oder mit Sammeltaxis. Es ist also kein
       Zufall, dass bei diesen Protesten die wohlhabenden Nachbarschaften Teherans
       relativ ruhig geblieben sind. Protestierende und Sicherheitskräfte stoßen
       eher in den Randgebieten der Groß- und Kleinstädte sowie großen Siedlungen
       aufeinander. Es ist ein Protest an den Rändern.
       
       Genau diese Menschen der Ränder fahren jeden Tag mit ihren billigen Autos
       in die nächste größere Stadt zur Arbeit oder sie arbeiten gleich selbst als
       (Sammel-)Taxifahrer. Haben sie kein eigenes Auto, geben sie jeden Monat
       einen erheblichen Teil ihres Einkommens für den Transport aus. Sie sind es,
       die am stärksten von der Benzinpreiserhöhung betroffen sind.
       
       ## 106 Todesfälle
       
       In über 50 Städten wehren sich diese Menschen dagegen. Laut offiziellen
       Quellen der Islamischen Republik sind bei den Protesten bisher drei Leute
       ums Leben gekommen. Im Gegensatz dazu sprechen Menschenrechtsorganisationen
       von 106 dokumentierten Todesfällen. Hinzu kommt: Der Iran befindet sich
       momentan in einem Internet-Shutdown. Für die Proteste bedeutet das: Es gibt
       keine vernünftige Berichterstattung.
       
       Solange die Presse abwesend ist, ist das islamische Regime fähig, alles zu
       tun, was zu seinem Machterhalt nötig ist, sagte mir ein Journalist aus dem
       Iran, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte.
       Seit Tagen hat er keine Verbindung mit der Außenwelt gehabt.
       
       In den vergangenen Tagen habe ich mit einigen Aktivist_innen und
       Journalist_innen sprechen können, die aufgrund der Internetblockade nicht
       an die Öffentlichkeit treten können. Sie gehen auf die Straße und riskieren
       ihr Leben und haben nur einen Wunsch: dass die Welt ihre Stimme hört und
       ihren Kampf sieht.
       
       Ihre erste Frage an mich war, ob denn alle wüssten, dass das Internet im
       Iran blockiert ist. Ob Iraner_innen im Ausland versuchten, Aufmerksamkeit
       für die Proteste zu schaffen.
       
       Während fast alle linken Aktivist_innen in den letzten Jahren inhaftiert,
       ins Ausland vertrieben oder auf anderen Wegen zum Schweigen gebracht worden
       sind, kämpfen viele Iraner_innen weiterhin für ihre Freiheit. Nur: Im
       Westen werden sie leider nicht gehört. Und das ist ein Problem.
       
       ## Linkes Schweigen
       
       Linke politische Gruppen in Europa und Deutschland behaupten gerne, soziale
       Gerechtigkeit sei ihnen wichtig. Geht es um den Iran, schweigen sie aber.
       Die Frage ist doch: Verdienen Menschen, die sich deutlich gegen eine
       westliche oder US-amerikanische Intervention, egal ob ökonomisch, politisch
       oder militärisch, positionieren und gleichzeitig gegen die Autorität des
       Gottesstaates kämpfen, keine Solidarität von deutschen und westlichen
       Linken?
       
       Vielleicht mag das Ausbleiben einer linken Solidaritätswelle damit zu tun
       haben, dass die Kritik am iranischen Regime im Kern etwas Proamerikanisches
       und Proimperialistisches hat, wer weiß. Es wirkt, als ob sich westliche
       linke Gruppen und Menschen lieber für eine menschenverachtende Diktatur
       entscheiden, als die Protestierenden zu unterstützen.
       
       20 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-Benzinpreiserhoehung-in-Iran/!5638671
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       ## AUTOREN
       
   DIR Omid Rezaee
       
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