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       # taz.de -- Milliarden für bessere Kitas: Das „Geld-für-alles-Gesetz“
       
       > 5,5 Milliarden Euro verteilt Familienministerin Giffey für bessere Kitas
       > an die Länder. Viele stecken das Geld auch in Gebührenfreiheit.
       
   IMG Bild: Nun alles gut? Familienministerin Giffey in einer Kita
       
       Berlin taz | Es sind gute Wochen für Bundesfamilienministerin Franziska
       Giffey (SPD). Erst hat die Freie Universität Berlin entschieden, dass
       [1][Giffey ihren Doktortitel behalten] darf. Vergangene Woche hat dann das
       Bundeskabinett Milliarden für den Ausbau der [2][Ganztagsbetreuung für
       Grundschulkinder] lockergemacht. Diese Woche nun bringt die Ministerin ihr
       bislang größtes politisches Projekt unter Dach und Fach: das
       „Gute-Kita-Gesetz“.
       
       Am Dienstag reiste Giffey deswegen zu ihrem nordrhein-westfälischen
       Amtskollegen nach Düsseldorf. Und am heutigen Mittwoch empfängt sie der
       hessische Sozialminister in Wiesbaden. Giffey wird mit zwei
       unterschriebenen Verträgen zurück nach Berlin kommen. Und die sind nicht
       nur für die Kitas in NRW und Hessen von größter Bedeutung.
       
       Zwar ist das „Gute-Kita-Gesetz“ der Bundesregierung schon seit Januar in
       Kraft. Doch von den 5,5 Milliarden Euro, mit denen Städte und Kommunen bis
       2022 die Qualität der Kinderbetreuung verbessern sollen, ist bislang noch
       kein einziger Cent geflossen. Erst jetzt, nachdem alle Bundesländer einen
       gesonderten Vertrag mit Giffeys Ministerium ausgehandelt und unterschrieben
       haben, wird das Geld – auch rückwirkend für 2019 – überwiesen. Und wie
       immer, [3][wenn der Bund in Bildung investiert], wird es kompliziert.
       
       Da auch frühkindliche Bildung Ländersache ist, gibt es 16 sehr
       unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man das Geld am liebsten
       einsetzen möchte. Dafür reicht ein Blick in die jeweiligen Vereinbarungen.
       
       ## Personal, Essen, Zeit
       
       Thüringen etwa will den Einsatz „multiprofessioneller Teams“ an Modellkitas
       testen, NRW die Öffnungszeiten der Kitas ausweiten, Baden-Württemberg die
       Qualifizierung von Tagespflegepersonal verbessern. Sachsen möchte mehr Zeit
       für „mittelbar pädagogische Tätigkeiten“ in den Einrichtungen ermöglichen,
       Brandenburg die Elternbeteiligung stärken und Rheinland-Pfalz die Küchen in
       den Kitas besser ausstatten. Die meisten Bundesländer gönnen sich ein
       [4][ganzes Bündel an Maßnahmen].Die Leipziger Frühpädagogikprofessorin
       Susanne Viernickel spricht von einem „Geld-für-alles-Gesetz“.
       
       Damit das föderale Chaos einigermaßen übersichtlich bleibt, hat Franziska
       Giffey die Länder gebeten, ihre Maßnahmen zehn vorgegebenen
       Handlungsfeldern wie „Starke Kitaleitung“ oder „Bedarfsgerechter Ausbau“
       zuzuordnen.
       
       Doch längst nicht alle investieren dort, wo Bildungsexpert:innen gerade den
       dringendsten Bedarf sehen. So wollen nur 11 der 16 Bundesländer mit den
       Giffey-Geldern den Betreuungsschlüssel verbessern – obwohl bundesweit nur
       rund ein Drittel der Krippenkinder (bis 3 Jahre) und der Kindergartenkinder
       (über 3 Jahre) in den Vorzug eines guten Betreuungsschlüssels kommen.
       Besonders gravierend ist die Situation in den ostdeutschen Bundesländern.
       
       Dort kommen mit 5,9 im Schnitt fast doppelt so viele Kleinkinder auf eine
       Erzieher:in wie in den westdeutschen Ländern.
       
       ## Sachsen Schlusslicht
       
       Die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation fällt sogar noch schlechter aus.
       Denn im Personalschlüssel der amtlichen Statistik kann die Arbeitszeit, die
       Erzieher:innen statt mit Kindern für Verwaltung oder Elterngespräche
       verwenden, nicht rausgerechnet werden. Vor allem in Sachsen und
       Mecklenburg-Vorpommern sei die Betreuungssituation für Krippenkinder
       „unhaltbar“, sagt Kathrin Bock-Famulla, die bei der Bertelsmann Stiftung
       den Bereich Frühkindliche Bildung leitet.
       
       „Wenn sich eine Fachkraft zum Teil um bis zu zehn Krippenkinder kümmern
       muss, kann sich das negativ auf die kognitive und soziale Entwicklung des
       Kindes auswirken“, warnt Bock-Famulla. Das werde von den politischen
       Entscheidungsträgern oft unterschätzt. Seit 2008 bringt die Bertelsmann
       Stiftung einen jährlichen [5][Monitor zur frühkindlichen Bildung] heraus.
       „Der Betreuungsschlüssel ist einer der wichtigsten Faktoren für die
       Kita-Qualität“, sagt Bock-Famulla. Das sei in der Forschung anerkannt.
       „Leider gibt es hier auch heute noch in fast jedem Bundesland dringenden
       Handlungsbedarf.“
       
       Doch bundesweit einheitliche Zielvorgaben, wie etwa einen verbindlichen
       Personalschlüssel, sucht man im „Gute-Kita-Gesetz“ vergeblich. Ein
       entsprechender Antrag der Grünen-Fraktion im Bundestag wurde abgelehnt,
       obwohl sich die Sachverständigen im Familienausschuss mehrheitlich dafür
       ausgesprochen hatten, darunter der Bundesverband Kindertagespflege und das
       Deutsche Jugendinstitut. Die Bundesregierung sei beim Versuch,
       Mindeststandards für Kitas bundesgesetzlich zu verankern, vor den Ländern
       eingeknickt, kritisierten die Grünen.
       
       Die Kommunen hingegen begrüßen, dass ihnen der Bund keine
       Qualitätsstandards diktiert. Die Anforderungen und Probleme seien je nach
       Kommune „höchst unterschiedlich“. Familienministerin Giffey selbst lobt die
       „Flexibilität“ ihres Gesetzes: „Wir bieten den Ländern einen
       Instrumentenkasten, aus dem sie die für sich passenden Angebote anhand
       ihres Bedarfs auswählen können“, warb Giffey bei der Abstimmung im
       Bundestag.
       
       ## Trend zur Gebührenfreiheit
       
       Selbst in die Beitragsfreiheit der Eltern dürfen die Bundesmittel fließen.
       In diesem Punkt hat sich die SPD bei der Abstimmung des Gesetzes gegen den
       Koalitionspartner CDU/CSU durchgesetzt. Und von diesem Angebot machen auch
       10 Bundesländer Gebrauch. Selbst Bayern weitete dieses Jahr seine
       Beitragszuschüsse an Eltern in Höhe von 100 Euro pro Monat auf alle
       Kindergartenkinder aus – und finanziert dieses Geschenk nun auch mit den
       erwarteten Bundesmitteln aus Berlin.
       
       Mecklenburg-Vorpommern steckt seinen Anteil am „Gute-Kita-Gesetz“ – 106
       Millionen Euro – trotz miserabler Betreuungsquoten sogar komplett in die
       Elternentlastung. Kein Wunder: Zum 1. Januar 2020 werden Kitas im ganzen
       Bundesland komplett gebührenfrei sein. Damit ist Mecklenburg-Vorpommern
       [6][nach Berlin das zweite Bundesland], in dem die Kita höchstens einen
       Zuschuss fürs Essen kostet.
       
       Auch Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Thüringen,
       Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben in den vergangenen Jahren Eltern
       entlastet. Nun stecken sie – mit Ausnahme von Hamburg und Niedersachsen –
       die erwarteten Bundesgelder auch in die Gebührenfreiheit.
       
       Ekin Deligöz, Mitglied im Haushaltsausschuss der Bundestagsfraktion der
       Grünen, hat errechnet, dass die Länder zwischen 2018 und 2022 etwa 4,7
       Milliarden Euro für Beitragsbefreiungen ausgeben. Deligöz spricht beim
       „Gute-Kita-Gesetz“ deshalb von „Etikettenschwindel“. Anstatt selbst in die
       Qualität der Kitas zu investieren, lässt man den Bund zahlen. In der Summe,
       so die Sorge, stagniere die Qualität.
       
       ## Geld bis 2022 oder länger?
       
       Ministerin Giffey hält dagegen: „Es geht darum, dass wir die Entlastung der
       Eltern bei den Gebühren auch als einen Aspekt von Teilhabe und Qualität
       verstehen.“ Tatsächlich nehmen Eltern, seitdem sie einen Rechtsanspruch auf
       einen Kitaplatz haben, das Betreuungsangebot stärker wahr. Allerdings
       belasten Kitagebühren arme Familien übermäßig stark, wie eine [7][Studie
       der Bertelsmann Stiftung] zeigt. Deshalb sollen die Länder auf Giffeys
       Wunsch hin die Kitagebühren für besonders bedürftige Eltern künftig ganz
       erlassen.
       
       Auch wenn die Länder unterschiedlich über Gebühren und Gebührenbefreiung
       denken, in einem Punkt sind sie sich einig: Dass der Bund die Mittel aus
       dem „Gute-Kita-Gesetz“ auch über 2022 hinaus zahlen sollte. „Wir erwarten
       jetzt, dass sich Frau Giffey durchsetzt und die Bundesmittel entfristet
       werden, um nachhaltig beste Bildungschancen für unsere Kinder zu
       ermöglichen“, forderte Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp
       (FDP) vor dem Treffen am Dienstag mit Giffey. Ähnlich hatten sich vor ihm
       auch die zuständigen Minister:innen anderer Bundesländer geäußert.
       
       Das Problem ist nur: Giffey hat die dauerhafte Beteiligung des Bundes zwar
       mehrfach als sicher dargestellt, noch gibt es dazu keinerlei formellen
       Beschluss. Lediglich im Abschlussbericht der Kommission „Gleichwertige
       Lebensverhältnisse“ verspricht die Bundesregierung, dass sie ihre
       „Verantwortung für die Qualität in der Kindestagesbetreuung über 2022
       hinaus wahrnehmen wird“. Was das konkret heißt, weiß niemand.
       
       ## Beruf nicht sexy
       
       Doch selbst wenn Giffey den Bundesländern diesen Wunsch erfüllt und die
       Mittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ dauerhaft fließen: Den Fachkräftemangel
       wird sie nicht so schnell in den Griff kriegen können. Laut der Prognose
       des Nationalen Bildungsberichts werden im Jahr 2025 300.000 Erzieher:innen
       fehlen. Bildungsexpertin Bock-Famulla von der Bertelsmann Stiftung
       empfiehlt deshalb, mehr Fokus auf die Ausbildungs- und Arbeitssituation von
       Erzieher:innen zu legen. Bisher würden Erzieher:innen während der
       Ausbildung etwa nicht vergütet, sondern müssen Schulgeld zahlen.
       
       Auch [8][verlässt jede:r Vierte das Arbeitsfeld Kita] nach den ersten fünf
       Berufsjahren. Zu viel Stress, zu geringe Bezahlung. Oft kommen auch noch
       befristete Verträge hinzu, die dazu führen, dass zu viele Erzieher:innen
       hinschmeißen.
       
       Immerhin einige Länder scheinen verstanden zu haben. Baden-Württemberg, das
       Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen
       haben sich darauf geeinigt, die Ausbildung für Erzieher:innen attraktiver
       zu gestalten. Mit dem Geld aus Berlin.
       
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       ## LINKS
       
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