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       # taz.de -- Islamismus in der Sahelzone: Ohne Plan gegen den Terror
       
       > In der Sahelzone tummeln sich terroristische Gruppen, Millionen von
       > Menschen sind auf der Flucht. Die internationale Bekämpfung funktioniert
       > nicht.
       
   IMG Bild: „Nieder mit Frankreich!“ – Demonstranten in Bamako solidarisieren sich mit getöteten Soldaten
       
       Bamako/Abuja taz | Im Zentrum von Malis Hauptstadt Bamako hängen an den
       Straßenrändern überall große Plakate. Sie zeigen Malier*innen verschiedener
       Ethnien, jung und alt, Männer und Frauen. Dazu der Slogan: „J’ai mon mot à
       dire“ – Ich habe ein Wörtchen mitzureden. Es ist der Hinweis auf den
       „nationalen Dialog“, den die Regierung organisiert, um das Land
       zusammenzubringen. Die Plakate sollen nach Mitspracherecht und
       Aufbruchstimmung klingen.
       
       Doch von Aufbruchstimmung ist nichts zu spüren, und das nicht nur in Mali.
       In der gesamten Sahelzone von Mali, Burkina Faso über Niger bis zur Region
       rund um den Tschadsee, wo Nigeria, Kamerun und Tschad aufeinandertreffen,
       sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor den sich ausbreitenden
       Angriffen terroristischer Gruppen. Sie sind immer besser vernetzt, und die
       Strategen der Terrorbekämpfung erscheinen immer ratloser.
       
       [1][Häufig kommt es in Grenzregionen zu Anschlägen und Angriffen], und
       häufig verlagern sich die Schauplätze sehr schnell. In Nigeria hat der
       „Islamische Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) – die Gruppe spaltete
       sich 2016 von Boko Haram ab und verfügt über 3.500 bis 5.000 Mitglieder –
       Kontakte zum „Islamischen Staat in der Größeren Sahara“ (ISGS) in Mali,
       Niger und besonders in Burkina Faso.
       
       Bereits 2017 schlossen sich in Mali Ansar Dine, die Macina-Befreiungsfront
       und Al-Mourabitoun zur islamistischen Sammelbewegung Jama’at Nasr al-Islam
       wal Muslimin (JNIM) zusammen, die sich seitdem in Burkina Faso ausgebreitet
       hat. ISWAP breitet sich zunehmend aus Nigeria aus und verübt im Tschad
       kleinere Anschläge sowie offenbar gezielte Entführungen. Aus dem Norden
       Kameruns heißt es, dass kaum ein Tag ohne Angriffe von Boko Haram vergehe.
       
       ## Islamisten versorgen Zivilbevölkerung
       
       „Die Zahl der Gruppen ist groß“, bestätigt Issouou Yahaya,
       Geschichtsprofessor aus Nigers Hauptstadt Niamey. Neben den Terrorgruppen
       gebe es auch ehemalige Rebellengruppen der Tuareg – sie kämpfen nicht mehr
       mit den Islamisten, aber sie machen jetzt in Mali beim „nationalen Dialog“
       auch nicht mit. Einzelne Kämpfer würden sich je nach Situation
       verschiedenen Bewegungen anschließen, sagt Yahaya.
       
       Gerade wenn es eher um Söldnertum und weniger um Ideologie geht,
       vereinfacht das den Austausch von Informationen und Waffen. Es zeigt auch,
       dass sich frühere Spekulationen nicht bewahrheiten, dass sich die
       verschiedenen islamistischen Bewegungen in Machtkämpfen gegenseitig
       schwächen und zerstören – im Gegenteil.
       
       Sie finanzieren sich über den Drogen- und Waffenhandel sowie Entführungen.
       Je weniger die Staatsmacht präsent ist, desto besser läuft das. Das zeigt
       beispielsweise die Entwicklung rund um dem Tschadsee. Dort baut Experten
       zufolge ISWAP eine Basisversorgung für die Zivilbevölkerung auf, wofür
       eigentlich der Staat zuständig ist. Auf diese Weise bindet die Terrorgruppe
       die Bevölkerung an sich, führt die Unfähigkeit des nigerianischen Staates
       vor und schafft sich so eine stille Reserve an Sympathisanten.
       
       „Westafrika hat diesen Umfang an Sicherheitsherausforderungen noch nie
       erlebt“, sagt Oshita Oshita, der in Nigerias Hauptstadt Abuja das Ubuntu
       Centre für Afrika, Friedenssicherung und Entwicklung leitet. „Wir sind bei
       einem Punkt angelangt, an dem nichtstaatliche bewaffnete Gruppierungen
       sogar Drohnen einsetzen. Das ist eine sehr ernst zu nehmende Entwicklung.
       Wir müssen verstehen, was passiert, um darauf angemessen zu reagieren.“
       
       ## Viele Missionen, wenig Austausch
       
       Der bisherige Ansatz lautete, immer mehr Militär zu schicken. In Mali ist
       die UN-Mission Minusma aktuell mit 14.400 Personen stationiert. Sie soll
       den Norden des Landes stabilisieren und die Zivilbevölkerung schützen, hat
       aber kein Mandat für die Bekämpfung von Terroristen. Das obliegt der
       französischen Antiterrormission Barkhane mit 4.500 Soldaten, drei Drohnen
       und 19 Hubschraubern in Mali, Niger und Tschad.
       
       Ein großes Problem ist die Koordination der verschiedenen internationalen
       Akteure. Informationen werden zwar ausgetauscht. [2][Doch es entstehen
       immer neue Missionen mit neuen Akteuren]. Sogar während des
       Afrika-Russland-Gipfels in Sotschi Ende Oktober wurde über
       Terrorismusbekämpfung diskutiert. Gemeinsame Anstrengungen seien wichtig,
       sagte Präsident Wladimir Putin. Aber es scheint kaum vorstellbar, dass
       Russland und Frankreich Afrika-Einsätze koordinieren.
       
       Berichten zufolge will Frankreich jetzt, dass Deutschland sich an einer
       neuen Mission „Tacouba“ (Säbel) beteiligt. Bundeswehrsoldaten sollen
       malische Truppen zu Spezialkräften ausbilden und sie dann sogar im Einsatz
       begleiten. Das ist ein Wunsch, von dem man in Mali immer wieder hört. Es
       war bisher jedoch von deutscher Seite aus weder rechtlich möglich noch
       politisch gewollt.
       
       Ohnehin läuft bereits seit 2013 die EU-Ausbildungsmission EUTM für Malis
       Armee in Koulikoro, das 60 Kilometer von Bamako entfernt liegt.
       Mittlerweile müssen alle Angehörigen der malischen Armee mindestens einmal
       ein Training durchlaufen. Immer wieder heißt es jedoch, dass ihnen die
       Ausrüstung fehle.
       
       ## Gewalt breitet sich aus
       
       Als schwierig gilt auch, dass die Armee sich einerseits im Wiederaufbau
       befindet, gleichzeitig aber ständig in den Kampfeinsatz zieht. Im Rahmen
       des Friedensvertrags von Algier mit den Tuareg-Rebellen aus dem Jahr 2015
       müssen die Streitkräfte darüber hinaus Tausende Exsoldaten reintegrieren,
       die während der Tuareg-Rebellion 2011 und 2012 desertiert waren. Es heißt,
       dass dies für Misstrauen und Widerstand sorgt.
       
       Auf regionaler Ebene sollen es die Streitkräfte der 2014 geschaffenen
       multinationalen Eingreiftruppe G5-Sahel richten, die von Mauretanien, Mali,
       Burkina Faso, Niger und Tschad gestellt wird. Sie zählt 5.000 Soldaten, die
       EU-Kommission hat sie seit 2017 mit 100 Millionen Euro unterstützt, mehr
       als Malis Armee mit offiziell über 16.000 Soldaten zur Verfügung hat.
       Professor Yahaya nennt sie jedoch einen „weißen Elefanten“. Er bezweifelt,
       dass alle fünf Länder ein ernsthaftes Interesse an der Bekämpfung des
       Terrorismus haben.
       
       Auch Gonta Alida Henriette Da, Vizepräsidentin der Menschenrechtskommission
       in Burkina Faso, hat nicht den Eindruck, dass die Regierung sich ernsthaft
       für die Sicherheitslage interessiert. Gewalt breitet sich immer weiter aus,
       zuletzt wurden Dutzende Arbeiter auf dem Weg zu einer Goldmine getötet,
       obwohl sie unter Militärschutz fuhren. Fast eine halbe Million Menschen
       wurden aus ihren Dörfern vertrieben.
       
       „Die Regierung befasst sich mit den Wahlen im kommenden Jahr. Wir fragen
       uns, wie man bei den leeren Dörfern überhaupt Wahlen durchführen will, an
       denen alle teilnehmen können“, sagt Da.
       
       Sie sieht noch ein Problem. „Es herrscht immer die Vorstellung, dass es nur
       die anderen trifft. Dabei hätten wir uns in Burkina Faso auch schon
       vorbereiten können, als in Mali die Krise begann. Das war nur wenige
       Kilometer von uns entfernt. Wir haben aber zugeschaut und gesagt: Das
       passiert doch in Mali, nicht hier. Das ist die triste Wahrheit.“
       
       19 Nov 2019
       
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