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       # taz.de -- Protest in Chile: Kampf für eine neue Verfassung
       
       > Die Demonstranten wollen sich nicht mit Sozialmaßnahmen abspeisen lassen.
       > Erneut kommt es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei.
       
   IMG Bild: Proteste gegen Chiles Regierung am 3. November auf der Plaza Italia in Santiago
       
       Buenos Aires taz | Um 18.53 Uhr bebte in Santiago de Chile die Erde. Schuld
       daran waren nicht die Tausenden Menschen, die sich zum „Súper Lunes“, zum
       Supermontag, auf und um die Plaza Italia im Zentrum der chilenischen
       Hauptstadt versammelt hatten. Das Epizentrum des Bebens mit der Stärke 6,1
       lag rund 290 Kilometer nördlich bei der Kleinstadt Illapel.
       
       Der Protest auf der Plaza Italia richtete sich gegen die von der Regierung
       angekündigten Sozialmaßnahmen. Die Demonstranten forderten stattdessen
       strukturelle Änderungen und eine neue Verfassung. Waren die Proteste
       zunächst friedlich verlaufen, kam es am Abend zu schweren
       Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Uniformierten.
       
       Bisher versucht die Regierung von [1][Präsident Sebastián Piñera] und seine
       Vier-Parteienallianz Chile Vamos die Forderung nach der Verfassungsreform
       mit der Ankündigung sozialer Verbesserungen auszubremsen. Tonangebend in
       der Regierungsallianz sind die rechtsliberale Renovación Nacional (RN)
       sowie die pinochettreue Unión Demócrata Independiente (UDI).
       
       „Was die Menschen jetzt wollen, ist eine Lösung bei den Themen Renten,
       Löhne und Gesundheit. Dagegen dauert eine Verfassungsänderung mehr als ein
       Jahr“, so der RN-Vorsitzende Mario Desbordes. Und die UDI-Vorsitzende
       Jacqueline van Rysselberghe erklärte: „Die Änderung der Verfassung ist kein
       Ausweg aus der Krise, denn sie ist keine politische, sondern eine soziale
       Krise.“
       
       ## Weg frei
       
       Nägel mit Köpfen machte dagegen das Mitte-links-Oppositionsbündnis Nueva
       Mayoría am Montag im Verfassungsausschuss des Abgeordnetenhauses. Gegen die
       Stimmen der Regierungsallianz machte es den Weg für eine Debatte im
       Parlament über eine neue Verfassung frei und darüber, ob der Kongress oder
       eine verfassunggebende Versammlung diese ausarbeiten soll.
       
       Zustimmung kam bereits vom Senat. „Wir werden nicht warten, bis die
       Regierung auf die Rufe der Bevölkerung hört. Für eine Lösung der schweren
       Krise des Landes sind strukturelle Veränderungen erforderlich“, sagte
       Senatspräsident und Sprecher der Nueva Mayoría, Jaime Quintana.
       
       Noch immer gilt in Chile [2][die Verfassung der Pinochet-Diktatur]
       (1973–1990) aus dem Jahr 1980, die de facto den Neoliberalismus als
       alleinige Wirtschaftsdoktrin festschreibt. Deshalb ist auch knapp 30 Jahre
       nach dem Ende der Diktatur noch immer nahezu alles in privater Hand –
       darunter Bildung, Gesundheit, Renten und auch das Wasser.
       
       Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts Cadem sind inzwischen 87 Prozent
       der Bevölkerung für eine Verfassungsreform. 46 Prozent sind zudem der
       Meinung, diese sollte durch eine verfassunggebende Versammlung
       ausgearbeitet werden, 13 Prozent sehen im Kongress den geeigneten Ort
       dafür.
       
       Die Verfassungsreform war eines der entscheidenden Versprechen der
       ehemaligen sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet (2006–2010 und
       2014–2018) für ihre zweite Amtszeit. Für Bachelet war stets der Kongress
       die dafür zuständige Institution. Noch kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit
       2018 hatte sie den jetzt reaktivierten Reformvorschlag in den Kongress
       eingebracht. Unter Präsident Piñera hatte er dort auf Eis gelegen.
       
       5 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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