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       # taz.de -- Klimawandel in Ägypten: Mit App und Solarpumpe
       
       > Im Dorf El-Boghdadi haben die Bauern noch nie von Greta Thunberg gehört.
       > Die Folgen des Klimawandels bekommen sie dennoch zu spüren.
       
   IMG Bild: Ein Bewässerungkanal, der vom Nil abgeht
       
       Gespannt schaut das Publikum auf den geizigen Bauern, der partout seine
       Bewässerungsanlagen nicht erneuern will. Der Uneinsichtige steht auf der
       mit Teppichen ausgelegten Bühne im Hof des Gemeindezentrums, hinter dem
       Schauspieler ist ein breites Banner mit einem goldenen Weizenfeld
       aufgespannt.
       
       Für die Männer, Frauen und Kinder im Dorf ist das Theaterstück eine
       willkommene Unterbrechung ihres Alltags. Für die Vorstellung haben die
       Männer ihre Feierabend-Gallabeyas angelegt, die für die ägyptischen Bauern
       üblichen Beinkleider. Die Frauen tragen die für das südliche Ägypten
       typischen bunten Kleider.
       
       Doch die Komödie, die die Bewohner von al-Boghdadi an diesem Abend
       sichtlich genießen, hat einen ernsten Hintergrund: den Klimawandel, der
       auch ihre Heimat trifft. In dem Stück erfahren die Bauern, wie dieser sich
       auf Ägypten und ihre tägliche Arbeit auswirkt. Sie hören, dass die extremen
       Hitzewellen, die das Land im vergangenen Jahr erlebt hat, kein Zufall sind
       und dass sie als Bauern klug mit dem [1][immer knapper werdenden Wasser]
       umgehen müssen.
       
       In dem Theaterstück weigert sich der geizige Bauer zunächst, die
       Bewässerungsrinnen auf seinem Feld zu erneuern und mit Ziegeln und Zement
       auszukleiden. Er wird vermeintlich tot nach Hause gebracht, weil er in
       seiner alten Erd-Bewässerungsrinne von einer Schlange gebissen wurde. Vor
       seinem leblosen Körper spotten die anderen über seine Torheit, sich den
       Neuerungen verschlossen zu haben, als er überraschend aufwacht und sich
       geläutert zeigt. Mit Musik und einem Fest feiern die Laienschauspieler die
       Entscheidung. Am Ende tanzt auch das Publikum mit.
       
       Das kleine ägyptische Dorf al-Boghdadi liegt gerade einmal eine
       Viertelstunde mit dem Auto von den berühmten altägyptischen Tempeln in
       Luxor und Karnak entfernt. Aber hierher verirrt sich kein Tourist. Die
       meisten von ihnen lassen das Dorf einfach links liegen, wenn sie über die
       einzige Nilbrücke zum Tal der Könige auf dem Westufer fahren oder weiter
       in den Süden nach Assuan. Es ist ein typisches südägyptisches Dorf zwischen
       Zuckerohr-, Weizenfeldern und Bananenhainen.
       
       Das Dorfleben spielt sich abends rund um die Moschee und das daran
       angeschlossene Gemeinschaftszentrum ab. An diesem Abend kommen die Leute
       nach dem Abendgebet hier zusammen, um dem Stück der Theatertruppe
       beizuwohnen, die in der Provinz Luxor von Dorf zu Dorf zieht. Und es kommt
       gut an.
       
       Zum Beispiel bei Bauer Ramadan Mohamed: „Ich habe mit anderen Bauern schon
       oft versucht, über das Thema Klimaveränderung zu reden, bin aber auf taube
       Ohren gestoßen. Das Theaterstück hat jetzt alle aufhorchen lassen“, sagt er
       nach der Vorstellung. Und die Laienschauspelerin Angham Muhammad pflichtet
       bei: „Wir haben jetzt November und es ist immer noch heiß. Eigentlich
       sollte es schon kühler sein. Das sind die Klimaveränderungen, von denen wir
       im Theaterstück sprechen.“
       
       Für Osman al-Scheich ist das von ihm vor sechs Jahren ins Leben gerufene
       Theaterprojekt die Möglichkeit, „dass eine ganze Dorfgemeinschaft
       zusammenkommt und auf unterhaltsame Weise nicht nur den Klimawandel als
       Konzept kennenlernt, sondern auch Lösungen präsentiert bekommt“. Osman
       leitet ein vom UN-Welternährungsprogramm WFP finanziertes Projekt zum
       Klimawandel und zu dessen Auswirkung auf die Bauern. Er will Kleinbauern
       ermutigen, neue Bewässerungsmethoden anzuwenden.
       
       Schon jetzt, erklärt er, haben die Ägypter pro Kopf nur 700 Kubikmeter
       Wasser im Jahr zur Verfügung. Die offizielle Wasserarmuts-Grenze liege bei
       1.000 Kubikmetern. Und die Klimawandel-Modelle für den Nil verheißen wenig
       Gutes, erläutert er. Die meisten sagen eine Verringerung der Regenfälle im
       äthiopischen Hochland voraus. Das pessimistischste Szenario geht gar davon
       aus, dass der Nil bis 2050 bis zur Hälfte seines Wassers verlieren könnte,
       während die Temperaturen zunehmen. Laut dem Welternährungsprogramm droht
       Ägypten bis 2050 ein Rückgang seiner landwirtschaftlichen Produktion von
       mindestens einem Drittel.
       
       Auch der Bauer Gaber Aballah hat das Theaterstück schon mehrmals gesehen,
       als wir ihn am nächsten Tag auf den Feldern treffen. „Wir verstehen nicht,
       wenn irgendwelche Berater und Ingenieure kommen und mit uns über den
       Klimawandel reden. Aber dieses Theaterstück bringt einfachen Bauern wie uns
       das Thema näher“, sagt er. Er will zeigen, wie die Bauern hier das Ganze
       schon umgesetzt haben. Zunächst führt er entlang der alten
       Bewässerungsrinnen neben einem Bananenhain. Wie schon zu pharaonischen
       Zeiten läuft das Wasser entlang einer Erdrinne. Eine Gruppe von Reihern
       sucht in der fast vollkommen zugewachsenen Rinne nach Essbarem. Ein großer
       Teil des Wassers versickert bereits, bevor es bei der Feldfrucht ankommt.
       
       Wir kommen schließlich an den Ort, an dem eine Gruppe von Bauern gerade
       eine neue Bewässerungsrinne baut. Sie legen entlang des Feldes einen Meter
       breit Ziegel auf und ziehen an den Seiten Wände hoch. Gemächlich kommt ein
       Eselskarren mit Reiter den Feldweg entlangkutschiert. Er bringt den frisch
       gemischten Zement, mit dem das ganze Bauwerk dann verkleidet wird.
       
       Der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels ist hier kein Hightech-Projekt.
       Aber es ist effektiv, beschreibt Gabr Abdallah: „Mit der Modernisierung der
       Bewässerungskanäle sparen wir bis zu 25 Prozent Wasser. Dazu kommt neues
       Saatgut, das weniger Wasser braucht. Insgesamt sparen wir bis zu 40 Prozent
       Wasser“, erzählt er. Wenn man bedenkt, dass die Landwirtschaft 80 Prozent
       des Wassers in Ägypten verbraucht, versprechen solche einfachen Projekte
       enorme Einsparungspotenziale. Mit weniger Wasser können die Bauern ihre
       Erträge sogar steigern.
       
       Ein paar Schritte weiter ist eine neue Rinne bereits fertiggestellt. Das
       Wasser fließt in einer Art großen Regenrinne aus Ziegel und Zement. Früher
       brauchte das Wasser von der zwei Kilometer entfernten Pumpe mehr als eine
       Stunde, um sich den Weg im Erdreich zu bahnen, nun ist es bereits in 10
       Minuten da, erzählt einer der Bauern begeistert. Die Pumpe ist das
       Herzstück der Bewässerung.
       
       Sie pumpt das Wasser vom großen Bewässerungskanal, der vom Nil kommt, in
       die neuen Bewässerungsrinnen. Auch die Pumpe selbst ist ein Novum.
       Angetrieben ist sie von einer Gruppe von Solarmodulen, die neben dem großen
       Bewässerungskanal aufgestellt sind, ganz ohne CO2-Ausstoß und für die
       Bauern besonders wichtig: Sie sparen den teuren Diesel.
       
       Es hat eine Weile gedauert, die Bauern von den Vorzügen der Modernisierung
       zu überzeugen. Rohre wären, wegen der Verdunstung, eigentlich besser
       gewesen als die Rinnen, die jetzt gebaut werden. „Aber die ägyptischen
       Bauern müssen mit den eigenen Augen sehen, wie das Wasser ihre Felder
       entlangfließt, alles andere akzeptieren sie zunächst nicht“, meint der
       Projektleiter Osman und erzählt von den anfänglichen Widerständen.
       
       „Manche Bauern hatten eingewendet, dass das Klima doch von Gott geschaffen
       sei und dass man daran nichts ändern könne. Ich habe ihnen geantwortet, ihr
       zieht euch doch auch warm an, wenn es kalt ist, oder benutzt einen
       Ventilator, wenn es heiß ist, und trotzdem seid ihr gläubig.“
       
       Das Theaterstück war die Initialzündung. Es sei nicht so einfach gewesen,
       Freiwillige zu finden. „Ihre kleinen Felder sind alles, was sie haben, um
       das Überleben ihrer Familien zu sichern. Daher sind die Kleinbauern wenig
       experimentierfreudig“, erklärt Osman El-Scheich deren zögerliches
       Verhalten. Die ersten eingefassten Bewässerungsrinnen wurden noch voll
       finanziert, erzählt er. Als die Bauern dann gesehen haben, wie gut es
       funktioniert, kam sofort die zweite Gruppe und wollte auch solche Rinnen
       bauen.
       
       Die mussten bereits die Hälfte aus der eigenen Tasche bezahlen. Inzwischen
       legen die Bauern ihr Geld zusammen und finanzieren das neue
       Bewässerungssystem ganz aus ihren eigenen Taschen. Das Projekt leistet nur
       noch technische Hilfe. Ein ähnliches Schema wird nun auch für die
       Solarenergie-Pumpen angewendet, für die die Bauern sich zu
       „Wassergemeinschaften“ zusammentun müssen.
       
       Doch das ist nicht genug der Neuerungen. Osman zückt sein Smartphone aus
       seiner Tasche und stellt eine neu entwickelte arabische App vor. „Lieber
       Bauer, um zu verhindern, dass Wetterveränderungen deiner Ernte schaden,
       trage folgende Informationen ein und folge den Instruktionen“, heißt es
       dort. Dann kann man eintragen, welche Feldfrucht wann und an welchem Ort im
       südlichen Ägypten zwischen Luxor und Assuan angebaut wird. Die App ist mit
       einem offiziellen detaillierten Wetterbericht verbunden und gibt Tipps zur
       Bewässerung, Schädlingsbekämpfung und vorgeschlagenen Erntezeit und zur
       richtigen Pflege während der Hitzewellen.
       
       Der Einwand, dass viele Bauern kein Smartphone besitzen und manche von
       ihnen nicht lesen und schreiben können, ringt Osman ein Lächeln ab. Er
       verweist auf Scheich Ahmad, der im Dorf al-Boghdadi der Kontaktmann des
       Projektes ist, um zu zeigen, wie kreativ sie dieses Problem lösen.
       
       Scheich Ahmad führt kurzerhand in die Dorfmoschee, hustet ein paar Mal zum
       Soundcheck ins Mikrofon, mit dem der Muezzin normalerweise fünfmal am Tag
       zum Gebet ruft, und liest, in der Gebetsnische stehend, von der App auf
       seinem Smartphone die neusten Tipps des Tages vor. Das Dorf steht kurz vor
       der Ernte des Zuckerrohrs, das im März angepflanzt wurde.
       
       „Kontrolliert noch einmal auf Schädlinge und hört etwa 15–25 Tage vor der
       Ernte auf, das Zuckerrohr zu bewässern, je nach Zuckerrohr und Standort“,
       liest er vor, während seine Worte über den Lautsprecher des Minaretts
       durchs Dorf hallen. Kurz drauf kommt auch schon ein Bauer in den
       Gebetsraum, um noch nähere Details zu erfragen. In dem kleinen ägyptischen
       Dorf al-Boghdadi wissen sie nicht, was im Pariser Klimaabkommen steht,
       haben niemals Klimastudien gelesen, noch haben sie hier jemals von der
       schwedischen [2][Aktivistin Greta Thunberg] gehört.
       
       Dennoch spüren die Dorfbewohner: Die Folgen des Klimawandels sind auch in
       ihrer kleinen ägyptischen Dorfmoschee angekommen.
       
       28 Nov 2019
       
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