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       # taz.de -- Budgetkürzung in Belgien: Kulturkampf der Rechten
       
       > Die flämische Regierung hat das Budget für Kultur gekürzt, die für eine
       > offene Gesellschaft steht. Die Szene protestiert.
       
   IMG Bild: Am 12. November vor der Beursschouwburg in Brüssel: 2000 Künstl*innen protestieren
       
       Am 7. November erschütterte eine Neuigkeit [1][Flandern]: Die
       rechtsliberale Regierung unter dem N-VA-Ministerpräsidenten und
       Kulturminister Jan Jambon kürzt Anfang des Jahres 2020 das Budget der
       großen Kulturinstitutionen um 3 bis 6 Prozent, die freie Projektförderung
       um 60 Prozent. Insgesamt werden 22 Millionen Euro gestrichen. Zum ersten
       Aktionstag am 12. November, einberufen am multidisziplinären Kunstzentrum
       Beursschouwburg in Brüssel, erschienen über 2.000 Kulturschaffende aus dem
       ganzen Land.
       
       Unter der Losung #thisisourculture laufen seither Aktionen aller Art. Fast
       ungläubig wurde vor diesem Hintergrund vergangenen Freitag, am 15.
       November, in Flandern die Meldung aufgenommen, dass die deutsche
       Bundesregierung ihre Ausgaben für Kultur um zusätzliche 54 Millionen
       steigert, auf insgesamt über 2 Milliarden.
       
       „Die künstlerische Avantgarde belebt den demokratischen Diskurs“, wird die
       deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der Pressemitteilung
       zitiert. Und: sie hat recht, niemand ist ein so guter Verbündeter für die
       offene Gesellschaft wie eine freie Kulturszene. Und das weiß auch die
       flämische Rechte, die die Avantgarde nun loswerden will.
       
       ## Flanders freie Szene ist berühmt
       
       Denn im Gegensatz zu Deutschland, das über ein enges Netz von Stadttheatern
       verfügt, liegt die Stärke der flämischen Kunstproduktion in der freien
       Szene. Es gibt in ganz Flandern nur drei Stadttheater – eines davon ist das
       NTGent. All die großen Namen ([2][Anne Teresa De Keersmaeker], Alain
       Platel, Needcompany, Miet Warlop, [3][Luk Perceval]) der flämischen Kunst
       kommen aus der freien Szene.
       
       Eine radikale Kürzung der freien Projektförderung, einhergehend mit einer
       Schwächung der festen Institutionen, bedeutet das Ende der
       Performance-Geschichte in Flandern. Denn beides ist nur das letzte Kapitel
       einer seit über zehn Jahren anhaltenden Sparwelle im flämischen
       Kultursektor. Dabei produziert keine andere Branche der belgischen
       Wirtschaft so viel Mehrwert und sorgt derart kostengünstig für
       internationale Ausstrahlung.
       
       ## Internationaler Protest
       
       Ein Brief internationaler Kuratoren von der Tate Modern bis zu den Wiener
       Festwochen an den Ministerpräsidenten Jambon fasste all diese Argumente
       zusammen, garniert mit eigentlich rechtsliberalen Trigger-Wörter wie
       „flämische Emanzipation“ und „internationale Exzellenz“. Was vor 15 Jahren
       noch keine*r Linken über die Lippen gekommen wäre, ist längst gängige
       Rhetorik im Kunstsektor.
       
       In Dutzenden von weiteren Statements und offenen Briefen bemühen sich die
       Künstler*innen, ihre Verbundenheit mit Flandern zu unterstreichen. Aber
       neoliberale und identitäre Gleichschaltung reicht Rechten nicht mehr. Man
       will die Avantgarde, auch wenn sie flämisch und ökonomisch exzellent ist,
       weghaben. Einfach deshalb, weil sie „den demokratischen Diskurs belebt“.
       
       Während ringsum rechte bis faschistische Regierungen die Macht übernehmen –
       in Ungarn, Brasilien, den USA und neuerdings auch in Bolivien, um nur ein
       paar Beispiele zu nennen –, verschärft sich nun der Kulturkampf auch in der
       europäischen Hauptstadt.
       
       Denn es geht bei den Kürzungen um mehr als um „künstlerische Experimente“,
       wie die rechte, von der Linken unnötigerweise übernommene Propaganda
       glauben machen will. Es geht um den Erhalt demokratischer Kunst jenseits
       von Opernhäusern und Kriegsdenkmälern. Wenn wir diesen Kampf nicht
       gewinnen, sind all unsere anderen Kämpfe um Gleichberechtigung oder
       Diversität sinnlos.
       
       19 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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