URI: 
       # taz.de -- Grüne Wirtschaft: Bin ich ein Klimakiller?
       
       > Wer wo sein Geld investiert, ist zentral für einen ökologischen Umbau der
       > Wirtschaft. Die Frage ist, wie man mit Anlagen am besten vorgeht.
       
   IMG Bild: Grünes Geld für eine grüne Wirtschaft – alles steht und fällt mit der richtigen Anlage
       
       Liebes Geld, was treibst du so? Viel hab ich nicht, aber seit ein paar
       Jahren riester ich. In großer Sorge wegen des drohenden Klimakollapses rief
       ich in offizieller Pressemission bei meinem Versicherer an und wollte
       wissen, wo er mein Geld angelegt hat. In welchem Staat und in welchem
       Unternehmen, was anderes gibt es ja nicht zum Investieren. Zahle ich etwa
       für Ölbohrungen?
       
       Ein Sprecher gibt sich Mühe und forscht nach, kann es mir aber nicht sagen.
       Es sei viel zu kompliziert, einzelnen Kund*innen aufzudröseln, wo ihr
       Geld steckt.
       
       Bin ich wohl selbst schuld, es hätte auch Anbieter gegeben, die transparent
       sind. Der Sprecher schreibt außerdem, man schließe grundsätzlich Anlagen in
       Unternehmen aus, „die ausbeuterische Kinderarbeit gemäß ILO-Standards
       betreiben“. Muss man das extra erwähnen? Ich dachte immer, Kinderarbeit sei
       ein Verbrechen. Auch Unternehmen, die Streumunition,
       Anti-Personen-Landminen sowie Nuklearwaffen herstellen, seien raus (wie
       beruhigend), ebenso Unternehmen, „die größere Umsätze in den Bereichen
       Glücksspiel, Pornografie und Tabak generieren“. Was heißt „größere
       Umsätze“?
       
       Ich reite auf dem Punkt herum, weil Transparenz bezüglich der Frage, wer wo
       sein Geld investiert und was es da macht, zentral für die Abwendung des
       Klimakollapses ist. Denn Umfragen ergeben, dass die meisten Menschen in den
       Industrieländern die Erderhitzung als große Bedrohung sehen. Auch
       Unternehmen können sich dieser Erkenntnis nicht entziehen, so wie
       Zentralbanken, Versicherer und Finanzaufsicht. Wie aber übersetzt man
       dieses Entsetzen in die entscheidende Währung: Geld?
       
       ## Kaufen Sie etwas anderes
       
       Eigentlich braucht es nur Warnschilder auf allen Finanzprodukten, von der
       Riester-Rente über den Aktien- bis zum Immobilienfonds, etwa derart: Mit
       dieser Geldanlage tragen Sie zu einer Erderwärmung um 3 Grad bei und
       gefährden so die Zukunft der Menschheit. Kaufen Sie besser etwas anderes.
       
       Die Finanzindustrie wehrt sich mit Geldhänden und Lobbyfüßen gegen solche
       Regeln, obwohl Banken, Versicherer und Fondsmanager gerade zusammen mit
       NGOs und Wissenschaftler*innen im Auftrag der EU ein sehr, sehr komplexes
       Regelwerk darüber erarbeitet haben, wie man solche Warnschilder umsetzte
       könnte. Über die Regelungen verhandeln EU-Parlament, Rat und Kommission
       gerade final. Ein epochales Werk, allerdings wird seine Anwendung
       freiwillig sein. Das ist gerade so, als könnte die Tabakindustrie
       Schockbilder auf ihre Kippenschachteln kleben oder eben auch nicht.
       
       Trotzdem halten 50 Umweltorganisationen in einem Brief das Regelwerk für
       „angemessen“. Einige Beobachter*innen sprachen gar von einem Durchbruch,
       weil es bald in einem so großen Wirtschaftsraum wie der EU eine
       einheitliche Definition dessen gibt, was eine „nachhaltige Geldanlage“ ist.
       Beispiel gefällig? Wenn ein Unternehmen eine Anleihe ausgibt, mit der es
       den Bau von Autos finanziert, die weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer
       ausstoßen. Solche Ziele sind nicht auf ewig fixiert, sie sollen allmählich
       schärfer gefasst werden.
       
       Auch soziale Standards müssen eingehalten werden. Grundsätzlich definiert
       die EU sechs ökologische Grundprinzipien. Eine grüne Geldanlage muss
       mindestens einem davon nutzen, etwa dem Klimaschutz, darf aber keinem
       schaden, etwa dem Schutz der Meere.
       
       ## Mächtige Verbündete im Kampf für das Klima
       
       Unabhängig davon wird mein Versicherer anhand der allgemeingültigen
       Definition bald bewerten können, ob ich mit meinem Riester-Geld das Klima
       kille. Ich werde dann noch mal nerven. Hinzu kommt, dass wirklich alle
       Finanzmarktakteure in der EU uns bald nicht mehr den letzten
       klimaschädlichen Mist als Rente oder Versicherung andrehen dürfen, sondern
       eine ökologische Alternative vorschlagen müssen.
       
       In Teilen der Finanzwelt herrscht deshalb bereits helle Aufregung. Einige
       Banken und Versicherer bauen Datenbanken auf, in denen sie Unternehmen
       nicht mehr nur nach Gewinn, sondern auch nach CO2-Bilanzen bewerten.
       Vorreiter bei den Investoren sind Pensionsfonds und große Versicherer.
       Weil die unser aller Beiträge einsammeln, übertragen wir ihnen die Macht,
       über unsere Zukunft zu entscheiden. Sie bunkern unser Geld ja nicht im
       Tresor, sie müssen es investieren, also es Staaten oder Unternehmen gegen
       Zinsen leihen. Diese Unternehmen entwickeln Autos, programmieren Software,
       investieren in sauberen oder schmutzigen Stahl oder Energie, backen
       Brötchen, entscheiden also darüber, ob der Planet vor die Hunde geht.
       
       Versicherer jagen nicht kurzfristiger Rendite hinterher. Sie müssen in 40
       Jahren noch solvent sein und uns die Renten auszahlen. Sie denken also
       langfristig. Für sie ist die Aussicht, dass überflutete Küstenstädte und
       Hurrikans ihre Geldanlagen vernichten, eine echte ökonomische Bedrohung.
       Sie sind die mächtigsten Verbündeten, die man sich suchen kann, wenn man
       Klimaschutz betreiben will.
       
       Warum geben sie ihr Geld nicht einfach nur noch Unternehmen, die
       Solarzellen oder Kindergärten oder Häuser bauen, die mehr Energie
       produzieren als verbrauchen? Ganz einfach, weil der saubere Teil der
       Wirtschaft viel zu klein ist für die schiere Menge an Geld, die angelegt
       werden muss.
       
       ## Ran an den harten Kern der Industrie
       
       Wenn Sie ganz persönlich Ihr Geld ethisch oder ökologisch anlegen wollen,
       geht das ohne Weiteres bei entsprechenden Instituten, die Auto-, Stahl-
       oder Chemieunternehmen kategorisch ausschließen. Aber falls sie zufällig 37
       Billionen Dollar sinnvoll investieren müssen, wird es schwierig. So viel
       verwalten allein die 15 größten Assetmanager der Welt. Das ist ein
       amazonasbreiter Strom an Kapital, weit mehr, als die paar Ökomühlen am Ufer
       verwerten können.
       
       Dazu kommt ein weiterer Punkt: Wer macht Druck auf die Autoindustrie, die
       Stahlkocher, die Zementhersteller? In dieser Woche veröffentlichten zwei
       Institute eine Studie, die eindeutig auf der ökologischen Seite der
       Schlachtordnung stehen: „Investitionsdilemma der energieintensiven
       Industrie lösen und industriellen Klimaschutz ermöglichen“, überschreiben
       der Thinktank Agora Energiewende und das Wuppertal Institut eine
       Untersuchung, in der sie, salopp gesagt, formulierten: Klimaschutz in
       Europa ist witzlos, wenn die Grundstoffe wie Chemie, Stahl oder Zement
       nicht ökologisch hergestellt, sondern schmutzig importiert werden. Wer den
       Klimakollaps verhindern will, der muss an den harten Kern der Industrie
       ran.
       
       Erstaunlich ist, dass mittlerweile Industrie und Ökovordenker dieselben
       Maßnahmen fordern: Schutz vor billigen, aber klimaschädlichen Importen etwa
       aus China oder den USA, staatliche Abnahmegarantien für klimafreundlichen
       Stahl oder klimafreundliche Chemie, einen Preis für CO2. Steht so in einem
       Forderungskatalog des Stahl- und Rüstungskonzerns Thyssenkrupp ebenso wie
       in der oben erwähnten Studie der Ökos.
       
       Das alles bringt ökologisch orientierte Investoren in ein Dilemma: Viele
       der Unternehmen, die sich umstellen müssten, arbeiten heute noch extrem
       schmutzig. Eigentlich undenkbar, aus ihnen eine Art grüne Geldanlage zu
       machen. Und trotzdem brauchen sie für ihre Ökotransformation Kapital. „Die
       große Kunst besteht darin, eine Transformation zu begleiten und nicht
       einfach zu sagen, wir schließen euch aus und interessieren uns nicht“, sagt
       etwa Georg Schürmann, Geschäftsleiter der ethisch-ökologischen Triodos
       Bank in Deutschland.
       
       ## So könnte es gehen
       
       Allerdings müsse man sich das von Fall zu Fall anschauen: Arbeiten im
       Unternehmen alle, vom Management über die Produktentwickler bis zur
       Forschungsabteilung, ernsthaft daran, die Klimazerstörung zu beenden? Oder
       handelt es sich nur um ein Feigenblatt für ein besseres Image? Bei der
       Beurteilung spielen die großen Versicherer eine wichtige Rolle, weil sie
       wegen ihrer schieren Kapitalkraft so viele Anteile an Unternehmen erwerben
       können, dass sie tiefe Einblick haben und jederzeit dem Chef persönlich den
       Kopf waschen können, falls der nur quatscht und nichts tut.
       
       Einige von ihnen verfolgen diesen Ansatz sehr ernsthaft: Die britische NGO
       InfluenceMap bescheinigte den europäischen Vermögensverwaltern Legal &
       General, UBS, Axa, Allianz und Crédit Agricole, mit ihrer kapitalen
       Feuerkraft Unternehmen ernsthaft zu mehr Klimaschutz zu treiben und ihre
       Lobbyisten gar für mehr, nicht weniger Klimaschutz auf die Regierungen
       anzusetzen. Schlecht schneiden dagegen die US-Amerikaner ab, etwa
       BlackRock, Goldman Sachs und JPMorgan Chase.
       
       Für Investoren ist Klimaschutz mittlerweile mehr als nur eine ethische
       Frage: Weil immer mehr Staaten den Ausstoß von CO2 teurer machen, werden
       Investitionen in fossile Energieträger riskanter. Weil viele Banken Geld in
       Öl, Kohle oder Gas investiert haben, fürchten Finanzmarktaufsichten, dass
       Banken ins Wanken geraten könnten, wenn das Zeug immer weniger wert wird.
       
       Kürzlich schrieb die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht an die
       rund 8.000 von ihr beaufsichtigten Banken, Versicherer und Fonds, „eine
       strategische Befassung mit Nachhaltigkeitsrisiken und eine entsprechende
       Umsetzung“ seien erforderlich. Soll heißen: Wir erwarten, dass ihr Klima,
       Umwelt und soziale Fragen als Risikofaktoren in eure Geschäftsmodelle
       integriert.
       
       Der ökologische Umbau der Wirtschaft funktioniert am Ende vielleicht
       ähnlich wie das Klima selbst: mit Kipppunkten, sich selbst verstärkenden
       Wechselwirkungen. Jedes Unternehmen, das sich aufmacht, klimaneutral zu
       werden, verstärkt den Druck auf die Politik, die Rahmenbedingungen dafür zu
       schaffen. Was wieder mehr Investoren lockt, mehr Unternehmen zum Umdenken
       bringt. Immer, wenn das Rad stockt, treiben Proteste es wieder an. So
       könnte es gehen.
       
       30 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wirtschaft
   DIR Geldanlage
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Verbrennungskapazitäten
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR EU-Förderprgrogramm
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR AKW
   DIR Klima
   DIR Erneuerbare Energien
   DIR Nachhaltigkeit
   DIR Banken
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue EU-Regeln bei der Geldanlage: Bankberatung in grün
       
       Ab August müssen Anlageberater auch über nachhaltige Geldanlagen
       informieren. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
       
   DIR Müllverbrennung in Zementfabriken: Schadstoffe in Zementwerken
       
       Mit einem neuen Gesetz wollen die Grünen Schlupflöcher für die
       Zementindustrie stopfen. Bislang galten für sie weniger strenge Regeln.
       
   DIR Wallstreet und die Kohle: ÖkoRock?
       
       BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, tüncht sich grün. Warum
       die Klimabewegung jubelt, obwohl die Ankündigung Schlupflöcher hat.
       
   DIR EU definiert grüne Geldanlagen: Nachhaltige Finanzmärkte
       
       Die Europäische Union einigt sich auf Bestimmungen zu „grünen
       Investitionen“. Atomkraft bleibt allerdings ein Streitpunkt.
       
   DIR Krise in der Automobilindustrie: Feuer in der Puppenstube
       
       „Reifen werden immer gebraucht“, sagt der Gewerkschafter. Doch im
       idyllischen Bamberg will Michelin schließen. Es kriselt bei Bosch. Was tun?
       
   DIR EU definiert nachhaltige Anlagen: Kriterien für Grünes Geld
       
       Der Markt für nachhaltige Anlagen wächst rasant – doch was ist grün? Auch
       Atomenergie? Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich nur vorläufig einigen.
       
   DIR Zentralbank gegen Klimakrise: Keine Kohle für Australien
       
       Staaten, die sich beim Klima nicht anstrengen, sind im Nachteil: Schwedens
       Zentralbank beginnt nun mit dem Divestment.
       
   DIR Windkraft-Gipfel der Bundesregierung: Wind machen gegen die Flaute
       
       Der Ausbau der Windkraft lahmt. Vor einem Gipfel im Wirtschaftsministerium
       fordern Verbände mehr Flächen und weniger Artenschutz.
       
   DIR Nachhaltigkeit im Finanzsystem: Grüne Geldanlagen wachsen
       
       So viel Geld wie nie wird nachhaltig angelegt – dahinter verbirgt sich mehr
       als Greenwashing. Trotzdem sind Öko-Siegel hilfreich.
       
   DIR Nachhaltige Entwicklung in der EU: Grüne Banken, echt jetzt?
       
       Brüssel lässt Experten am Öko-Kapitalismus werkeln. Viel Prominenz wirbt
       dafür. Wie die Vorschläge umgesetzt werden sollen, ist offen.