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       # taz.de -- Verstopfte Straßen?: Selber schuld!
       
       > Lange Staus wie an diesem Morgen sind nur logisch, wenn gerade im
       > Berufsverkehr zu viele Auto fahren, die Alternativen hätten.
       
   IMG Bild: Stau, Stau, Stau – vor allem, weil viele unnötigerweise mit dem Auto unterwegs sind
       
       30 Minuten Stau. Eine Dreiviertelstunde. Eine Stunde! In den
       Radio-Verkehrsnachrichten an diesem Dienstagmorgen klingen die Stimmen
       bedrohlich nach Katastrophenszenario. Bei „Captain Montana live aus dem
       RTL-Verkehrslagezentrum“ etwa könnte man meinen, der Russe stünde 15
       Minuten vorm Kurfürstendamm, wie das Udo Lindenberg mal besungen hat.
       
       Eine große Straßensperrung in Mitte wegen der Afrika-Konferenz und Arbeiten
       an der Rudolf-Wissel-Brücke an der Stadtautobahn waren angeblich der Grund.
       Fakt ist: Ja, Sperrung und Arbeiten gab und gibt es – aber der Grund für
       die langen Staus, die sich einreihen in andere an vielen sonstigen Tagen,
       sind schlicht all jene, die im Berufsverkehr mit dem Auto unterwegs sind,
       ohne darauf angewiesen zu sein.
       
       Wäre es anders, dann sähe man in diesen Staus fast nur noch
       Kleintransporter von Handwerkern, die den Wagen für Material und Werkzeug
       brauchen, Lieferwagen, Pflegedienste, gut am Werbeaufdruck auf dem Auto zu
       erkennen, ein paar Leute mit auswärtigen Kennzeichen auf der Durchreise,
       Menschen mit einem Handicap und jene, die erst spät abends vom Job wieder
       heimkommen, wenn öffentlich wenig bis gar nichts fährt.
       
       So ist es aber nicht. Stattdessen reihen sich Autos an Autos, die gar nicht
       nach Handwerker oder Lieferwagen aussehen, vielmehr nach Alleinfahrern vom
       Typ: Ich will mich vor der Haustür ins Auto setzen können, In Pumps kann
       ich nicht radfahren, oder: Mein SUV hat viel gekostet, den will ich auch
       herzeigen.
       
       ## Pumps im Stoffbeutel, Gel im Haar
       
       Ja, Park-and-Ride-Plätze an Bahnhöfen sind oft voll. Aber hundert Meter
       weiter findet sich meist auch noch ein Parkplatz – macht dann ruhigen
       Schrittes eineinhalb Minuten mehr zur S-Bahn-Station oder zur Regionalbahn.
       Ja, es kann regnen – aber dafür gibt es Schirme und Outdoor-Klamotten. Und
       ja, auch die Züge sind oft voll, und Besserung wird trotz aller Versprechen
       auch im Koalitionsvertrag der künftigen brandenburgischen Landesregierung
       noch dauern – aber lieber im Stau feststecken als in der S-Bahn stehen,
       aber fahren?
       
       Und die Sache mit den Pumps: In New York etwa, nicht gerade modisches
       Niemandsland – siehe „Der Teufel trägt Prada“ –, konnte man schon vor
       Jahrzehnten Frauen beobachten, die in der U-Bahn Kostüm oder Hosenanzug mit
       Turnschuhen kombinierten und sie im Büro einfach gegen eben in einem
       Stoffbeutel mitgebrachte Pumps tauschten. Gleiches gilt für Anzugträger –
       raus aus den Radklamotten, rein ins Armani-Outfit im Büro-Spind.
       Waschbecken zum Frischmachen gibt es überall, bisschen Gel ins Haar, fertig
       ist die Laube.
       
       Wem das jetzt alles zu sehr nach Vorgaben und bösem Dirigismus klingt, der
       darf ja vorerst weiter Auto fahren – aber bloß nicht auf Mitleid rechnen
       und schon gar nicht auf Straßenausbau. Leid können einem dabei bloß die
       tun, die das Auto wirklich brauchen – und all jene Radfahrer, die in den
       verstopften Innenstadtstraßen dann auch nicht mehr durchkommen.
       
       Da sind schlicht neue Lösungen gefragt. Warum nicht etwa eine Spur auf der
       Stadtautobahn für Handwerker-Vans und Pendlerautos mit drei und mehr Leuten
       drin reservieren? Anderswo schon gesehen, macht ein Auto aus drei oder
       vier. Fraglich ist sowieso, warum in so vielen Autos nur eine Person sitzt,
       wenn zugleich die größte Angst in der Klimakrise jene vor höheren
       Benzinpreisen zu sein scheint.
       
       19 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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