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       # taz.de -- Drohendes Personal-Chaos bei der AfD: Ein Geist namens Dr. Curio
       
       > Der für scharfe Reden bekannte Innenpolitiker Gottfried Curio kandidiert
       > als AfD-Chef. Damit mischt er alle Absprachen der Parteispitze auf.
       
   IMG Bild: Menschenscheu und radikal: So richtig zu fassen bekommt man den AfDler Gottfried Curio nicht
       
       Berlin taz | Eigentlich schien alles klar. Hinter den Kulissen hatte die
       [1][AfD]-Spitze ein Personalpaket für den Parteivorsitz geschnürt. Dann
       aber schickte der „Flügel“ [2][die inzwischen aus der Partei
       ausgeschlossene Doris von Sayn-Wittgenstein] ins Rennen, um den Berliner
       Landeschef Georg Pazderski als Parteivorsitzenden zu verhindern.
       Sayn-Wittgenstein hielt eine flammende Rede, die Delegierten riefen am Ende
       begeistert „Doris, Doris“ und standen beim Klatschen auf.
       
       Die Folge: ein Patt. Zwei Abstimmungen ohne ausreichende Mehrheit. Bis
       Alexander Gauland eingriff, selbst antrat und zum Co-Parteichef von Jörg
       Meuthen gewählt wurde.
       
       Der Hannoveraner Parteitag ist jetzt zwei Jahre her. In einer guten Woche
       tritt der AfD-Bundesparteitag wieder zusammen, wieder in Niedersachsen. Und
       wieder muss der Bundesvorstand neu gewählt werden. Gauland, weiterhin
       Fraktionschef im Bundestag, will aus Altersgründen für die Parteispitze
       nicht wieder kandidieren. Er soll Ehrenvorsitzender werden.
       
       An die Stelle neben Meuthen soll Tino Chrupalla rücken, Malermeister aus
       Sachsen, der über ein Direktmandat in den Bundestag einzog und dort
       Fraktionsvize ist. Doch seit Samstag kann man daran zweifeln, ob dieser
       Plan aufgehen wird.
       
       Parteiintern sind ohnehin nicht alle von dieser Personalie überzeugt. Und
       so geht die Befürchtung durch die Partei, das Drama von Hannover könne sich
       wiederholen. In der Rolle der Doris von Sayn-Wittgenstein geistert der
       Berliner Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio durch die Fantasien
       zahlreicher AfD-PolitikerInnen.
       
       Und nun hat Gottfried Curio, der innenpolitische Sprecher der
       AfD-Bundestagsfraktion, auch noch angekündigt, gegen Chrupalla kandidieren
       zu wollen. Dazu hat der 59-jährige Berliner am Samstag [3][ein Video auf
       Youtube] hochgeladen. „Ich möchte mit meiner Kandidatur dazu beitragen,
       unsere Positionen deutlich und effektiv der Öffentlichkeit dazulegen, sie
       wirksam zu vermitteln“, sagt er darin.
       
       ## Vorbild Goebbels?
       
       In der Partei dürften nun viele befürchten, das Drama von Hannover könne
       sich wiederholen. Curio ist dabei für die Rolle von Sayn-Wittgenstein
       vorgesehen – die mit einer scharfen Rede alle wohlüberlegten Absprachen
       durchkreuzt.
       
       Der 59-Jährige hat sich mit scharfen Reden einen Namen gemacht. Es ist ein
       Mittwochnachmittag Ende November 2017, als Curio im Bundestag zum ersten
       Mal ans Redepult tritt. Die schütteren dunklen Haare sind streng
       gescheitelt und über den Kopf gelegt, unter dem schwarzem Jackett trägt er
       ein dunkles T-Shirt und ein gedecktes Hemd. Es ist die Zeit, als die Union
       mit FDP und Grünen über eine Koalition verhandelt, auf der Tagesordnung
       steht ein SPD-Entwurf für ein Einwanderungsgesetz.
       
       Curio spricht von „Flutung mit Geringqualifizierten“, von
       „Wirtschaftsscheinasylanten“ und sagt: „Zielführend wäre die Erhöhung der
       Geburtenrate […], statt das eigene Volk auszutauschen.“ Der AfD-Mann
       wechselt in seiner Rede geschickt zwischen leise und laut, stellt gekonnt
       rhetorische Fragen, setzt Gestik und Mimik gezielt ein. In den anderen
       Fraktionen gruselt es so manchen. Der AfD-Abgeordnete, das wird hier vielen
       klar, ist ein gekonnter Redner, vielleicht der beste, den seine Fraktion
       hat.
       
       Intern erzählt man sich, Curio würde seine Reden vor dem Spiegel
       einstudieren. Und aus den anderen Fraktionen hört man schon mal, man warte
       darauf, wann Curio beginne, sein Bein nachzuziehen. So wie
       NS-Propagandaminister Joseph Goebbels es getan hat.
       
       ## Einen „YouTube-Star“ nennt die AfD ihn
       
       Als scharfer Redner aufgefallen war Curio schon im Berliner
       Abgeordnetenhaus. Zur Begründung eines Antrags, Vollverschleierung im
       öffentlichen Raum zu verbieten, nannte er Frauen, die sie tragen, „einen
       Sack, der spricht“. Man wisse nicht, wer sich darunter verberge: „Eine
       Frau, ein Mann, mit oder ohne Sprengstoffgürtel?“ Diese Rede wiederholte
       Curio ein gutes Jahr später fast wortgleich im Bundestag, wie der Welt
       aufgefallen ist.
       
       Seine scharfen Reden haben Curio an der Parteibasis bekannt und beliebt
       gemacht, zuletzt ist er mehrfach im Landtagswahlkampf in Sachsen,
       Brandenburg und Thüringen aufgetreten, das hat ihm an der Basis zusätzliche
       Sympathien eingebracht. Als „unser YouTube-Star“ wird Curio beim
       Wahlkampfauftakt des Thüringer Landesverbands Mitte September vorgestellt,
       seine Reden werden im Netz gut geklickt.
       
       Curio gibt an diesem Mittwochabend den Anheizer für den Star des Abends:
       Spitzenkandidat [4][Björn Höcke]. Anders als Höcke aber ist Curio
       parteiintern unumstritten, dass er einer Strömung wie dem „Flügel“
       angehört, ist nicht bekannt. Doch ohne Zweifel ist Curio, der Ausdrücke wie
       „Geburten-Dschihad“ oder „Masseneinwanderung ist Messereinwanderung“
       geprägt hat, ein Scharfmacher.
       
       Curio ist in Berlin aufgewachsen, nach dem Abitur am evangelischen „Grauen
       Kloster“, dem ältesten Gymnasiums Berlins, studiert er Physik und
       Mathematik, promoviert und habilitiert sich, Schwerpunkt theoretische
       Elementarteilchenphysik. Curio forscht in Princeton und arbeitet an der
       Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Zudem soll er ein abgeschlossenes
       Musikstudium haben und Korrepetitor und Kirchenmusiker sein. So ist es auf
       der Website des Bundestags zu lesen.
       
       ## Missglückte akademische Laufbahn
       
       Eine genauere Vita Curios aber lässt sich nicht auftreiben. Ein Lebenslauf
       liege auch in der Partei nicht vor, heißt es dort auf Anfrage. Zu hören ist
       auch, dass man über Curios Leben jenseits des Bundestags ausgesprochen
       wenig wisse. Offen darüber reden aber will niemand.
       
       Von 2004 bis 2013 sei Curio wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen, davon
       habe er auch vier Semester als Vertretungsprofessor gearbeitet, bestätigt
       die Uni in München auf Anfrage. Dass Curio es nicht auf eine feste
       Professur schaffte, scheint dazu geführt zu haben, dass er seine
       wissenschaftliche Laufbahn aufgab. Wovon er danach sein Einkommen bestritt,
       bleibt unklar.
       
       Curio ist seit 2014 Mitglied der Berliner AfD, 2016 wird er zum
       Vorsitzenden in Steglitz-Zehlendorf gewählt, in Berlin ein einflussreicher
       Bezirksverband. Im September 2016 zieht er ins Berliner Abgeordnetenhaus
       ein, ein Jahr später in den Bundestag. Hier ist er innenpolitischer
       Sprecher seiner Fraktion und leitet den Arbeitskreis Inneres.
       
       Personell ist dieser Bereich nicht besonders gut aufgestellt. Nur zwei
       Mitarbeiter gebe es hier bislang, obwohl im Stellenplan dreimal so viele
       vorgesehen sind, bestätigt der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd
       Baumann auf Anfrage. Die AfD, so seine Erklärung, habe generell Probleme,
       geeignetes Personal zu finden. In der Fraktion hört man aber auch, dass
       Curio sich schlicht nicht genug um solch praktische Dinge kümmere.
       
       ## Schwierig zu fassen
       
       Drei Wochen lang hat die taz versucht, mit Curio über all das ins Gespräch
       zu kommen. Zahlreiche Mails und Anrufe bleiben in dieser Zeit
       unbeantwortet. Häufig nimmt im Bundestagsbüro niemand ab, erreicht man
       jemanden, erklärt dieser sich für nicht zuständig. Der Eindruck, der
       entsteht: Dafür, Gespräche zwischen dem Abgeordneten und der Presse zu
       vermitteln, scheint in Curios Büro niemand eingestellt worden zu sein.
       
       Das ist für den Bundestag durchaus ungewöhnlich. Kurz vor Redaktionsschluss
       kommt dann doch noch eine Mail: „Dr. Curio (hat) gegenwärtig zu diesen
       Fragen nichts mitzuteilen.“ Auch von anderen JournalistInnen hört man, dass
       Curio nicht recht zu sprechen sei. Direkte Statements und Interviews findet
       man kaum. Selbst in der AfD-Fraktion ist zu hören, dass Curio schwer
       erreichbar sei.
       
       Trägt man das alles zusammen, entsteht das Bild von einem intelligenten
       Naturwissenschaftler, der gern Professor geworden wäre, aber scheiterte.
       Von einem menschenscheuen Mann, der nicht gern mit anderen in Beziehung
       tritt.
       
       Aber kann ein solcher Mensch eine Führungsposition ausfüllen? „Ich denke,
       dass Gottfried Curio ein guter Vorsitzender wäre, hinter dem sich der
       Landesverband versammeln könnte“, hat Volker Graffstädt vor wenigen Wochen
       gesagt, als der Tagesspiegel ihn nach Curios Eignung für den Landesvorsitz
       befragte. Graffstädt, Curios Stellvertreter im Bezirksverband, gilt als
       dessen Vertrauter; aktuell wolle er sich aber nicht äußern, teilt er auf
       eine Anfrage per Mail mit. Auf Berliner Landesebene hat Curio in der Tat im
       Mai eine Abstimmung gewonnen: Als der Landesverband die Delegierten für den
       Bundesparteitag wählte, bekam er die meisten Stimmen.
       
       In der Bundestagsfraktion sieht das anders aus. [5][Als die Fraktion Ende
       September ihre Spitze neu gewählt hat], hat Curio sich selbst
       vorgeschlagen. Zweimal trat er als stellvertretender Fraktionschef an – und
       scheiterte. Zuletzt gegen den 30-jährigen Sebastian Münzenmaier, der sich
       bislang im Bundestag nicht besonders hervorgetan hat. Das sei eine Wahl
       gegen Curio gewesen, hört man aus der Fraktion. „Gute Reden halten heißt ja
       noch nicht gut arbeiten“, raunt einer der AfD-Abgeordneten nach der Wahl
       den JournalistInnen zu, die vor der Tür warteten.
       
       Die Frage ist, wie das die Delegierten bewerten, wenn Curio auf dem
       Parteitag in Braunschweig eine sie mitreißende Rede hält. Viel mehr als
       eine schmissige Rede hatte Doris von Sayn-Wittgenstein in Hannover vor zwei
       Jahren nicht aufzubieten. Doch AfD-Versammlungen sind für radikale
       Ansprache besonders anfällig. Sayn-Wittgenstein wäre damit fast
       Parteichefin geworden.
       
       24 Nov 2019
       
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