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       # taz.de -- Olympische Geschäfte: Verheißung eines schöneren Lebens
       
       > Der IOC-Partner Airbnb steht für die kapitalistische Erschließung von
       > Gastfreundschaft. Der Protest des Pariser Hotelverbands ist nicht nur
       > sympathisch.
       
   IMG Bild: Ob die Touristen wohl im Hotel oder doch über den IOC-Partner Airbnb vermittelt übernachten?
       
       Es gibt einen schönen Bericht von Kurt Tucholsky von den Olympischen
       Spielen in Paris. Natürlich im Jahr 1924, nicht hundert Jahre später, 2024.
       Dann suchen sie nämlich wieder Frankreichs Hauptstadt heim. „Die
       Fremdenindustrie ist groß, doch nicht so groß, wie man denken sollte“,
       notierte Tucholsky damals, und er freute sich über den „ungeheuren
       Zusammenfluß von Vergnügungsreisenden, Sportsleuten der Olympischen Spiele,
       Diplomaten, Kaufleuten aus fünf Erdteilen, modischen Frauen, Schmarotzern,
       Abenteurern, Passanten, französischen Provinzlern“.
       
       Wie groß die Pariser Fremdenindustrie mittlerweile ist, dürfte in einer
       recht heftigen Auseinandersetzung der nächsten Monate und Jahre zu
       ermitteln sein. Der französische Hotelverband Union des Métiers et des
       Industries de l'Hôtellerie (UMIH) hat sich nämlich, zumindest vorläufig,
       aus der Organisation des Weltereignisses zurückgezogen. Grund ist der
       Sponsorenvertrag, den das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit der,
       sagen wir es zurückhaltend: umstrittenen Wohnungsbörse Airbnb abgeschlossen
       hat.
       
       [1][Airbnb und IOC] stehen für den Weltmarkt, für das Bestreben, auch noch
       aus der letzten Ecke möglichst viel Geld zu machen: Airbnb ist die
       kapitalistische Erschließung der Gastfreundschaft, das IOC die
       entsprechende Erschließung von Spiel und Sport.
       
       Die französischen Hoteliers und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo
       stehen nun zwar nicht gerade gegen solche Zwecke, aber ihre ökonomische und
       politische Potenz reicht nicht aus, um das alles im Weltmaßstab zu machen:
       Die Hotels wollen eben ihr altes Geschäftsmodell hochhalten, wonach
       Touristen zunächst einmal bei ihnen absteigen und der Grund, warum Staaten
       Geld in Olympische Spiele investieren, vor allem darin besteht, das Umfeld,
       in dem Hotels ihr Geld verdienen, attraktiv zu machen. Ein bisschen wäre
       das Tucholskys Paris, der sich an eine „liebenswürdige“ Metropole
       erinnerte. „Vor allem verlangt die Stadt nicht, daß man sich durchaus nach
       ihr richte – sie läßt in Äußerlichkeiten dem Fremden Willen und
       Bequemlichkeit.“
       
       ## Zirkus für Vergüngungsreisende
       
       Die aktuelle Pariser Bürgermeisterin will, dass die Menschen, die in den
       Hotels, in den öffentlichen Diensten und in den anderen Bereichen arbeiten,
       sich das noch so lange leisten können, damit sie wenigstens nicht das
       Rathaus und das Amtszimmer der Bürgermeisterin stürmen. Daher warnt Hidalgo
       den IOC-Chef Thomas Bach, dass [2][Airbnb „zum Anstieg der Mietpreise
       beiträgt] und den Mangel an Wohnungen auf dem Mietmarkt verschärft“.
       
       Den interessiert das natürlich gar nicht. Nicht nur, weil er Geld verdienen
       will und dabei nicht von jemandem, der in seinen Augen bloß
       Lokalpolitikerin ist – und folglich ihm zu Diensten zu sein hat – gestört
       werden möchte. Sondern auch, weil das IOC der ganz tiefen Überzeugung ist,
       dass es mit den Pariser Mieten nichts zu tun hat.
       
       Das Event, mit dem Bachs Weltkonzern da alle vier Jahre im Sommer und alle
       vier Jahre im Winter die Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen von Menschen
       in großen Städten massiv verändert, kennt ja diese Menschen nicht. Olympia
       – das sind schöne junge Menschen, schicke Gebäude, unglaubliche sportliche
       Leistungen, schöne Bilder. Und das Ganze in den üblichen drei, vier Wochen,
       und dann hinterlässt der schöne Zirkus eine mit Schulden behaftete
       Stadtruine, die teils verfällt und die teils, wo sie schön ist, für viele
       Menschen unbezahlbar geworden ist. Man darf den Lebensstandard „nicht an
       den Mitteln eines Vergnügungsreisenden“ messen, hat schon Tucholsky
       gewarnt.
       
       IOC und Airbnb haben diese Entwicklung, die solchen Megaevents wie
       Olympischen Spielen innewohnt, auf ihren bisherigen Höhepunkt getrieben.
       Allerdings muss man redlicherweise sagen, dass diese Entwicklung eben auch
       schon 1924 angelegt war. „Hinter der Fremdenstadt, fast völlig von ihr
       abgeschlossen, liegt das arbeitende Paris. Paris ist eine Stadt, in der
       ungeheuer gearbeitet wird; soweit ich das übersehen kann, mehr als bei uns
       und vor allem viel intensiver“, hatte Tucholsky beobachtet. „Die reizvolle
       Tatsache, daß abends um neun Uhr noch viele Läden offen halten und daß man
       sich um diese Zeit, auch am Sonntag, wenn es einem Vergnügen macht, eine
       Krawatte kaufen kann, bedeutet für die Angestellten eine erhöhte
       Arbeitszeit.“
       
       ## Kleiner Kapitalismus
       
       Der ja nicht unsympathische Protest des Hotelverbands und der
       Bürgermeisterin tritt allerdings letztlich nur für eine gemäßigte, nicht
       internationale, sondern noch national reglementierte Kapitalisierung ein.
       Etwas kleiner, etwas gemütlicher, aber nicht etwas substanziell anderes.
       Die „Spekulation auf die Zureisenden zu den Olympischen Spielen“ hatte auch
       Tucholsky 1924 schon kritisiert. Nur waren es da noch die Pariser
       Hoteliers, nicht der Weltkonzern Airbnb, der spekuliert und letztlich
       kassiert hat.
       
       Wenn UMIH nun aus der Vorbereitung der Olympischen Spiele 2024 aussteigt,
       wird das wenig bringen: Einige Hotels, gerade die großen Ketten, werden
       sich selbstverständlich vom riesigen Kuchen Olympia ein paar Teilchen
       sichern wollen – und der Verband wird merken, dass die französische
       Tourismusindustrie keineswegs so straff organisiert ist, wie er es gern
       hätte.
       
       Bei Olympischen Spielen, auch denen von Paris 2024, geht es darum, eine
       Kulisse aufzubauen, vor der man die Verheißung eines schöneren Lebens
       zelebriert – um das, ehe die Blase komplett platzt, nach drei Wochen wieder
       abzureißen und abzureisen. „Fast immer ist die 'Aufmachung’ sehr reizvoll,
       unerträglich nur da, wo sie 'echtes altes Paris’ vortäuscht“, hatte
       Tucholsky schon 1924 geschrieben. „Diese Art Romantik existiert entweder
       überhaupt nicht, oder sie ist nur zeitlich zu fassen, das heißt: man
       empfindet sie vielleicht nach Monaten. An einen Ort ist sie nicht
       gebunden.“
       
       22 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.deutschlandfunk.de/olympia-2024-in-paris-kritik-am-neuen-ioc-sponsor-airbnb.890.de.html?dram%3Aarticle_id=464018
   DIR [2] /Hausbesetzungen-in-Berlin/!5625327
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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