URI: 
       # taz.de -- Runde Tische statt Bauerndemo: „Fragen, was die Bauern brauchen“
       
       > Landwirte fürchten, dass neue Auflagen zum Insektenschutz ihre Existenz
       > ruinieren. Die Ökoexpertin Tanja Busse plädiert für regionale runde
       > Tische.
       
   IMG Bild: Klatschmohn und Biene
       
       taz: Frau Busse, Bauern stellen bundesweit grüne Kreuze auf Äckern auf, um
       gegen Auflagen zum Insektenschutz zu protestieren. Interessen von
       Naturschützern und Landwirten prallen aufeinander wie selten zuvor. Was
       muss die Bundesregierung tun? 
       
       Tanja Busse: Sie muss erstens vermitteln, dass es dringend ist, Insekten zu
       schützen. Nicht weil sie so schön sind, sondern weil es um das Überleben
       ganzer Ökosysteme geht, ohne die die Menschen nicht existieren können.
       Zweitens sollte sie nicht einfach erklären, wir verbieten jetzt dieses und
       jenes Insektengift.
       
       Was sollen sie sonst tun? 
       
       Sie müsste sich an die Landwirte wenden und fragen, was sie brauchen, um
       die Umweltauflagen einhalten zu können. Für sie wird die Produktion teurer,
       wenn sie Spritzmittel nicht mehr einsetzen dürfen. Es wäre schlau, ihnen
       nicht nur Verbote zu präsentieren, sondern Optionen für eine andere bessere
       Wirtschaftsweise – vor allem für eine regionale Vermarktung zu fairen
       Preisen.
       
       Was sind faire Preise? 
       
       Das lässt sich nicht pauschal in Cent sagen. Aber die heutigen Preise
       lügen, weil sie die ökologischen Lasten nicht widerspiegeln. Wird das
       Grundwasser belastet, weil Agrarbetriebe zu viel Gülle auf die Felder
       bringen, wird die Aufbereitung des Trinkwassers aufwändiger.
       
       Sie sagen, wer das Sterben der Insekten nicht stoppt, nimmt
       Gesundheitsrisiken für den Menschen in Kauf – Sie übertreiben? 
       
       Überhaupt nicht. Forscher verstehen immer besser die Anfälligkeit von
       Ökosystemen. Je weniger Tier- und Pflanzenarten da sind, die bestimmte
       Aufgaben übernehmen, umso eher kollabieren die Ökosysteme. In der Ostsee
       sind bereits auf Zehntausenden von Quadratkilometern Todeszonen entstanden.
       
       Direkt krank macht das aber nicht? 
       
       Die Menschheit gefährdet ihre eigene Ernährung. Das andere: Erste
       Forschungen zeigen, dass eine große Artenvielfalt ein geringeres
       Infektionsrisiko bedeutet. Der Mensch ist dann besser vor Krankheiten
       geschützt, die von Parasiten übertragen werden.
       
       Welche Parasiten meinen Sie? 
       
       Zecken zum Beispiel. Die Braunschweiger Wissenschaftlerin Dania Richter hat
       gezeigt, dass Zecken, die bei Rindern auf der Weide Blut saugen, nicht mehr
       die gefährliche Borreliose übertragen. Normalerweise beißt die Zecke eine
       Maus, die Borrelien im Blut hat, und infiziert sich. Beißt sie dann einen
       Menschen, kann sie den Erreger mit ihrem Speichel weitergeben. Saugt sie
       aber zuvor bei einem Wiederkäuer Blut, sind die Borrelien nicht mehr da.
       Noch ist unklar, warum. Doch unbestritten ist, dass einzelne Arten zu einer
       Plage werden können, wenn die Vielfalt schwindet, weil sie sich ungestörter
       ausbreiten.
       
       Lässt sich das Artensterben überhaupt noch stoppen? 
       
       In ganzen Landstrichen Deutschlands sind in den letzten Jahren etwa die
       Turteltauben verschwunden. Und der Weltbiodiversitätsrat warnt, dass eine
       Million Arten in den kommenden Jahrzehnten vor dem Aussterben steht. Aber
       es gibt Riesenchancen, dem etwas entgegenzusetzen. Das zeigt sich dort, wo
       Landwirte und Naturschützer wieder Vielfalt in die Landschaft bringen,
       Hecken, Sträucher. Wir wissen, wie das geht: Biodiversität und
       Landwirtschaft zusammenzubringen.
       
       Die Landwirte sind aber nicht die einzigen Schuldigen. 
       
       Natürlich nicht! Wer sagt denn das? Es wäre sehr unfair, eine einzige
       Berufsgruppe zum Sündenbock zu machen. Umsteuern müssen alle, die zu viel
       konsumieren, reisen, Müll produzieren. Es klingt so banal: Aber unendliches
       Wachstum in einer endlichen Welt ist nicht möglich.
       
       Sorgt es Sie, dass Bauern in den Ruin getrieben werden könnten, weil sich
       Landwirtschaft mit den neuen Auflagen erst recht nicht mehr rechnet? 
       
       Ja, das sorgt mich sehr. Nehmen wir die [1][Düngeverordnung]: 1991 hat die
       EU beschlossen, das Trinkwasser vor zu viel Nitrat zu schützen. Seitdem hat
       die Bundesregierung – obwohl sie das Ziel selbst mit formuliert hatte –
       alle Probleme ausgesessen und vertagt. Berater, Behörden und Banken haben
       Landwirte in viehintensiven Regionen in immer größere Ställe investieren
       lassen, als längst klar war, dass die viele Gülle Probleme macht. Jetzt hat
       die EU die Bundesrepublik verurteilt zu handeln, und die Verschärfung der
       Düngeregeln trifft allein die Landwirte. An ihnen bleibt alles hängen. Alle
       anderen, die vom billigen Fleisch aus diesem System profitiert haben,
       werden nicht zur Verantwortung gezogen. Die Bauern sind verzweifelt, rufen
       nach weniger Auflagen. Die sind aber gesellschaftlich nicht mehr zu
       rechtfertigen. Der Schaden ist zu groß.
       
       Die Lösung? 
       
       Regionale runde Tische. Krankenkassen fordern, tut was, weil Kinder zu viel
       vom Falschen essen. Wasserversorger fragen sich, wie sie Nitrat aus dem
       Wasser bekommen. Naturschützer warnen, Landwirte bangen um ihre Existenz.
       Das ist das Gegenteil einer Win-win-Situation. Darum sollten sich in einer
       Region jetzt alle zusammensetzen und überlegen, wie sie regionale
       Wertschöpfungsketten für gesundes Essen mit fairen Preisen aufbauen.
       
       Wird das Essen nicht zu teuer? 
       
       Das scheint nur so, weil sich alle an die falschen Preise gewöhnt haben.
       
       26 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Pflanzenbau/Ackerbau/_Texte/Duengung.html;jsessionid=AC6A78E46060ACA1817839EC10B49CBA.2_cid358#doc604012bodyText3
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanna Gersmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Landwirtschaft
   DIR Düngemittel
   DIR Insekten
   DIR Schwerpunkt Artenschutz
   DIR Düngemittel
   DIR IG
   DIR Kolumne Wirtschaftsweisen
   DIR Technikfolgenabschätzung
   DIR Regenwurm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Biologische Vielfalt: Das Jahr des Rebhuhns
       
       Sie sind lebenswichtig, aber kaum bekannt: Die „Aichi-Ziele“ sollten das
       Artensterben bis 2020 bremsen. Bis jetzt ist das aber nicht geglückt.
       
   DIR Umweltbelastung durch Nitrat: Wasserverschmutzung? Wir doch nicht
       
       Woher kommt das Nitrat im Grundwasser? Ein Teil der Landwirte sieht
       Kläranlagen als Hauptverursacher. Experten sagen etwas anderes.
       
   DIR Proteste von Landwirten: Bauern sind auch nur Kapitalisten
       
       Die Landwirte sind verzweifelt, das darf man ihnen ruhig glauben. Aber auch
       sie müssen bestimmte Regeln akzeptieren – wie andere Branchen auch.
       
   DIR In Berlin ist Natur für Menschen da: Macht euch der Erde untertan
       
       Mit Animismus könnte man doch mal gegen den grassierenden
       Anthropozentrismus andenken. Den Segen des Papstes hätte man dabei.
       
   DIR Ernährung in der Zukunft: Nahrungsmittel als Klimakiller
       
       Die Produktion von Lebensmitteln ist einer der großen Faktoren, die auf das
       Klima einwirken. Ein radikaler Umbau ist notwendig.
       
   DIR Gefährdete Artenvielfalt: Der Mensch hängt am Wurm
       
       Regenwürmer sind wichtig für das Ökosystem. Doch Wissenschaftler wissen
       wenig über die bedrohten Tiere. Etwa wie sie mit Glyphosat klarkommen.