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       # taz.de -- Wohnraum für Geflüchtete: Für immer im Heim?
       
       > Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fordert vom Senat, statt
       > Flüchtlingsheimen Sozialwohnungen zu bauen. Doch der sieht sich weiter im
       > Krisenmodus.
       
   IMG Bild: Eine Modulare Flüchtlingsunterkunft, kurz MUF, hier in Marzahn-Hellersdorf
       
       Auf den ersten Blick geht es nur um einen Einwohnerantrag auf Bezirksebene
       – auf den zweiten jedoch um eine Frage für die ganze Stadt: Wo und wie
       schaffen wir mehr Wohnraum für Geflüchtete und andere Wohnungslose?
       
       Am Mittwochabend hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV)
       Friedrichshain-Kreuzberg einem EinwohnerInnenantrag zugestimmt, der den
       Bezirk auffordert, sich das Bauvorhaben für die geplante [1][Modulare
       Flüchtlingsunterkunft (MUF) in der Kreuzberger Ratiborstraße] vom Senat
       zurückzuholen. Das Land will dort nach dem Sonderbaurecht des Bundes für
       Flüchtlingsunterkünfte ein Heim für 250 Menschen bauen – die BürgerInnen
       wollen eine kleinere Lösung, die die Interessen der bisherigen NutzerInnen
       und Nachbarn, aber auch der neuen Bewohner*innen stärker berücksichtigt.
       Und sie wollen bei der Planung mitreden.
       
       So weit, so lokal. Darüber hinaus fordern die EinwohnerInnen und
       BezirkspolitikerInnen vom Senat aber auch, seine Flüchtlingspolitik
       „grundsätzlich“ zu ändern: „Statt neuer Gemeinschaftsunterkünfte sollen
       Sozialwohnungen mit einem festgelegten Kontingent für Flüchtlinge gebaut
       werden.“
       
       Dass Flüchtlinge vorrangig in Wohnungen untergebracht werden sollen, steht
       eigentlich auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Allerdings befindet
       sich der Senat, seit ab 2015 unerwartet viele Geflüchtete in die Stadt
       kamen, im Dauerkrisenmodus. Zwar gibt es keine Notunterkünfte in Turnhallen
       oder Hangars mehr, doch viele Heime – etwa die Containerdörfer – sind nur
       temporär nutzbar. Andere sollen wegen ihres schlechten Zustands geschlossen
       werden. Zudem kommen weiter monatlich 500 bis 700 Asylbewerber nach Berlin.
       
       Allerdings sind mittlerweile fast die Hälfte der 19.000 BewohnerInnen von
       Flüchtlingsheimen sogenannte „Fehlbeleger“: Ihr Asylverfahren ist
       abgeschlossen, sie könnten eigene Wohnungen mieten – wenn es denn welche
       gäbe. „Wenn man weiter nur Heime baut statt Wohnungen, verstetigt man damit
       diese Unterbringungssituation“, sagt Beate Selders von der
       Nachbarschaftsinitiative Ratibor 14, die den EinwohnerInnenantrag initiiert
       hat.
       
       Der Senat dagegen sieht sogar einen steigenden Bedarf an Unterkünften,
       vulgo Heimen. Der „Gesamtunterbringungsbedarf“ werde bis Ende 2021 auf rund
       38.000 Menschen steigen, erklärte Staatssekretär Daniel Tietze (Linke)
       kürzlich in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Bettina
       Jarasch. Der Grund für diese hohe Zahl: In diese Berechnung sind erstmals
       nicht nur Geflüchtete, sondern alle Wohnungslosen der Stadt eingeflossen,
       wie die Sprecherin von Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) auf
       Nachfrage erklärt.
       
       ## Der Senat setzt auf MUFs
       
       Und die Lösung des Senats lautet: mehr MUFs. Schon die Vorgängerregierung
       hatte den Bau von 28 dieser Fertighäuser in Schnellbauweise beschlossen,
       R2G plant weitere 25. Aktuell sind laut Integrationsverwaltung 16 MUF mit
       6.095 Plätzen in Betrieb, drei Heime mit 1.163 Plätzen gerade im Bau. Und
       weil das Sonderbaurecht des Bundes zum Jahresende ausläuft, wurden im
       Herbst noch schnell Bauanträge für vier weitere MUFs gestellt. Zudem hoffe
       man, so Breitenbachs Sprecherin, dass das Sonderbaurecht vom Bund
       verlängert werde.
       
       Kritikern ist das Sonderbaurecht allerdings ein Dorn im Auge: Zum einen,
       weil in den danach gebauten Heimen drei Jahre lang ausschließlich
       Geflüchtete wohnen dürfen, zum zweiten, weil die sonst bei
       Planungsverfahren übliche BürgerInnenbeteiligung wegfällt.
       
       Für die Zukunft befürchten sie überdies, dass mit den Billigbauten eine
       neue Art von „Armenhäusern“ entsteht. Denn die MUFs der neueren Generation,
       etwa in der Ratiborstraße, werden zwar bereits als Wohnungen gebaut – weil
       sie ja später, wie der Senat betont, auch anderen bedürftigen
       Bevölkerungsgruppen zur Verfügung stehen sollen. Sie werden zunächst aber
       als Heime verwaltet.
       
       Das bedeutet: Die Zimmer werden doppelt belegt, es gelten Heimordnungen
       und strenge Besucherregelungen, die BewohnerInnen können vom LAF jederzeit
       verlegt werden. Auch das kritisiert Beate Selders von der
       Ratibor-Initiative: „So kann Integration nicht funktionieren.“
       
       Georg Classen vom Flüchtlingsrat beobachtet ebenfalls „mit Sorge, wie sich
       der rot-rot-grüne Senat auf den Ausbau der Sammelunterkünfte konzentriert.“
       R2G müsse endlich für alle wohnungslosen Geflüchteten den
       Wohnberechtigungsschein und damit den Zugang zu Sozialwohnungen und zu
       landeseigenen Wohnungen in gleicher Weise wie für Deutsche ermöglichen,
       fordert er. „Der Senat müsste zudem in den Stadtteilen
       Spezialberatungsangebote für wohnungssuchende Geflüchtete schaffen und
       nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle BerlinerInnen sehr viel mehr
       Sozialwohnungen bauen lassen.“
       
       Genau daran hapert es: Die Gesamtzahl der 2019/20 geförderten mietpreis-
       und belegungsgebundenen Wohnungen beläuft sich laut Senatsverwaltung für
       Stadtentwicklung auf gerade einmal 8.500 – als Ziel. Und weil es nicht
       genügend bezahlbaren Wohnraum gibt, so die Integrationsverwaltung, brauche
       man eben weiterhin die MUFs.
       
       So ganz überzeugt das auch Bettina Jarasch von den Grünen nicht: „Die Zeit
       der Notlösungen ist vorbei“, sagt sie. Das Sonderbaurecht verhindere
       gemischtes Wohnen von Geflüchteten und Nichtgeflüchteten, was deren
       Ankommen erschwere. Das Beispiel Ratiborstraße zeige, dass es auch anders
       gehen könnte: Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hat dem Senat
       inzwischen sieben Standorte für gemischte Wohnprojekte angeboten. Jarasch
       hofft, dass das Folgen hat: „Wenn ein Bezirk mehrere Standorte für kleinere
       Unterkünfte anbietet, erwarte ich Offenheit dafür vom Senat, denn wir
       planen hier für die nächsten Jahrzehnte.“
       
       1 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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