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       # taz.de -- Flüchtlingslager in Bosnien: Vučjak könnte Todesfalle werden
       
       > Nach dem Wintereinbruch sind die Zustände in dem bosnischen
       > Flüchtlingslager auf einer Müllhalde unhaltbar. Hilfsorganisationen
       > schlagen Alarm.
       
   IMG Bild: Winter im Flüchtlingslager Vučjak in Bosnien-Herzegowina
       
       Sarajewo taz | Als die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Dunja
       Mijatović, nach Abschluss ihres Besuchs in dem Flüchtlingslager Vučjak bei
       der bosnischen Stadt [1][Bihać] am Dienstag ein Resümee zog, war ihr die
       Erschütterung über das Gesehene anzumerken. Nach wie vor sitzen über 700
       Menschen auf der [2][ehemaligen Müllhalde] fest. Es gibt kein fließendes
       Wasser und nur sporadisch Strom, die sanitären Anlagen sind in einem
       katastrophalen Zustand. Die einfachen Zelte boten im Sommer etwas Schutz,
       jetzt, bei Minusgraden, Schnee und Regen, sind die auf der blanken Erde
       schlafenden Migranten beißender Kälte und Feuchtigkeit ausgesetzt.
       
       Vertreter des Roten Kreuzes, der International Organization for Migration
       (IOM) und von Ärzte ohne Grenzen schlagen seit Wochen Alarm. „In Vučjak
       schlafen die Menschen jetzt in diesen kalten Zelten. Unsere Schuhe
       versinken im Schlamm“, berichtet der deutsche Journalist Dirk Planert. Seit
       Juni vergangenen Jahres hatte er in Vučjak Nothilfe geleistet, wurde dann
       wegen nicht autorisierter Hilfstätigkeit [3][aus dem Land ausgewiesen] und
       ist jetzt wieder zurückgekehrt.
       
       Es könnte bald Tote geben, warnt auch Dunja Mijatović. Wenn es so
       weitergehe, „werden die Menschen hier sterben, und wir werden
       verantwortlich sein dafür“, sagte sie am Dienstag.
       
       Selbst Bosnierin, erinnerte sie sich an die Zeit des Krieges in ihrem
       Heimatland in den 90er Jahren, als rund zwei Millionen Menschen zur Flucht
       gezwungen waren. „Dieses Lager ist eine Schande für Bosnien und
       Herzegowina.“
       
       ## Auslagerung auf der Müllhalde
       
       Jetzt will sie mit den Behörden des Kantons Una-Sana und der Regierung in
       Sarajevo reden. Was aber wird das bringen? Der Bürgermeister von Bihać,
       Šuhret Fazlić, steckt in einer Zwickmühle.
       
       Über 7.000 Migranten waren im vergangenen Sommer schon in der kleinen Stadt
       im Nordwestzipfel Bosnien und Herzegowinas gestrandet und in den
       Fabrikhallen der Firma Bira und anderen provisorischen Lagern in der
       Nachbargemeinde Velika Kladuša untergekommen.
       
       Als aber vor allem junge Männer aus Syrien, Afghanistan und Pakistan
       tagsüber das Zentrum der Stadt bevölkerten, beschloss der Stadtrat, die
       jungen Männer außerhalb der Stadt, auf die behelfsmäßig planierte Müllhalde
       von Vučjak nahe der kroatischen Grenze „auszulagern“.
       
       Von vornherein protestierte die IOM und lehnte alle Hilfe für das auf einer
       Müllhalde errichtete Lager Vučjak ab, weil es nicht den Standards für
       Flüchtlingslager entspricht.
       
       ## Keine Alternative zur Hilfe vor Ort
       
       Die IOM hatte den bosnischen Behörden schon im Sommer angeboten, neue,
       winterfeste Lager in anderen Landesteilen aufzubauen. Doch keine Gemeinde
       in Bosnien und Herzegowina außer Sarajevo war dazu bereit. Von vornherein
       lehnte zudem der serbisch dominierte Landesteil jegliche Hilfe für
       Migranten ab. Bihać und die Nachbargemeinde [4][Velika Kladuša] wurden
       alleingelassen.
       
       Anfang November beschloss der Stadtrat die Auflösung des Lagers in Vučjak.
       Aber wohin sollten die Migranten gehen? Zwar schafften es in den letzten
       Monaten Hunderte von ihnen trotz des harten Vorgehens der kroatischen
       Sicherheitskräfte durch die Grenze zu schlüpfen und nach Kroatien und damit
       in die EU zu gelangen. Doch ebenso schnell rückten Hunderte Migranten nach.
       
       Für den Journalisten Dirk Planert gibt es keine Alternative: Man müsse den
       Migranten in Vučjak jetzt mit Zelten, Essen und Öfen helfen.
       
       Immerhin scheint auch Deutschland aktiv zu werden und ein neues
       menschenwürdiges Lager in Sarajevo aufzubauen. Doch viele Migranten wollen
       trotz allem offenbar lieber nach Bihać gehen, um von dort aus in die EU zu
       gelangen.
       
       4 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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