# taz.de -- Google-Gründer treten ab: In Ewigkeit, Amen
> Die Google-Päpste Sergey Brin und Larry Page ziehen sich von den
> operativen Aufgaben in der Dachfirma Alphabet zurück. Die Liturgie bleibt
> dieselbe.
IMG Bild: Die Google-Gründer Brin und Page, 2011, auf einem der seltenen offiziellen Fotos
Spätestens seit Papst Benedikt den Hirtenstab noch zu Lebzeiten an einen
Nachfolger übergab, war klar, dass nicht erst der Tod ein Oberhaupt von
seiner Kirche scheiden muss. Eine andere weltumspannende, alles
transzendierende und mächtige Organisation macht diese Erfahrung nun auch.
Sergey Brin und Larry Page bereiten ihren Rückzug aus dem operativen
Geschäft des von ihnen im Jahr 1997 gegründeten Google-Konzerns seit 2015
aktiv vor. Die Umstrukturierung des Unternehmens mit der Gründung der
Dachfirma Alphabet, deren Leitung Brin und Page übernahmen, machte Platz
für Wunschnachfolger Sundar Pichai an der Spitze von Google.
Pichai hat sich offenbar hinreichend bewährt in den Augen der Gründer. So
teilte Google am Mittwoch mit, dass der Google-Chef nun auch die Leitung
von Alphabet übernehmen werde. Die besondere Unternehmenskultur des
Konzerns werde das nicht verändern, [1][versichern Brin und Page in einem
offenen Brief]. Die zeichnete sich vor allem in den ersten Jahren durch ein
hohes Maß an persönlichen Freiheiten für die Mitarbeiter*innen aus. Die
Offenheit für Eigenwilligkeiten, zunächst verrückt erscheinende Ideen und
die offenherzige Unterstützung individueller Bedürfnisse noch im
unmittelbaren Arbeitsumfeld gelten als beispielhaft für viele Firmen aus
dem Silicon Valley.
Legendär ist auch der selbstgewählte Missionsauftrag von Google, die
Bereitstellung eines „unvoreingenommenen, wahrheitsgetreuen und freien“
Zugangs zu Informationen weltweit. Bekannter vielleicht ist das Motto
„Don’t be evil“, „Sei nicht böse“. Wie es aber so ist mit Missionaren und
ihrem sehr eigenen Blick auf die Welt, hat das Selbstbild als Sendboten
eines heilbringenden Informationszeitalters über die Jahre diverse Kratzer
bekommen. So kommt der freie Zugang zu Informationen mit dem sehr hohen
Preis der umfassenden Transparenz der durch die Nutzer*innen generierten
Datenströme daher. Nur so rechnet sich das Werbegeschäft, Googles
wichtigste Einnahmequelle.
Aber auch sonst hat sich die Firma wiederholt auf der Seite der nicht ganz
so Guten wiedergefunden. Ob [2][Zensurvorwürfe], [3][aggressive
Steuervermeidung], Urheberrechtsverletzungen, die [4][Zusammenarbeit mit
staatlichen Überwachungskomplexen], [5][Softwareentwicklung für
militärische Drohnenprogramme], [6][unlautere Wettbewerbsmethoden] oder die
[7][Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisation unter den Angestellten]:
Die Liste der Verfehlungen ist lang und das Maß an Selbstkritik und
Besserung erreicht in etwa klerikales Niveau.
Die [8][öffentliche Anhörung im US-Kongress wegen möglicher
wettbewerbsrechtlicher Verfehlungen] musste schon Sundar Pichai
absolvieren. Grund dafür wird nicht nur die generelle Scheu der beiden
Gründer vor Öffentlichkeit gewesen sein. Der Nimbus einer fast schon
esoterischen Abgehobenheit wurde so nicht mit den schnöden Details des
schmutzigen Geschäftslebens beschädigt. Auch die Auseinandersetzungen mit
Angestellten, die gegen ihre nicht mehr ganz so paradiesischen
Arbeitsbedingungen revoltierten, fassten Page und Brin nicht an. Genauso
wenig wie die Proteste gegen extrem hohe Entschädigungen für
Führungskräfte, die wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe entsorgt werden
mussten. Der Nachfolger stand für alles gerade.
Jetzt hat er die Belohnung und bedankt sich selbstverständlich: „Die
Gründer haben uns allen eine unglaubliche Chance gegeben, Einfluss auf die
Welt auszuüben“, schreibt Pichai in einem kurzen Addendum zu den
Abschiedsworten von Sergey Brin und Larry Page. Die werden es sich nicht
nehmen lassen, ihren per Aktienmehrheit gesicherten fortgesetzten Zugriff
auf den Konzern zu nutzen, wann immer es ihnen wichtig erscheint. Das
Benediktinische Prinzip gewissermaßen. Ob es diese Interventionen in
Zukunft wirklich braucht, um Google und Alphabet auf profitablem Kurs zu
halten, kann angezweifelt werden. Denn Päpste mögen kommen und gehen. Die
Kirche aber bleibt.
4 Dec 2019
## LINKS
DIR [1] https://www.blog.google/inside-google/alphabet/letter-from-larry-and-sergey/
DIR [2] /Google-will-zurueck-nach-China/!5526131
DIR [3] /Sven-Giegold-ueber-Milliarden-Strafe/!5623367
DIR [4] /NSA-Spionage-in-den-USA/!5060599
DIR [5] /Kuenstliche-Intelligenz-von-Google/!5511341
DIR [6] /Mozilla-Chefin-ueber-Googles-Marktmacht/!5589496
DIR [7] https://www.theverge.com/2019/11/25/20983053/google-fires-four-employees-memo-rebecca-rivers-laurence-berland-union-busting-accusation-walkout
DIR [8] https://www.nytimes.com/2018/12/11/business/sundar-pichai-google-house-hearing.html
## AUTOREN
DIR Daniél Kretschmar
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