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       # taz.de -- Die Zehnerjahre in der Kultur: Gönnerhafte Zuwendung
       
       > Refeudalisierung, patriarchale Superstrukturen und die Debatte um die
       > Freiheit der Kunst. Das war das Jahrzehnt, kunstkritisch betrachtet.
       
   IMG Bild: „Histoires de Tripes – Volume 006“ von Ghizlane Sahli auf der Kunstmesse Köln, November 2019
       
       Wenige Galerien, Kunsthändler und Auktionshäuser dominierten in der
       vergangenen Dekade den Kunstmarkt. Das sagt der Tefaf Report, der
       Marktbericht der European Fine Art Fair in Maastricht, einer der
       international wichtigsten Kunstmessen. Vergangenes Jahr tätigten 30
       Galerien weltweit ein Drittel der Verkäufe, bei den Auktionshäusern waren
       20 Häuser für 70 Prozent der Umsätze verantwortlich. Dem Art Basel & UBS
       Report zufolge entfielen im gleichen Jahr 84 Prozent des globalen
       Gesamtumsatzes von 60 Milliarden Euro auf die drei größten Märkte USA, UK
       und China. Entscheidende Käuferschaft sind laut Report 200 Topsammler.
       
       Öffentliche Museen finden sich nicht darunter. Ihnen fehlen die
       Ankaufsetats. Daher ist es ihr Anliegen, von den Sammlern bedacht zu
       werden, sei es mit Schenkungen, in Deutschland vor allem mit Leihgaben. Die
       Sammlungspolitik der Museen ist also die der ihnen gewogenen Sammler und
       Sammlerinnen. Den einen oder anderen Wunsch dürfen die
       Museumsverantwortlichen dabei sicher auch äußern.
       
       Die kanondestruierende Neueinrichtung, die das Museum of Modern Art (MoMA)
       in New York anlässlich der Eröffnung ihres Erweiterungsbaus präsentierte,
       ließe sich unter Umständen als Versuch sehen, die eigene Machtlosigkeit
       subversiv zu unterlaufen.
       
       Pablo Picassos kubistisches Schlüsselwerk „Les Demoiselles d’Avignon“
       (1907) mit den Alpträumen der afroamerikanischen Künstlerin und
       Bürgerrechtsaktivistin Faith Ringgold („American People Series #20: Die“,
       1967) zu konfrontieren, ist nach gängigen Maßstäben ein starkes Stück.
       Modellhaft dafür, wie man mit Minderheitenpositionen die Fetische des
       Marktes gegen den Strich bürsten kann.
       
       Freilich hilft das wenig, solange im Aufsichtsrat des Museums mit Larry
       Fink, Gründer und Chef von BlackRock, dem global führenden
       Vermögensverwalter, weiterhin einer der Topsammler sitzt, die den
       Kunstbetrieb beherrschen. Fink ist dazu zweitgrößter Investor der
       US-amerikanischen Gefängnisindustrie, weswegen 220 Künstler, Kuratoren und
       Wissenschaftler ihn in einem offenen Brief aufforderten, dieses Investment
       aufzukündigen, wolle er länger im Direktorium des MoMA sein.
       
       Die Ungereimtheiten des Kunstbetriebs fallen mit dessen Refeudalisierung,
       die der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich anhand der oben genannten
       Machtverschiebung konstatiert, erst richtig auf.
       
       Die Demokratisierungs-, Solidarisierungs- und Teilhabeforderungen, die die
       Kunst im 20. Jahrhundert noch als grundlegend für ihren Anspruch
       betrachtete, ästhetische wie gesellschaftliche Avantgarde zu sein,
       verfangen im durchkommerzialisierten Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts
       nicht mehr, weswegen er endlich als patriarchale Superstruktur kenntlich
       wird: absolut unzeitgemäß sexistisch, rassistisch, kriminell und immer
       autoritär.
       
       Der Maler Neo Rauch etwa antwortet auf eine ihm unliebsame Bemerkung von
       Wolfgang Ullrich [1][mit dem Scheißbild „Der Anbräuner“] (2019), das ein
       Immobilienfritze dann für 750.000 Euro ersteigert.
       
       ## Die intrinsischen Qualitäten des Kunstwerks
       
       Währenddessen beklagen die Freunde der Kunst die Preisgabe des Kriteriums
       der intrinsischen Qualität des Kunstwerks. Die Freiheit der Kunst ist dann
       also dort gefährdet, wo die Annahme, das Kunstwerk sei immer größer als
       sein Schöpfer, auf Skepsis stößt.
       
       Wo man womöglich wie Michel Foucault der Meinung ist, „das Privatleben
       eines Individuums, seine sexuelle Vorliebe und sein Werk hängen eng
       miteinander zusammen, weil das Werk das gesamte Leben ebenso einschließt
       wie den Text“ oder eben das Kunstwerk.
       
       Josef Beuys ist das „Zeige deine Wunde“ (1974/75) erlaubt, einer sexuell
       belästigten Künstlerin nicht. Hier ist sehr schnell von Tugendterror die
       Rede. Den gibt es, keine Frage. Der autoritären Versuchung erliegen auch
       jene, die Tabus brechen, Gewaltstrukturen benennen, Teilhabe und/oder
       Respekt einfordern.
       
       Sie erliegen womöglich der identitären Versuchung und bezichtigen am Ende
       andere der schuldhaften „kulturellen Aneignung“, paradigmatisch der Fall
       der Künstlerin Dana Schutz, weiße Frau malt unerhörter Weise schwarzes
       Opfer. Ein Aufreger. Immerhin. Denn nur noch Starkünstler, Topgalerien und
       Übersammler – dann werden wir über die kommenden 20er Jahre in der Kunst
       als die Jahre sprechen müssen, in denen wir vor Langeweile gestorben sind.
       
       31 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zeit.de/2019/32/neo-rauch-der-anbraeuner-versteigerung-auktion-exkremente-bild
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
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