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       # taz.de -- „Bismarck taugt nicht als Vorbild, er war kein Demokrat“
       
       > Man muss Bismarck aus seiner Zeit heraus verstehen – in seinen Taten und
       > in seinen Untaten, sagt Ulrich Lappenküper, der die
       > Otto-von-Bismarck-Stiftung leitet
       
   IMG Bild: Das größte Bismarck-Denkmal weltweit steht in Hamburg
       
       Von Michael Kees
       
       taz am wochenende: Herr Lappenküper, Ihre Otto-von-Bismarck-Stiftung sieht
       sich als Lernort der Demokratiegeschichte. Wie passt das zum Namensgeber? 
       
       Ulrich Lappenküper: Bismarck kann gewiss nicht zum Demokraten geschminkt
       werden, und dennoch vermag sein Leben geradezu exemplarisch den steinigen
       Weg zu Demokratie und Freiheit in Deutschland zu erzählen. Die
       parlamentarische Demokratie blieb ihm ein Gräuel, und dennoch ebnete er den
       Weg zu wichtigen demokratischen Errungenschaften wie einer Verfassung mit
       allgemeinem, gleichem und geheimem Männerwahlrecht. Die Bildung einer dem
       Parlament verantwortlichen Regierung blockierte er und suchte gleichwohl
       den Schulterschluss mit Reichstag und Bundesrat.
       
       Zeitweise gab es in Deutschland einen richtigen Bismarck-Kult. Wie ist es
       dazu gekommen? 
       
       Der Kult, aus dem sich dann ein Mythos entwickelt hat, begann schon zu
       Lebenszeiten Otto von Bismarcks. Nach dem erzwungenen Rücktritt 1890 musste
       Bismarck zunächst zur Kenntnis nehmen, dass die Deutschen ihm in großen
       Teilen keine Träne nachweinten, weil sie ihre ganze Hoffnung in den neuen
       Kaiser Wilhelm II. hineinsteckten. Als sich allerdings nach wenigen Jahren
       Ernüchterung einstellte, wurde Bismarck zu einem Identifikationssymbol, in
       das vor allem Nationalliberale ihre unerfüllten Wünsche hineinprojizierten.
       Bismarck stieg dann nach seinem Tod 1898 zur Leitfigur eines Nationalismus
       auf, der sich von der eigentlichen historischen Figur Otto von Bismarcks
       weitgehend abhob.
       
       Inwiefern? 
       
       Was man mit Bismarck identifizierte, konnte nur noch sehr bedingt mit der
       historischen Figur und mit seiner Politik in Einklang gebracht werden.
       Gerade im Ersten Weltkrieg stieg Bismarck zu einer Heldenfigur auf. Aber
       die Figur, der man da huldigte, hatte zumindest seit der Gründung des
       Deutschen Kaiserreichs 1871 alles darangesetzt, einen solchen Krieg zu
       verhindern.
       
       Wie viel ist heute noch von diesem Mythos oder Kult übrig? 
       
       Nicht mehr viel, denn die Bewertungen Bismarcks haben eine prägnante
       Entwicklung erfahren. Wir erleben nach dem Zweiten Weltkrieg eine
       Ambivalenz zwischen Denkmal und Dämon. Bismarck war für die einen ein
       nationaler Held und die anderen betrachteten ihn nach 1945 als Wegbereiter
       der deutschen Katastrophe. Das hat sich spätestens seit den 1980er Jahren
       deutlich gewandelt. Man ist zu einer Versachlichung der Debatte
       übergegangen, der in den 1990er Jahren ein starkes Plädoyer für eine
       konsequente Historisierung des Eisernen Kanzlers gefolgt ist. Bismarck wird
       heute als Teil der deutschen Geschichte begriffen und in seinen Leistungen
       und Grenzen unvoreingenommener betrachtet, als das lange Zeit der Fall war.
       Man muss Bismarck immer aus seiner Zeit heraus verstehen – in seinen Taten
       und in seinen Untaten.
       
       Die AfD bezieht sich gerne auf Bismarck – unter anderem in der
       Außenpolitik, wenn es um eine Annäherung an Russland geht. Was halten Sie
       von dieser Vereinnahmung durch die AfD? 
       
       Das Ganze ist ahistorisch – zumindest was die Vereinnahmung der
       Russland-Politik Bismarcks angeht. Die sogenannten Putin-Versteher in der
       AfD können sich nicht auf Bismarck berufen, wenn sie ihn zum Protagonisten
       einer unverbrüchlichen deutsch-russischen Freundschaft erheben wollen. Wenn
       man sich die Russland-Politik Bismarcks anschaut, war Bismarck trotz aller
       prorussischen Sympathien vor allem Realpolitiker, der Russland als Gefahr
       wahrgenommen hat. Das Zarenreich war ob seiner Größe und Möglichkeiten
       schlichtweg unbesiegbar und musste deshalb zum Freund oder zumindest zum
       Partner gemacht werden.
       
       Bismarck wurde in der Geschichte immer wieder instrumentalisiert. Woran
       liegt das? 
       
       In erster Linie daran, dass er eine Jahrhundertgestalt war, der wichtigste
       Staatsmann des 19. Jahrhunderts und wahrscheinlich nicht nur des deutschen
       Sprachraums, sondern in Europa insgesamt. Darüber hinaus liegt es daran,
       dass er so widersprüchlich ist. Diese Widersprüchlichkeiten bieten viele
       Möglichkeiten, sie für die eigenen politischen Belange zu
       instrumentalisieren.
       
       Besonders Björn Höcke scheint in Bismarck den idealen Staatsmann und
       Politiker zu sehen. Taugt Bismarck als Vorbild? 
       
       Aus der Sicht eines Demokraten taugt er nicht als Vorbild, weil Bismarck
       mit Sicherheit kein Demokrat war. Leider hält sein Politikverständnis heute
       an vielen Stellen der Welt wieder Einzug. Bismarck sah die Politik als
       Kampf, in dem es galt, Freund und Feind zu unterscheiden und die Feinde zu
       bekämpfen, möglichst sogar zu vernichten – zumindest politisch. Ich glaube,
       ein solches Politikverständnis trägt nicht zur Lösung aktueller politischer
       Konflikte bei.
       
       Dennoch ist Bismarck heute noch präsent. Es gibt die vielen Denkmäler, den
       Bismarck-Hering und Bismarck-Mineralwasser. Über 600 Straßen sind nach ihm
       benannt. Ist es problematisch, wenn eine umstrittene Figur wie Bismarck
       durch so viele Denkmäler und andere Dinge geehrt wird? 
       
       Es stellt sich die Frage, ob der Begriff der Ehrung an dieser Stelle der
       richtige ist. Ich würde aber betonen, dass mit Otto von Bismarck nicht der
       Weg in die Katastrophe vorgezeichnet war – weder in die des Ersten noch des
       Zweiten Weltkriegs. Eine solche Einbahnstraßenpolitik vermag ich in der
       deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nicht zu erkennen. Aber
       wir können uns an Bismarck immer noch reiben und genau das sollten wir
       unbedingt auch tun. Deshalb sind die vielen Denkmäler für uns in der
       Bismarck-Stiftung immer wieder Ansporn und Anlass, darüber nachzudenken,
       was er uns heute noch zu sagen hat und wie windungsreich die deutsche
       Geschichte im späten 19. und im 20. Jahrhundert verlaufen ist.
       
       Unter Bismarck ist das Deutsche Reich zur Kolonialmacht geworden. Heute
       gibt es Debatten, ob man Straßen, die nach Kolonialisten benannt sind,
       umbenennen sollte. Gab es so eine Debatte auch um Bismarck? 
       
       Keine breite. Aber sein Name wird immer wieder in einschlägigen Debatten
       mit in die Riege jener hineingezogen, über die man mindestens kritisch
       nachdenken sollte. Bisher hat es, soweit ich es wahrnehme, noch keinen – in
       Anführungsstrichen – Bildersturm gegen Otto von Bismarck gegeben. Ich
       hielte davon offen gestanden auch nur bedingt etwas. Mir gibt diese Debatte
       in hohem Maße zu denken. Hier in Hamburg zum Beispiel gibt es solche
       Debatten über einige Protagonisten der Kolonialpolitik, ob das Wissmann
       ist oder Woermann. In Münster ist zuletzt der Hindenburgplatz in
       Schlossplatz umbenannt worden.
       
       Was halten Sie davon? 
       
       Diese Art von Geschichtstilgung ist hochproblematisch. Es gibt leider in
       vielen Staaten der Welt aktuell Tendenzen, die unliebsamen Entwicklungen in
       der eigenen Geschichte einfach auszublenden – ob das nun die Vereinigten
       Staaten von Amerika sind, ob das China ist, ob das Russland ist. Die
       Bundesrepublik Deutschland tut meiner Meinung nach gut daran, sich
       weiterhin auch mit den dunklen Seiten ihrer Geschichte kritisch
       auseinanderzusetzen und sie nicht in irgendeiner Form auszuradieren.
       
       7 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Kees
       
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