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       # taz.de -- Streit um die Windkraft: Panorama mit Windrad
       
       > Windräder werden sich auch im Südschwarzwald drehen. Sie verändern damit
       > eine Landschaft, die noch nie natürlich war.
       
   IMG Bild: Der Feldberg im Schwarzwald: Sehnsuchtsort für Touristen und Windparkbetreiber
       
       Das Schwarzwalddorf, in dem ich aufwuchs, zählte etwa zweihundert
       Einwohner. Es gab dort ein Hotel, zwei Gasthöfe, einen Tante-Emma-Laden und
       ein Postamt. Im Schulhaus wurden die ersten beiden Klassen gemeinsam von
       der Dorflehrerin unterrichtet, im Rathaus daneben tagte der Bürgermeister
       mit acht Gemeinderäten. In jedem Stall standen ein paar Kühe. Zum Leben
       reichte die Landwirtschaft allerdings schon lange nicht mehr, deshalb
       arbeiteten die Männer auf dem Bau, als Lkw- oder Busfahrer, während sich
       die Frauen zu Hause um Kinder und Feriengäste kümmerten.
       
       Wie viele andere Höfe boten auch wir „Zimmer mit Frühstück“ an. Die Gäste
       kamen in den Sommerferien aus dem Ruhrgebiet, blieben drei Wochen und
       unternahmen Ausflüge und Wanderungen in der näheren Umgebung.
       
       Gut vierzig Jahre später ist von der einstigen Betriebsamkeit nicht mehr
       viel zu spüren. Das Dorf liegt am Rand eines Unesco-Biosphärenreservats,
       doch der Tourismus im Ort hat stark abgenommen. Nun müssen andere
       Einkommensquellen aufgetan werden, und vor wenigen Jahren tauchte ein
       vielversprechender Kandidat auf: [1][ein Windpark] mit neun
       Windkraftanlagen, die entlang des Höhenzugs vor dem Nachbartal errichtet
       werden sollen. In Aussicht stehen Pachterträge für die Gemeindekasse und
       das gute Gefühl, zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. Andererseits
       bedeuten die geplanten 230 Meter hohen Windräder Lärm und erhebliche
       Eingriffe in Natur und Landschaft.
       
       Ein Teil der Bewohner unterstützt das Vorhaben, andere haben eine
       Bürgerinitiative dagegen gegründet. Es ist eine Geschichte, wie sie sich
       derzeit in Deutschland hundertfach abspielt.
       
       ## Landschaftsschutz, ein unpräzises Kriterium
       
       Außer den üblichen Argumenten gegen den Bau neuer Windkraftanlagen wird im
       Schwarzwald mit Nachdruck der Landschaftsschutz ins Feld geführt. Ein
       denkbar unpräzises Kriterium: Wie soll man den Wert der Landschaft
       aufrechnen gegen die Kilowatt von erzeugtem Strom und die Tonnen von
       eingespartem CO2-Ausstoß, die Gewinne des Investors und den Nutzen für die
       Gemeinde? Dabei ist auch Landschaft nicht einfach verfügbar. Sie ist ein
       durch das Bundesnaturschutzgesetz geschütztes Gut, ihre Vielfalt, Eigenart
       und Schönheit sowie ihr Erholungswert sollen erhalten werden. Vor allem
       großflächige Räume sollen vor weiterer Zergliederung bewahrt werden. Als
       Resultat überzieht ein Flickenteppich von Natur-, Biotop- oder
       Landschaftsschutzgebieten Deutschland.
       
       Die Schönheit liegt dabei meist im Auge des Betrachters: Sowohl die
       Bürgerinitiative als auch der Investor hat Visualisierungen erstellt, aus
       denen ersichtlich werden soll, dass die Landschaft durch die Windräder
       entweder kaum beeinträchtigt oder im Gegenteil verschandelt werde.
       
       Das hier willkürlich traktierte Landschaftsargument ist in der Wissenschaft
       zum Trendthema geworden. Die kulturgeografischen Landscape Studies
       erforschen den menschlichen Einfluss auf die natürliche Oberflächengestalt
       der Erde. Dabei gehen sie davon aus, dass es zumindest in Europa so gut wie
       keine unberührte Natur mehr gibt. So wie es auch die Europäische
       Landschaftskonvention aus dem Jahr 2000 festhält: Landschaften sind immer
       schon Kulturlandschaften. Mit diesem Landschaftsbegriff können dann sogar
       Urban Landscapes, also Stadträume, unter dem Begriff der Landschaft gefasst
       werden.
       
       Allerdings ist dieser Ansatz in der Praxis kaum hilfreich. Es geht nicht um
       schön oder hässlich, sondern um Flächenkonkurrenzen und Nutzungskonflikte,
       etwa zwischen Tourismus, Wohnen und Wirtschaft. Letztlich ist es eine
       Auseinandersetzung darüber, wer die Macht hat, über die Nutzung der
       Landschaft zu bestimmen.
       
       ## Wiedergutmachung für die Bausünden der 1970er
       
       An einem Januartag vor fünfundzwanzig Jahren stand ich in Berlin, wo ich
       damals studierte, am Bahnhof Zoo und wartete auf den Intercity aus
       Freiburg. Aus dem Zug stieg gefühlt mein halbes Dorf aus. Am nächsten Tag
       sollte die Gruppe die Goldmedaille im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner
       werden“ entgegennehmen. Gemeinschaftlich hatte man sich in dem kleinen
       Erholungsort bemüht, „den unverwechselbaren Dorf- und Landschaftscharakter
       zu erhalten“. Es wurden Gärten gestaltet, Häuser herausgeputzt, die
       Ortsbausatzung wurde durchgesetzt, die alles „Landuntypische“ wie
       Dachfenster oder Thujahecken verbot.
       
       Man kann das als Wiedergutmachung verstehen für die Bausünden der siebziger
       Jahre, in denen man versucht hatte, mit Mitteln des Baugroßmarkts
       städtischen Wohnkomfort zu erreichen. Es wirkte, als ob das Leben auf dem
       Land zu einem Einverständnis mit sich gekommen wäre. Im Zuge dieser
       Aufbruchsstimmung wurde die touristische Infrastruktur ausgebaut. Am
       Feldberg erweiterte man mit viel Beton und Stahl die Liftanlagen, die
       Passstraße dorthin wurde zweispurig ausgebaut. Mehr und mehr wurde die
       Landschaft für Freizeitansprüche genutzt. Wobei bald schon gewarnt wurde,
       dass man beginne, die Landschaft, die doch Grundlage ebendieses Tourismus
       war, zu zerstören.
       
       Die damaligen Vorhersagen haben sich nur teilweise bewahrheitet. Noch immer
       gibt es gewaltige Wintersportanlagen und Blechlawinen, die sich sommers bis
       an den kleinsten Weiher wälzen. Erste Bettenburgen haben allerdings keine
       Nachfolger gefunden. Der naturzerstörende Billigtourismus ist
       weitergezogen, stattdessen findet eine Besinnung auf sanften Tourismus
       statt.
       
       Blickt man von oben auf die Landschaft, sind die Veränderungen der
       vergangenen Jahrzehnte ablesbar: Die Landschaft ist eintöniger geworden,
       seit so gut wie kein Ackerbau mehr betrieben wird, der das bunte Mosaik der
       Felder bestimmte, und viele Obstgärten verschwanden. Das sind auch Folgen
       der wechselnden politischen Vorgaben, die mal die Aufforstung, mal die
       Offenhaltung der Landschaft prämierten. Beständig ist nur die Form des
       Geländes: die sich staffelnden Berg- und Hügelketten, das Rheintal, die
       Alpen in der Ferne. All dies ist längst kartiert, vermessen und in
       unterschiedliche Nutzungszonen eingeteilt.
       
       Wie stark oder wie wenig die Eingriffe durch sich ausdehnende
       Siedlungsräume, Industrieanlagen, Verkehrsinfrastruktur oder touristische
       Einrichtungen wahrgenommen werden, ist eine Frage der Perspektive. Steigt
       man auf einen der Berge, kann man, je nachdem, in welche Himmelsrichtung
       man den Blick wendet, sehen, wie sich die Industrieregion um Basel
       ausdehnt, wie die Stadt Freiburg in die Rheinebene hinauswächst oder wie
       die Wolken aus den Kühltürmen des Atomkraftwerks in dem auf der
       französischen Rheinseite gelegenen Fessenheim aufsteigen.
       
       Wo also wäre das Problem, wenn sich zwischen dieses Panorama hier und da
       Windparks schieben würden? Kann man hier überhaupt noch von einem
       „großräumigen Zusammenhang“ sprechen, wie er durch das Gesetz geschützt
       werden soll? Die Zerschneidung des Waldgebiets hat schließlich schon vor
       langer Zeit eingesetzt. Wie die Gründer des hier tätigen
       Windenergieunternehmens in einem Interview gesagt haben, ist der Feldberg,
       eines der meistbesuchten Tourismusziele im Schwarzwald, auch ihr
       „Sehnsuchtsort“. Nicht zum Wandern, sondern als Standort, weil sich dort
       die windhöffigste Lage in ganz Baden-Württemberg befinde. Sie hegen die
       Hoffnung, dass das Naturschutzgebiet irgendwann doch noch dafür freigegeben
       wird. Schließlich sei der Berg durch die vielen Ausflügler ohnehin „längst
       versaut“.
       
       Gegenwärtig befinden sich etwa 30.000 solcher Anlagen in ganz Deutschland
       an Land, davon etwas mehr als 700 in Baden-Württemberg. Mit dem [2][Ausbau
       regenerativer Energien] sollen es deutlich mehr werden – der Bundesverband
       Windenergie forderte unlängst, 2 Prozent der Fläche jedes Bundeslands dafür
       auszuweisen. Wenn technische Anlagen in dieser Weise näher rücken, wird der
       Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen Gewerbegebiet und
       Naherholungsraum potenziell eingeebnet. Dorfbewohner werden im besseren
       Fall zu Einwohnern eines entfernter liegenden Vororts, von dem aus sie
       weiter zu ihren Arbeitsplätzen in den Ballungsräumen pendeln müssten, im
       schlechteren zu Anrainern eines Gewerbegebiets im Rücken der Stadt, wohin
       man die Energieerzeugung ausgelagert hat.
       
       Eine Autostunde entfernt von meinem Dorf liegt Wyhl am Kaiserstuhl. Der
       Name des Orts ist ein Synonym für erfolgreichen Widerstand gegen ein
       Großprojekt der Atomindustrie und für den Anfang der Umweltbewegung. Anfang
       der siebziger Jahre wollte die Landesregierung das Rheintal zur
       Industriezone ausbauen, Wohnen und Erholung sollten davon getrennt und
       weiter in Richtung Schwarzwald verlegt werden. Parallel zum Protest
       entstanden Überlegungen, wie man sich von konventionellen Energieträgern
       unabhängig machen könnte. Im Mai 1976 fand in Sasbach im Rheintal die
       weltweit erste Ausstellung über alternative Energien statt, später sollte
       sich Freiburg zur Hauptstadt der Solarenergie entwickeln.
       
       Die Windräder, die nun allerorten gebaut werden, sind die Erben dieser
       Bewegung, und die Bürgerinitiativen, die sich dagegen wehren, sind es
       genauso. Der Boom der erneuerbaren Energien mit ihren technischen
       Einrichtungen, so besagen wissenschaftliche Studien, führt wesentlich
       rascher zu Landschaftsveränderungen als Jahrhunderte landwirtschaftlicher
       Nutzung – und als der Klimawandel selbst. Die historische Dialektik macht
       auch vor dem Verhältnis von Naturbewahrung und Naturzerstörung nicht halt.
       
       8 Dec 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sonja Asal
       
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