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       # taz.de -- Ex-Innenminister stellt Buch vor: Kreativer Protest gegen de Maizière
       
       > Der frühere Innenminister wollte in Göttingen aus seinem Buch vorlesen.
       > Anders als letztes Mal schafft er das auch – Widerspruch gibt es
       > trotzdem.
       
   IMG Bild: PolizistInnen am Dienstagabend in Göttingen am Rande der Demonstration
       
       Göttingen taz | Kulturprogramm statt Blockade: Kreativ und friedlich haben
       rund 150 Menschen am Dienstagabend in Göttingen gegen einen Auftritt des
       CDU-Politikers Thomas de Maizière und für eine humane Flüchtlingspolitik
       demonstriert. Zeitgleich, nur wenige Meter entfernt und unter starkem
       Polizeischutz las der frühere Bundesinnen- und -Bundesverteidigungsminister
       vor etwa 300 Interessierten aus seinem Buch “Regieren“.
       
       Ursprünglich hatte de Maizière das Buch bereits am 21. Oktober vorstellen
       wollen. Doch damals verhinderten rund 100 linke Aktivisten die Lesung,
       [1][indem sie die Aufgänge zum Veranstaltungsort blockierten.] Sie wollten
       damit auf den Angriffskrieg der türkischen Armee gegen die Kurdenregion
       Rojava in Nordsyrien hinweisen.
       
       Die Blockade war bundesweit heftig kritisiert worden und hatte die Debatte
       um eine angebliche Beschränkung der Meinungsfreiheit befeuert.
       CSU-Generalsekretär Markus Blume hatte gar Vergleiche zur Bücherverbrennung
       in der NS-Zeit gezogen. Andere Unionspolitiker stellten die Blockade in
       eine Reihe mit dem tödlichen Attentat auf den CDU-Landrat Walter Lübcke und
       den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle.
       
       Auch de Maizière ging vor seiner Lesung im Alten Rathaus am Dienstag noch
       einmal kurz auf die damaligen Ereignisse ein. Er komme “jetzt erst recht“
       nach Göttingen, sagte er. Zugleich äußerte er sich “bestürzt und besorgt“
       über einen [2][mutmaßlichen Brandanschlag auf das Göttinger Amtshaus] in
       der Nacht zu Montag – in dem Gebäude sind die Ausländerbehörde und das
       Jobcenter untergebracht. In einem “Bekennerschreiben“ war auf den
       bevorstehenden Besuch de Maizières Bezug genommen worden. Bei dem Anschlag
       entstand hoher Sachschaden. Leute, die Behörden anzündeten, seien “genauso
       schlimm wie diejenigen, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden“, sagte de
       Maizière.
       
       ## Die „Menschlichkeit“ wurde zu Grabe getragen
       
       Bei der von mehreren linken Gruppen organisierten Gegenveranstaltung am
       Rand des Göttinger Marktplatzes wandte sich ein Vertreter des Göttinger
       Bündnisses gegen Abschiebungen direkt an de Mazière: Er habe als Minister
       unter anderem den Flüchtlingsdeal mit der Türkei eingefädelt, “durch den
       Millionen von Menschen in der Türkei, aber auch auf den griechischen Inseln
       festgesetzt werden und der das Sterben im Mittelmeer weiter vorantreibt“.
       
       “Wir erheben auch Widerspruch gegen Ihre Bereitwilligkeit, auf Erdoğans
       Verlangen hin gegen Kurdinnen und und Kurden vorzugehen und sie hierzulande
       mit Hausdurchsuchungen und Kriminalisierungsversuchen zu überziehen“, fügte
       der Redner hinzu. “Und wir erheben Widerspruch gegen Ihre tödliche Lüge,
       [3][in Afghanistan gäbe es sichere Gebiete und also könne dorthin
       abgeschoben werden“.] Zudem habe de Maizière die Debatte um eine “deutsche
       Leitkultur“ mit angestoßen. Dadurch sei der AfD der Weg “noch in das letzte
       Landesparlament“ geebnet worden.
       
       Aktivisten trugen sodann einen Pappsarg mit der Aufschrift “Menschlichkeit“
       symbolisch zu Grabe. Ein Chor sang Arbeiter-, Partisanen- und
       internationale Befreiungslieder. Zudem wurden Texte kurdischer Autoren
       vorgetragen, etwa aus der Autobiografie der PKK-Kämpferin Sakine Cansız,
       die 2013 in Paris erschossen wurde – vermutlich vom türkischen
       Geheimdienst. Die vorgelesenen Texte waren in einem Verlag erschienen, der
       Anfang dieses Jahres mit Verweis auf Nähe zur PKK verboten worden war.
       
       Die Polizei hielt sich währenddessen überwiegend zurück. Nach knapp
       zweistündigem Kultur- und Redeprogramm, die meisten Zuhörer waren schon
       gegangen und der Bühnentechniklaster wurde gerade beladen, griffen die
       Beamten dann aber doch noch zu. Sie nahmen zwei Personen in Gewahrsam,
       nahmen deren Personalien auf und setzten sie für eine knappe Stunde in
       einem Polizeifahrzeug fest. Warum das geschah, hat die Polizei bisher noch
       nicht mitgeteilt.
       
       27 Nov 2019
       
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