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       # taz.de -- Verpflichtungserklärung für Geflüchtete: Bürgen zahlen drauf
       
       > Beatrix und Bernd Metzner hatten gebürgt, damit die Syrerin Heba Abazeid
       > nach Deutschland kommen kann. Nun sollen sie 26.000 Euro zahlen.
       
   IMG Bild: „Was hätten Sie denn gemacht?“: Beatrix und Bernd Metzner, in der Mitte Heba Abazeid
       
       Teltow/Berlin taz | Beatrix Metzner sitzt in ihrem Wohnzimmer im
       brandenburgischen Teltow, so weit vorgebeugt auf der Kante ihres Sessels,
       dass es aussieht, als würde sie gleich aufspringen. Ihr Mann Bernd Metzner
       lehnt sich zwar zurück – doch auch er wedelt mit den Händen über dem
       Adventskranz auf dem Couchtisch, wenn er spricht. Entspannt, das sind die
       Metzners beide nicht.
       
       Denn am Donnerstag muss das Ehepaar vor Gericht. Sie sollen rund 26.000
       Euro zahlen – weil sie 2015 für eine syrische Frau und ihr damals
       zweijähriges Kind gebürgt haben, damit diese nach Deutschland kommen
       können. „Das war doch eine Notlage damals“, sagt Bernd Metzner.
       
       Die Frau, um die es geht, heißt Heba Abazeid. Sie ist die Schwester des
       Schwiegersohns von Beatrix und Bernd Metzner. Als in Syrien der Bürgerkrieg
       tobte, floh sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in den Libanon. Die
       Unterschrift der Metzners half, sie und das Kind im Mai 2015 über das
       Landesaufnahmeprogramm nach Berlin zu holen, wo die Tochter der Metzners
       und ihr Mann leben. Der Mann kam später über den Familiennachzug.
       
       Die Metzners verpflichteten sich damals, für alle dem Staat möglicherweise
       entstehenden Kosten in Bezug auf Heba Abazeid und ihre Tochter zu haften.
       Das Ehepaar arbeitete damals in einer evangelischen Gemeinde, er als
       Kirchenmusiker, sie als Gemeindepädagogin. Inzwischen sind beide in Rente.
       
       ## Unklare Gesetzeslage
       
       Es ist eine Geschichte, die Anfang des Jahres eigentlich [1][als erledigt
       galt]. Es geht um Jobcenter, die [2][hohe Summen von Privatleuten
       zurückverlangen], weil diese geholfen haben, syrische Geflüchtete auf
       sicherem Weg nach Deutschland zu holen. Dafür gab es in den verschiedenen
       Bundesländern Aufnahmeprogramme. Eine Bedingung: die
       Verpflichtungserklärung. Hunderte unterschrieben – meist in dem Glauben,
       dass die Verpflichtung erlischt, sobald die Geflüchteten Asyl bekommen.
       
       „Das war das, was man sich damals so erzählt hat, und bei der
       Ausländerbehörde wurde uns nichts anderes erklärt“, sagt auch Beatrix
       Metzner. Doch das entsprechende Gesetz war unbestimmt und sah eigentlich
       eine unbegrenzte Haftung vor. Im Jahr 2016 schuf der Bundestag Klarheit:
       Unabhängig vom Asylverfahren gelten Verpflichtungserklärungen seither für
       fünf Jahre, bei Altfällen wie den Metzners für drei. Und so baten die
       Jobcenter zahlreiche Bürg*innen zur Kasse.
       
       Rund 2.500 Zahlungsaufforderungen wurden deutschlandweit verschickt, der
       Aufschrei war groß – immerhin hatte die Politik selbst die Bürger*innen
       aufgefordert, sich in den Aufnahmeprogrammen zu engagieren. Auch das
       Ehepaar Metzner bekam Post vom Jobcenter im Berliner Bezirk
       Tempelhof-Schöneberg: Sie sollen 25.498,16 Euro zurückzahlen. Ihr Fall
       liegt jetzt beim Verwaltungsgericht.
       
       Im Januar 2019 dann erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), man
       habe für die Altfälle eine [3][„gute Lösung, die hilft“ gefunden]. „Ich
       kann in den nächsten Tagen die Jobcenter anweisen, von diesen
       Rückforderungen an Flüchtlingsbürgen abzusehen.“
       
       ## Nicht pauschal aufgehoben
       
       Doch ganz so simpel ist es nicht – das zeigt der Fall der Familie Metzner.
       Denn in der Weisung des Bundesarbeitsministeriums an die Jobcenter
       [4][steht keineswegs, dass alle Zahlungsaufforderungen aufgehoben werden
       sollen]. Vielmehr steht da, das Ermessen sei „dahingehend auszuüben, dass
       von einer Heranziehung abzusehen ist“. Dies gelte aber nicht, wenn die
       Ausländerbehörde „nachweislich“ über die Dauer der Verpflichtung aufgeklärt
       habe.
       
       In Ländern wie Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind damit
       alle Forderungen erledigt: Dort waren selbst die Innenministerien davon
       ausgegangen, dass mit dem Asylbescheid alles erledigt sei. In Berlin
       hingegen unterzeichneten alle Bürg*innen eine Zusatzerklärung, die wie der
       ursprüngliche Gesetzestext eine unbegrenzte Haftung vorsah.
       
       Dadurch seien die Metzners ausreichend informiert gewesen, argumentiert das
       Jobcenter Tempelhof-Schöneberg. Die Metzners widersprechen. „Die Beratung
       durch die Ausländerbehörde hat gerade mal zehn Minuten gedauert. Und wann
       genau die Verpflichtung endet, darüber wurde gar nicht gesprochen“, sagt
       Beatrix Metzner. Ihr Mann ergänzt: „Ob die Weisung des Arbeitsministers nun
       auf Berlin zutrifft oder nicht, darüber kann man ja streiten. Aber diese
       Ungleichbehandlung ist es, die uns ärgert.“
       
       Denn obwohl alle Verpflichtungsgeber*innen in Berlin damals die gleiche
       Zusatzerklärung unterschrieben haben, müssen keineswegs auch alle zahlen.
       Jenny Fleischer, Anwältin der Metzners, verweist auf mehrere vergleichbare
       Fälle in Berlin, die sie vertreten hat und bei denen die
       Erstattungsbescheide mit Bezug auf die neue Weisung aufgehoben wurden. Die
       entsprechenden Dokumente liegen der taz vor – es geht um Fälle der Berliner
       Jobcenter in Steglitz-Zehlendorf und Friedrichshain-Kreuzberg.
       
       ## Jedes Jobcenter entscheidet selbst
       
       Auch in Mitte und Spandau hätten die Jobcenter Bescheide aufgehoben, sagt
       Fleischer. „Das zeigt, dass die Weisung des Bundesarbeitsministeriums in
       Berlin trotz der Zusatzerklärung greift.“ Es sei eine Verwaltungspraxis
       entstanden, auf die ihre Mandant*innen sich wegen des Gebots der
       Gleichbehandlung berufen könnten.
       
       Das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg sieht das anders. Andere Häuser hätten
       ebenfalls Ansprüche geltend gemacht, etwa Treptow-Köpenick, Lichtenberg
       oder Neukölln, heißt es in einem Schreiben an das zuständige Berliner
       Verwaltungsgericht vom Oktober. Tatsächlich habe er noch offene
       Klageverfahren, etwa in Treptow-Köpenick und Neukölln, sagt Rechtsanwalt
       Joachim Genge, der ebenfalls betroffene Bürg*innen vertritt. In Lichtenberg
       aber habe das Jobcenter bereits im März einen Bescheid mit Bezug auf die
       Weisung aufgehoben.
       
       Wer in Spandau oder Kreuzberg für Menschen gebürgt hat, kann also aufatmen,
       wer das in Tempelhof-Schöneberg getan hat, soll zahlen. Beatrix Metzner ist
       darüber empört. „Wie kann Hubertus Heil denn sagen, das Problem sei gelöst,
       wenn da für manche Menschen immer noch so viel dranhängt“, fragt sie. Ihre
       Tochter hat inzwischen schon den zweiten Brief an den Bundesarbeitsminister
       geschrieben – bislang ohne Antwort.
       
       ## Kein Überblick
       
       Rechtsanwältin Jenny Fleischer hat sich außerdem an die Berliner
       SPD-Abgeordnete Nicola Böcker-Giannini und die Grünen-Abgeordnete Bettina
       Jarasch gewandt. „In Berlin ist dank einer klaren Kommunikation nur mit
       sehr wenigen strittigen Erstattungsbescheiden zu rechnen“, sagt Jarasch auf
       Nachfrage. „Ich erwarte daher, dass wir in den wenigen Einzelfällen
       gütliche Lösungen finden.“
       
       Fleischer verweist aber darauf, dass der zuständige Richter schon beim
       ersten Verhandlungstermin im Oktober deutlich gemacht habe, dass er der
       Argumentation des Jobcenters folgen und die Klage der Metzners abweisen
       wolle. Für ihre Mandant*innen ist es nun auch ein Spiel auf Zeit – denn um
       eine Ungleichbehandlung belegen zu können, bräuchten sie einen Überblick
       darüber, wie die Jobcenter stadtweit entscheiden.
       
       An einem solchen arbeitet derzeit die Jobcenter-Regionaldirektion
       Berlin-Brandenburg. Allein: Die Sammlung soll bis Ende Januar fertig
       werden, der Prozesstermin der Metzners ist aber am kommenden Donnerstag.
       „Wir fordern ja gar nicht, dass der Richter uns jetzt sofort Recht gibt“,
       sagt Beatix Metzner, „er soll die Entscheidung nur verschieben, bis alle
       Fakten auf dem Tisch liegen.“
       
       ## Hoffen auf einen neuen Termin
       
       Bernd Metzner ringt um Fassung. „Der Richter hat uns gefragt, was wir
       gemacht hätten, wenn uns das mit den Kosten klar gewesen wäre. Die Frage
       kann man doch nur zurückgeben: Was hätten Sie denn gemacht?“ Seine Frau
       schüttelt den Kopf: „Das ist doch Familie.“
       
       Heba Abazeid ist derweil gerade dabei, ihre Ausbildung zur Kauffrau im
       Gesundheitswesen abzuschließen. Die junge Syrerin hat schon angekündigt,
       nicht zulassen zu wollen, dass die Metzners eine solche Summe zahlen
       müssen. Eher würde Abazeid einen Kredit aufnehmen. Wieder schüttelt Beatrix
       Metzner den Kopf, diesmal noch heftiger. „Das wäre doch furchtbar“, sagt
       sie.
       
       Die Metzners hoffen nun, dass der Richter die Verhandlung doch noch
       verschiebt. „Falls nicht, gehen wir aber auch weiter zur nächsten Instanz“,
       sagt Bernd Metzner. Und er hofft, dass von der Politik doch noch mal ein
       Signal kommt. „Die können sich da doch nicht so rausziehen“, sagt er.
       „Merkel hat gesagt: ‚Wir schaffen das.‘ Und nicht: ‚Ihr schafft das.‘“
       
       11 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Forderungen-an-Fluechtlingsbuergen/!5565413
   DIR [2] /Fluechtlings-Buergen-zur-Kasse-gebeten/!5563865
   DIR [3] https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/einigung-fluechtlingsbuergen.html
   DIR [4] /Kosten-von-Fluechtlingsbuergen/!5567415
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
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