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       # taz.de -- Algerien wählt Bouteflika-Nachfolger: Die „Mafia“ buhlt um Wählergunst
       
       > Aufgehängte Müllsäcke und zugemauerte Wahllokale: Vor der historischen
       > Wahl in Algerien spielt sich ein skurriles Wahltheater ab.
       
   IMG Bild: Auch am Montag kam es zu Protesten in der Hauptstadt Algier
       
       Tunis taz | Am Donnerstag wird in Algerien ein neuer Präsident gewählt –
       zumindest wenn es nach dem Willen der Staatsspitze unter
       De-facto-Machthaber Ahmed Gaïd Salah geht. Der Armeechef will um jeden
       Preis die Legitimität der politischen Führung erneuern.
       
       Ob das allerdings funktionieren wird, ist fraglich: Weite Teile von
       Opposition, Zivilgesellschaft und der noch immer aktiven Protestbewegung
       boykottieren die geplante Abstimmung, die angesichts eines intransparenten
       und von den alten Eliten kontrollierten Wahlprozesses weder frei noch fair
       ablaufen dürfte.
       
       Im Vorfeld der eigentlich schon für April angesetzten Präsidentschaftswahl
       waren landesweit Massenproteste ausgebrochen. Der Unmut richtete sich gegen
       Algeriens Staatsklasse und eine erneute, fünfte Kandidatur des damaligen
       Präsidenten Abdelaziz Bouteflika.
       
       Im April beugten sich Bouteflika, der das Land seit 1999 geführt hatte, und
       die verhasste Regierung des damaligen Premierminister Ahmed Ouyahia dem
       Druck der Straße und traten zurück.
       
       Trotzdem halten die Proteste an. Am Freitag gingen erneut Zehntausende
       Menschen in der Hauptstadt Algier und anderen Städten des Landes auf die
       Straße. Es war der 42. Freitag in Folge, an dem zu Massenprotesten kam.
       Seit Sonntag erhöht ein Generalstreik den Druck auf die Staatsführung
       zusätzlich.
       
       Protestbewegung und Opposition fordern einen echten politischen Wandel. Mit
       dem kosmetischen Personalwechsel an der Staatsspitze – Bouteflika und
       Ouyahia wurden von Vertretern der herrschenden Elite ersetzt – geben sie
       sich nicht zufrieden. Ein tiefgreifender Neuanfang sehe anders aus, betont
       die konsequent friedliche Protestbewegung gebetsmühlenartig.
       
       ## Absurder Wahlkampf
       
       Der Wahlkampf war an Absurditäten kaum zu überbieten. Auftritte der fünf
       Kandidaten wurden wiederholt unterbrochen und mit wenig schmeichelhaften
       Zwischenrufen bedacht. Aufsteller für Wahlplakate wurden von
       Regierungsgegner*innen landesweit mit Bildern inhaftierter politischer
       Gefangener geschmückt.
       
       Andernorts bedeckt Müll die Portraits der Kandidaten. Fotos der säuberlich
       aufgehängten Müllsäcke fluten seit Wochen die sozialen Netzwerke und die
       Lokalpresse. Wahllokale wurden zugemauert, Wahlurnen entwendet. In einigen
       für Wahlkampfreden angemieteten Sälen herrschte gähnende Leere.
       
       Die Ablehnung des Wahlgangs ist wenig verwunderlich. Die fünf Kandidaten,
       die das von der Regierung kontrollierte Wahlamt zugelassen hat, gelten als
       Repräsentanten der „Mafia“, wie Algeriens herrschende Elite auch genannt
       wird.
       
       Neben den ehemaligen Premierministern Abdelmadjid Tebboune und Ali Benflis
       treten mit Abdelkader Bengrina und Abdelaziz Belaïd zwei ehemalige Minister
       an. Der fünfte Kandidat, Azzedine Mihoubi, schließlich ist
       Interimsvorsitzender der bis April von Ouyahia geführten früheren
       Regierungspartei RND.
       
       Einen Hauch von Legitimität verleihen wollte das Wahlamt der Abstimmung mit
       einer am Freitag im Staatsrundfunk übertragenen TV-Debatte. Doch der
       Versuch scheiterte auf ganzer Linie. „Wenn Journalisten keine Nachfragen
       stellen dürfen und es keine Interaktion zwischen den Kandidaten gibt, dann
       ist das eine Pressekonferenz und keine Wahldebatte“, sagt der Gründer der
       Initiative Munathara, Belabbès Benkredda, gegenüber der taz.
       
       Munathara hatte im Herbst im Nachbarland Tunesien mehrere Wahldebatten
       organisiert. Der TV-Debatte in Algerien warf die Initiative in einer
       Stellungnahme jedoch vor, internationalen Standards in Sachen Transparenz
       und Unabhängigkeit nicht gerecht zu werden.
       
       Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Ali Benflis, Azzedine Mihoubi oder einer
       der anderen drei Kandidaten als Algeriens neuer Staatschef keine
       Legitimität in der Bevölkerung haben wird. Den Protesten wird die Wahl
       daher wohl nicht den Wind aus den Segeln nehmen.
       
       Für Armeechef Gaïd Salah, dessen Versuch, die Protestwelle einfach
       auszusitzen, damit gescheitert wäre, blieben dann noch zwei Optionen:
       endlich in einen wirklichen Dialog mit der Opposition zu treten oder
       gewaltsam gegen die Protestierenden vorzugehen.
       
       11 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sofian Philip Naceur
       
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