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       # taz.de -- Hamburgs überselbstbewusste Grüne: Gegen die Wand
       
       > Die Hamburger Grünen verspielen den Schwung ihrer guten Umfragewerte –
       > mit peinlichen lokalpolitischen Irrfahrten.
       
   IMG Bild: Mehr Radwege, weniger Wohnungen – dafür brauchen die Grünen eine grüne Amtschefin
       
       Hamburgs Grüne können zurzeit vor Kraft kaum gehen. So schien es bis
       Donnerstag. Bei den Wahlen im vergangenen Mai haben sie [1][in vier von
       sieben Bezirken gewonnen]. In [2][Umfragen zur Bürgerschaftswahl] im
       kommenden Februar kratzen sie immer mal wieder an der Mehrheit, seit die
       Klimadebatte ihnen Rückenwind verleiht.
       
       Konsequenterweise haben die Grünen mit Katharina Fegebank zum ersten Mal
       eine eigene Kandidatin für das Amt der Ersten Bürgermeisterin aufgestellt.
       Teile der Partei [3][träumen von einer Wiederauflage der bürgerlichen
       Koalition mit der CDU], nur unter umgekehrten Vorzeichen: mit den Grünen
       als Seniorpartner, wenn es denn nicht anders reicht sogar unter
       Einbeziehung der FDP.
       
       Und plötzlich stehen eben diese Grünen vor einem kommunalpolitischen
       Scherbenhaufen. Was ist passiert? Im Bezirk Eimsbüttel haben die Wahlsieger
       vom Mai nach 25 Jahren den Partner gewechselt, regieren nun mit der CDU
       statt mit der SPD. Und das wollten sie dann auch ganz oben klar machen:
       Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD) soll gehen, für die Grüne Katja Husen
       Platz machen.
       
       Per konstruktivem Misstrauensvotum wollten die neuen Koalitionäre die
       Wunschkandidatin ins Amt hieven. Nur muss es in ihren Reihen welche geben,
       die das Vorgehen gar nicht so konstruktiv fanden. Jedenfalls erhielt Husen
       in der Bezirksversammlung am Donnerstagabend nur 25 der 28 Stimmen, über
       die Grüne und CDU verfügen. 26 hätte sie gebraucht.
       
       ## Kommunalpolitische Posse
       
       Gätgens, der zuvor eine leidenschaftliche Rede gehalten hatte, bleibt im
       Amt – bis auf Weiteres. Denn die Grünen erwägen, einen neuen Anlauf zu
       nehmen. Falls Husen sich das antut. Auf Twitter schrieb sie noch in der
       Nacht nach der Sitzung, sie habe in Eimsbüttel in den letzten Monaten viele
       tolle Grünen- und CDU-Politiker*innen kennengelernt „und diese Erfahrung
       allein war es wert“. Das klingt nach Abschied und wäre auch ein gutes
       Schlusswort unter eine kommunalpolitische Posse.
       
       Dieser Amateur-Putsch hat einen der wenigen Momente hervorgebracht, in
       denen verfasste Politik von der Choreografie abweicht, ja, in der
       Politiker*innen nach ihrem Gewissen entschieden haben und nicht nach
       Parteiräson. Skandalös ist nicht, dass es ein paar Abweichler*innen bei
       Grünen oder CDU gibt, sondern mit welcher Rücksichtslosigkeit die
       erstarkten Grünen ihre eigenen Interessen durchboxen wollten.
       
       Sie hatten Gätgens, der über die Parteigrenzen respektiert wird, vor drei
       Jahren gemeinsam mit der SPD gewählt. Und seine Amtszeit – mit
       Gehaltsanspruch – dauert noch drei Jahre. Deswegen konnte man seine
       Nachfolge derzeit auch nicht ausschreiben, wie es die Grünen sonst stets
       fordern. War in diesem Fall nicht so wichtig, es gab ja eine verdiente und
       zweifellos ebenfalls qualifizierte Grüne.
       
       Inhaltlich hat es mit Gätgens vor allem bei Radwegen und Wohnungsbau
       geknirscht. Bei beiden Themen ist Eimsbüttel ziemlich weit vorne, bei den
       Radwegen aber nicht weit genug, finden die Grünen, beim Wohnungsbau zu
       weit: Man würde hier, im Einklang mit der CDU, gern auf die Bremse treten
       und lieber mehr Grünflächen erhalten, wegen der Lebensqualität.
       
       Ein bisschen klingt das nach einer Koalition der Besitzenden: Wer schon
       eine Wohnung in Eimsbüttel hat, soll sie auch genießen können.
       Neuankömmlinge mögen sich bitte mit einer weniger attraktiven Wohnlage
       bescheiden. Beide Themen aber, so scheint es, ließen sich mit einer
       parlamentarischen Mehrheit steuern, auch wenn der Bezirkschef andere
       Privatmeinungen vertritt.
       
       ## Sorge ums grüne Reinheitsgebot
       
       An anderer Stelle hat die Sorge um das grüne Reinheitsgebot noch
       gravierendere Folgen: Im Bezirk Mitte sah auch alles nach einer
       grün-schwarzen Koalition aus – bis zwei türkischstämmige Abgeordnete aus
       den eigenen Reihen [4][wegen vermeintlich islamistischer Umtriebe
       denunziert] wurden, aufgrund hanebüchener Indizien, die vor der Aufstellung
       der Wahllisten ebenso bekannt wie offenkundig unproblematisch waren.
       
       Die beiden wurden bei der Fraktionsbildung außen vor gelassen und so samt
       einer weiteren, solidarischen Abgeordneten in die Arme des Wahlverlierers
       SPD getrieben. Die ist damit unverhofft in die Lage gekommen, eine Mehrheit
       zu schmieden.
       
       Viele Medien veröffentlichten die These, dass auf diese Weise in erster
       Linie eine [5][innerparteiliche offene Rechnung beglichen] wurde. Die
       potenziell Beteiligten schweigen dazu beharrlich. Wer trotzdem berichtet,
       bekommt Post vom Anwalt. Aber was steckt hinter dieser grünen
       Selbstentleibung, wenn nicht persönliche Animositäten? Die Vermutung liegt
       nahe, dass die Grünen schlicht mit allem fremdeln, was nicht weiß und
       akademisch gebildet ist.
       
       Zwei ihrer vier gewonnenen Bezirke haben die Grünen nun schon mit Vollgas
       gegen die Wand gefahren. Von dort kommt nun eben keine Blaupause für einen
       grün-schwarzen Senat, sondern es kommen eher ungeahnte Einblicke in eine so
       überambitionierte wie tölpelhafte Partei, in der offenbar auch die
       Parteispitze keinen mäßigenden Einfluss hat. Dass die gerade erst aalglatt
       im Amt bestätigt wurde, macht nichts besser.
       
       Die Hamburger*innen können mitten im Vorwahlkampf schon mal live
       reinschnuppern in eine Stadt, in der die Grünen den Ton angeben. Es riecht
       nicht gut.
       
       29 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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