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       # taz.de -- Kramp-Karrenbauer und Dienstpflicht: Nicht mehr als Populismus
       
       > Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schlägt mal wieder einen
       > Zwangsdienst für junge Menschen vor. Die werden sich schön bedanken.
       
   IMG Bild: Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesverteidigungsministerin
       
       Seit 2011 die allgemeine Wehrpflicht und mit ihr der Zivildienst
       abgeschafft wurde, müssen Schulabgänger eines nicht mehr in die
       Lebensplanung einbeziehen: den staatlichen Zugriff auf wertvolle
       Lebenszeit. Es gab gute Argumente gegen die [1][Abschaffung der
       Dienstpflicht]. Dass die regelmäßige Zufuhr von Zivilisten der Bildung
       einer Parallelgesellschaft in der Bundeswehr vorbeugte zum einen. Oder dass
       Zivildienstleistende nicht nur unverzichtbar für die Grundversorgung im
       Sozial- und Pflegebereich waren, sondern auch dort für Abwechslung, frische
       Luft und eine informelle Öffentlichkeit sorgten.
       
       Alles schön und gut, aber seit acht Jahren ist das definitive
       Vergangenheit. Diese wieder zurückholen zu wollen, ist sicher ein
       [2][hübsches Projekt für konservative Hinterbänkler], die sich im
       Sommerloch ihr Quäntchen Medienaufmerksamkeit holen wollen. Es ist aber
       November und die Vorsitzende der CDU bringt die Dienstpflicht wieder ins
       Gespräch. „Für mich ist es auch ein zutiefst bürgerlicher Gedanke, seinem
       Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen“, begründet Annegret
       Kramp-Karrenbauer diesen Schritt. Um die Bindung des Bürgers an den Staat
       geht es ihr, um den „Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält“. Der
       Zwangsdienst als staatsbürgerliche Ertüchtigung also. Dieses Mal soll es
       alle treffen, nicht nur die wehrtauglich geschriebenen jungen Männer.
       
       Aus dem Off [3][sekundiert Siegmar Gabriel bei Twitter]: „70 Jahre (oder
       mehr) tut die Gesellschaft was für uns. Warum nicht 1 Jahr etwas für die
       Gesellschaft tun?“ Ja, warum eigentlich nicht? Und warum nur ein Jahr? Als
       wenn niemand arbeiten und Steuern zahlen müsste. Das Zwangsverhältnis der
       Lohnabhängigkeit, dem die meisten Menschen unterworfen sind, blendet der
       ehemalige Vorsitzende der ehemaligen Arbeiterpartei also einfach aus und
       schließt sich gewohnt tapsig dem gouvernantenhaften Ringelreihen von
       Kramp-Karrenbauer an.
       
       Wenn irgendwo ein Mietendeckel beschlossen wird, wird ja zügig das Gespenst
       der DDR vom Dachboden geholt. Kaum aber kramt jemand die bizarre, zutiefst
       autoritäre Idee hervor, dass Bürger*innen dem Staat etwas anderes als die
       Befolgung ziviler Gesetze und einer gewissen Steuerdisziplin irgendetwas
       schulden, entdeckt sogar die CDU ihre innere SED. Man scheint bereit, ganz
       frei nach Brecht, die verantworungslose Jugend einfach aufzulösen und sich
       eine neue zu wählen.
       
       ## Höhere Löhne statt Pflicht
       
       Bestätigt sehen sich Kramp-Karrenbauer und Gabriel sicher [4][durch die
       gelegentlichen Umfragen], die eine große Mehrheit in der deutschen
       Bevölkerung für eine Dienstpflicht entdeckt haben wollen. Kein Wunder, die
       Angst vor den häufig katastrophalen Zuständen in der Pflege schlägt bei der
       immer älter werdenden Mehrheitsbevölkerung in Panik um. Und das zu Recht.
       Nun könnte man den entsprechenden Berufen doch mehr Wertschätzung, nicht
       zuletzt durch anständige Tariflöhne entgegenbringen und als
       Gesamtgesellschaft die Finanzierung und Organisation der Herkulesaufgabe
       stemmen. Statt dessen wird es für zielführender gehalten, Menschen gegen
       ihren Willen zu rekrutieren, wozu ganz nebenbei eine Verfassungsänderung
       und die Freisetzung erheblicher Ressourcen nötig wäre. Wer's glaubt wird
       selig und hat noch nie versucht, ein Pflegebett zu beantragen. Da hilft
       nämlich auch kein Zivi.
       
       Vorschläge zur Dienstpflicht sind letztlich nichts als Populismus. Recht
       billiger noch dazu, denn eine Umsetzung ist zu höchst unwahrscheinlich,
       haben sich doch eine Vielzahl von Politiker*innen, auch aus der Union,
       deutlich gegen Kramp-Karrenbauers Vorschlag ausgesprochen. Wie das eben so
       ist, mit den fixen Ideen von Politiker*innen aus der zweiten und dritten
       Reihe. Deren Bezüge und Nebeneinkünfte werden sie übrigens in den meisten
       Fällen davor schützen, auf die Gnade der Pflegekasse und des überforderten
       Pflegepersonals, egal ob Zivi oder nicht, angewiesen zu sein.
       
       29 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Debatte-Dienstpflicht/!5533470
   DIR [2] /Pro-und-Contra-zum-Gesellschaftsjahr/!5521191
   DIR [3] https://twitter.com/sigmargabriel/status/1200093886326222853
   DIR [4] https://www.tagesspiegel.de/politik/politbarometer-mehrheit-der-deutschen-ist-fuer-allgemeine-dienstpflicht/22902522.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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