# taz.de -- EuGH und BVerfG haben sich lieb: Kompetenzstreit fällt aus
> Alles nur ein Missverständnis? Der Europäische Gerichtshof zeigt sich
> geradezu begeistert, dass Karlsruhe nun auch EU-Grundrechte prüfen will.
IMG Bild: Stephan Harbarth, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, war nicht in Widerspruchslaune
Triberg taz | Der von vielen erwartete Showdown fiel aus. Dass das
Bundesverfassungsgericht nun auch EU-Grundrechte prüfen will, wird vom
Europäischen Gerichtshof (EuGH) gar nicht als Affront empfunden, wie viele
Juristen erwartet hatten. Im Gegenteil. „Ich habe mich sehr über das
Karlsruher Urteil gefreut“, sagte EuGH-Präsident Koen Lennaerts am
Donnerstag bei einer Veranstaltung im baden-württembergischen Triberg.
Das Timing war optimal. Einen Tag nachdem das Bundesverfassungsgericht sein
Verhältnis zum EuGH neu bestimmt hat, traf Koen Lennaerts in Triberg auf
Stephan Harbarth, den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts.
Eingeladen hatte der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf
(CDU), der bei seinem jährlichen Justiz-Symposium mit den zeitlichen
Abläufen einfach Glück hatte.
Am Mittwoch hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in zwei Beschlüssen
zum „[1][Recht auf Vergessenwerden“] verkündet, dass es auch bei zunehmend
EU-rechtlich geprägten Sachverhalten [2][stets selbst die Grundrechte
schützen will]. Soweit deutsche Stellen bei der Anwendung von EU-Recht noch
Gestaltungsmöglichkeiten haben, will Karlsruhe die gewohnten Grundrechte
des Grundgesetzes als Maßstab benutzen. Bei EU-rechtlichen Sachverhalten
ohne deutsche Gestaltungsmöglichkeit wird das Bundesverfassungsgericht
künftig sogar die EU-Grundrechte-Charta von 2009 prüfen.
Das wird Ärger geben, dachten viele deutsche Juristen, die die Konflikte
zwischen BVerfG und EuGH seit Jahrzehnten verfolgen. Immerhin ist ja
eigentlich der EuGH für die Auslegung des EU-Rechts und damit auch der
EU-Grundrechte zuständig. Doch der Showdown nach der Karlsruher
Selbstermächtigung fiel ersatzlos aus.
EuGH-Präsident Koen Lennaerts zeigte sich geradezu begeistert, dass das
Bundesverfassungsgericht nun auch EU-Grundrechte anwenden wird. „In vielen
anderen EU-Staaten ist das schon lange üblich“, erklärte er und nannte als
Beispiele Österreich, Italien und Belgien. „Aus Sicht des EU-Rechts sind
die beiden Karlsruher Beschlüsse nichts besonderes, aber für das deutsche
Verfassungsrecht sind sie offensichtlich bahnbrechend.“
Auch der erste BVerfG-Beschluss, die Anwendung deutscher Grundrechte bei
Gestaltungsspielräumen deutscher Stellen, liege voll auf der Linie des
EuGH, „das haben wir schon 2013 im Urteil Akerberg-Fransson gesagt, dass
man es so machen kann“. Der Hinweis ist nicht ohne Ironie, denn dieses
Urteil war in Karlsruhe ganz anders verstanden worden: Dass der EuGH nun
immer zuständig sein wolle, wenn ein Thema irgendeinen Bezug zu EU-Recht
hat.
Doch Lennaerts hat Recht: Schon 2013 schrieb der EuGH, dass weiter
„nationale Schutzstandards für die Grundrechte“ angewandt werden können –
solange das Niveau der vom EuGH ausgelegten EU-Grundrechtecharta nicht
unterschritten wird. Also war alles nur ein großes Missverständnis?
BVerfG-Vize Stephan Harbarth widersprach nicht. Er ist ja auch erst seit
einem Jahr im Amt.
29 Nov 2019
## LINKS
DIR [1] /Urteil-zum-Vergessenwerden-im-Internet/!5641030
DIR [2] /Verfassungsgericht-und-EU-Grundrechte/!5641029
## AUTOREN
DIR Christian Rath
## TAGS
DIR EuGH
DIR Bundesverfassungsgericht
DIR Justiz
DIR Europäischer Gerichtshof
DIR BVerfG
DIR EU-Recht
DIR Vorratsdatenspeicherung
DIR Recht auf Vergessen
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Verfassungsgericht und EU-Grundrechte: Karlsruhe will mehr Macht
Deutsche Verfassungsrichter wollen Arbeit des EuGH teils übernehmen.
Nationale Verfassungsgerichte würden die Probleme vor Ort besser kennen.
DIR Vorratsdaten und EU-Recht: Wer entscheidet?
Der Europäische Gerichtshof ist viel strenger als das
Bundesverfassungsgericht. Er kritisiert die anlasslose Speicherung von
Daten generell.
DIR Beschluss für das „Recht auf Vergessen“: Eine einleuchtende Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das Internet muss auch mal
vergessen können. Aber der Beschluss birgt auch eine Gefahr.