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       # taz.de -- 25 Jahre Sammlung Falckenberg: Raumgreifend statt salonverträglich
       
       > Der Hamburger Kunstsammler Harald Falckenberg zeigt zum Jubiläum seiner
       > Sammlung in Hamburg-Harburg unkonventionelle Installationskunst.
       
   IMG Bild: Wie eine Geisterbahn im Naturkundemuseum: Olaf Breunings Mixed-Media-Installation „Apes“ von 2001
       
       Hamburg taz | Im zweiten Stock wird es besinnlich. Da hängt nämlich
       [1][Martin Kippenbergers skandalumwittertes Kruzifix] an der Wand des
       Treppenhauses, ein ans Kreuz genagelter Frosch, der einem den Bildtitel
       „Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: der Gesichtsausdruck
       beim Nageln“ entgegenzukotzen scheint. Bei der Erstpräsentation 1990
       protestierte der Wiener Erzbischof gegen die Skulptur, und noch 2008 gab es
       Mahnwachen und Hungerstreiks, als das von einem Tiroler Herrgottschnitzer
       nach Kippenbergers Vorgaben gefertigte Werk in Bozen ausgestellt werden
       sollte.
       
       Das sind Widerstände, mit denen in Hamburg-Harburg nicht zu rechnen ist: In
       der Sammlung Falckenberg gab es schon weitaus schockierendere Kunst zu
       sehen als Kippenbergers dann doch eher als mild blasphemischer Herrenwitz
       durchgehende Arbeit. Dennoch ist es schön, dass das kleine Exponat
       ausgestellt wird, zumal in der Vorweihnachtszeit. Weil „Was ist der
       Unterschied …“ als nur leicht in die Dreidimensionalität ragendes Werk gar
       nicht wirklich in die Präsentation passt, die sich auf „Installationen aus
       25 Jahren Sammlung Falckenberg“ konzentriert und so eine hübsche Irritation
       im Ausstellungskonzept darstellt.
       
       Solch eine Irritation hat die Schau nötig. Sammlungspräsentationen sind im
       Grunde langweilige Ausstellungen, besonders, wenn sie zu einem Jubiläum
       zusammengestellt werden. Das Projekt in Harburg aber sperrt sich gegen die
       Konvention, auch weil Falckenbergs Sammlung eher untypisch ist angesichts
       des Sammlungsmainstreams der vergangenen Jahre: Einer ihrer zentralen
       Bestandteile sind installative Arbeiten.
       
       Die meisten Sammler spezialisieren sich zumindest zu Beginn ihrer
       Sammeltätigkeit in der Regel auf Arbeiten, die sich bequem an die Wand
       hängen lassen. Nicht so Falckenberg: Der fing Anfang der Neunziger mit dem
       Sammeln an, als der Kunstmarkt nur schwach brodelte und zeitgenössische
       Kunst häufig für Biennalen und Triennalen produziert wurde.
       
       Und dort gab es wenig „salonverträgliche Kunst“ zu sehen, spöttelt
       Falckenberg – Markt und Ausstellungspraxis waren also viel stärker getrennt
       als heute. Der Nebeneffekt dieser Konzentration auf Biennalen aber war,
       dass die Kunst eigentlich nur dort zu sehen war und nach Ende der
       Ausstellung manchmal sogar vernichtet werden musste.
       
       Falckenberg aber musste nichts Salonverträgliches suchen. Er hatte von
       Anfang an die Möglichkeit, seine Sammlung adäquat in geräumiger
       Gewerbearchitektur zu zeigen, nicht zuletzt durch seine Vernetzung in der
       hanseatischen Wirtschaft. Ein Nebeneffekt dieses Unterlaufens des
       Mainstreams: Erste Werke konnte Falckenberg recht günstig erwerben. „Ich
       habe keine 200, 300 Mark ausgegeben, für grundlegende Arbeiten von Paul
       McCarthy und Mike Kelley“, erzählt der heute 76-Jährige.
       
       Zunächst bespielte er das „Pump Haus“ in der Nähe des Hamburger Flughafens,
       seit 2001 die Harburger Phoenix-Hallen als Außenstelle des
       Ausstellungskomplexes Deichtorhallen auf rund 6.000 Quadratmetern. Einige
       raumgreifende Werke sind hier fest installiert, Thomas Hirschhorns
       „Bernsteinzimmer“ (1998/99) etwa, oder Jon Kesslers „The Palace at 4 a.m.“
       (2005/07), da ist die aktuelle Ausstellung nicht mehr überraschend.
       
       Andere Arbeiten nehmen allerdings durch die Kopplungen aufeinander Bezug:
       Nam June Paiks zentral positionierter, popkultursatter „Video Scooter“
       (1994) steht im Dialog mit dem meditativen „TV-Buddah“ (1997). Und von dort
       führt eine direkte Linie zu Jean-Jacques Lebels Videoinstallation „Les
       Avatars de Vénus“ (2009), die unzählige Aktdarstellungen von der
       Renaissance bis zur zeitgenössischen Pornografie ineinandermorpht.
       
       Die wenig originelle Form der Sammlungspräsentation wird hier zur
       Entdeckungsreise in die eigene Wahrnehmung, die schon bekannte Werke wie
       Bjarne Maelgards Affenfick-Skulptur „Apes with Clothes Pile“ (2000) oder
       Christoph Schlingensiefs „The African Twin Towers. Stairlift to Heaven“
       (2007) immer wieder neu zueinander in Bezug stellt.
       
       Viele der gezeigten Arbeiten pflegen die große Geste, John Bocks
       „Quasi-Ich-Isoquantenschar-Kammer“ (1980) etwa, Olaf Breunings
       geisterbahnhafte Wildnis-Installation „Apes“ (2001) oder ein riesiges, nur
       schwer zu findendes Raumlabyrinth Jonathan Meeses.
       
       Und es fällt nicht nur Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow auf, dass diese
       großen Gesten fast ausschließlich von Männern stammen – die Ausstellung hat
       einen gewissen Testosteron-Hautgout, worauf Falckenberg die (durchaus
       hinterfragbare) These in den Raum stellt, dass die Installationskunst
       historisch einfach stärker von Männern geprägt sei, mittlerweile allerdings
       ein Umdenken stattfinde. Und, immerhin: Von rund 330 Positionen in seiner
       Sammlung stammten 150 von Frauen. Nur dass man sie aktuell eben nicht so
       richtig wahrnimmt.
       
       Ja, es gibt Künstlerinnen bei den „Installationen aus 25 Jahren“ – in etwa
       ein Viertel der 60 hier präsentierten Positionen sind weiblich. Nur
       vertreten die dann eben nicht die lauten, schockierenden, lustigen
       Standpunkte. Charlotte Poseneske etwa arbeitet mit „Relief Serie B“
       (1967–2017) minimalistisch. Cosima von Bonin entwickelt mit „Vorschusstuch
       (The Thicket)“ (1998–2003) eine Art referenzgesättigte Handarbeitsästhetik.
       
       Und wenn Monica Bonvicini dann tatsächlich im männlichen
       Überbietungswettbewerb mitspielen könnte, dann ist ihr sexuell vieldeutiger
       „Harness“ (2006) ein wenig unmotiviert in eine Ecke verbannt. Das ist ein
       wenig traurig, wenn man sieht, wie stark und wirkungsvoll im Vergleich Paul
       McCarthys Wandinstallation „Michael Jackson Red“ (2002) gehängt ist.
       
       Immerhin unterläuft Diana Thater die eigenartig maskuline Präsentation
       elegant: Ihre raumgreifende Videoinstallation „Delphine“ (1999) nämlich
       überschwemmt alle Sexwitzchen, Pornoästhetiken und Schockeffekte mit
       stiller Schönheit. Angesichts der Tatsache, dass Thater auch als
       Tierschutzaktivistin bekannt ist, kann man die miteinander
       korrespondierenden Videos von leise ihre Runden ziehenden Meeressäugern als
       aktivistischen Kitsch abtun, allein: Der Raum, den diese Präsentation
       beansprucht, zeigt, dass hier die Kunst etwas will. Etwas, das weit über
       die Empathie mit ein paar schwimmenden Wesen hinausgeht.
       
       11 Dec 2019
       
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   DIR Falk Schreiber
       
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