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       # taz.de -- Für einen Abbruch ins Ausland: „Abtreibungen sind okay“
       
       > In Polen gibt es eine neue Hotline für ungewollt Schwangere. Dass es
       > dafür Geld gibt, hat mit einer Gesetzesreform in Irland zu tun.
       
   IMG Bild: Proteste gegen eine geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen im April 2016
       
       taz: Frau Więckiewicz, Sie und andere haben am Dienstag in Warschau die
       Initiative „Abortion without Borders“ vorgestellt. Um was geht es? 
       
       Karolina Więckiewicz: [1][„Abortion without Borders“] soll ungewollt
       Schwangeren in Polen helfen, sich zu informieren und falls gewollt Zugang
       zu einer sicheren Abtreibung zu bekommen. Da gibt es in Polen sehr hohe
       Hürden. Ab sofort können alle unsere Hotline anrufen und bekommen dort
       Informationen und Beratung, und zwar sachlich und neutral, ohne
       Verurteilung.
       
       Um was geht es in der Beratung? 
       
       Um alles, was gebraucht wird. Wir bieten allgemeine Informationen zu
       Schwangerschaft und Abtreibung, vermitteln aber wenn nötig auch
       Informationen und Kontakte, um Abtreibungen zu Hause oder im Ausland zu
       ermöglichen. Wir bringen die Menschen dann zum Beispiel mit der [2][Gruppe
       Ciocia Basia in Berlin] zusammen, die Polinnen hilft, für eine Abtreibung
       nach Deutschland zu kommen.
       
       Wer steht dahinter? 
       
       Die Initiative ist aus der Zusammenarbeit von sechs informellen Gruppen und
       Organisationen aus vier Ländern entstanden, darunter wir vom [3][Abortion
       Dream Team]. Alle haben schon vorher ungewollt Schwangeren geholfen. Neu
       ist, dass es eine zentrale Hotline gibt, die alles verbindet. Und vor
       allem: die sichere Finanzierung.
       
       Woher kommt die? 
       
       Es gibt eine britische Organisation namens [4][Abortion Support Network
       (ASN)], die seit mehr als zehn Jahren Abtreibungen für ungewollt Schwangere
       in Irland, Nordirland und der Isle of Man finanziert hat. Als dort die
       Abtreibungsgesetze geändert wurden, konnte das ASN seine Hilfe auf Malta
       und Gibraltar ausdehnen – und ab jetzt finanzieren sie auch Abtreibungen
       für Menschen aus Polen.
       
       Warum ist diese Hilfe so wichtig? 
       
       Weil Abtreibungen Geld kosten. Der Eingriff selbst, aber auch die Reise
       oder das Übersetzen von Dokumenten. Der finanzielle Aspekt ist eine der
       größten Hürden beim Zugang zu Abtreibungen. Ob jemand Geld hat oder nicht,
       darf aber nicht darüber entscheiden, ob eine Schwangerschaft ausgetragen
       wird oder nicht. Ob die verschiedenen Gruppen Kosten übernehmen konnten,
       hing bisher immer von ihrer eigenen finanziellen Lage ab. Jetzt ist es
       egal, ob eine Person Geld mitbringt; denn wir haben selber welches und
       können helfen. Menschen spenden, um anderen Menschen Abtreibungen zu
       kaufen. Das ist wunderbar.
       
       Wie steht es mit dem Zugang zu Abtreibungen in Polen? 
       
       Es gibt nur [5][drei Fälle, in denen Abtreibungen erlaubt sind]: Wenn die
       Schwangerschaft durch eine kriminelle Handlung entstanden ist, wenn sie das
       Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bedroht oder wenn der Fötus
       schwerst geschädigt ist. Aber selbst unter diesen Bedingungen sind
       Abtreibungen kaum möglich, weil fast alle Kliniken und Ärztinnen und Ärzte
       den Eingriff aus Gewissensgründen verweigern. Wir helfen auch Frauen, an
       die Abtreibungspille zu kommen oder ins Ausland zu fahren, die eigentlich
       ein Anrecht auf einen legalen Abbruch in Polen hätten. Und: 96 Prozent der
       Abtreibungen in Polen passieren, weil jemand sich gegen ein Kind
       entscheidet. Diese Menschen werden einfach alleingelassen.
       
       Ist das ein Thema, das öffentlich diskutiert wird? 
       
       Nein. Das Stigma rund um das Thema Abtreibung ist enorm, niemand will
       darüber reden, niemand will damit in Verbindung gebracht werden. Offiziell
       haben nur 1.000 polnische Frauen im Jahr eine Abtreibung – bei einer
       Bevölkerung von 37 Millionen Menschen. Wir schätzen, dass es eher um die
       150.000 Abtreibungen sind. Die Tabuisierung trägt noch dazu bei, dass
       Abtreibungen in Polen unsicherer werden. Sie sind nicht Teil der
       medizinischen Ausbildung, Ärztinnen und Ärzte haben wenig Übung und kennen
       die modernen Methoden nicht. Selbst feministische Kreise sind nicht frei
       von diesem Stigma.
       
       Inwiefern? 
       
       Wir vom Abortion Dream Team gelten selbst unter Feministinnen als radikal.
       Wir benutzen helle und bunte Farben und sagen: Abtreibungen sind okay. Ihr
       alle kennt und liebt Menschen, die abgetrieben haben. Der feministische
       Mainstream fordert zwar, dass Abtreibungen legal sein müssen – sagt aber
       trotzdem, dass sie etwas ganz Schlimmes sind. So haben wir früher auch
       gedacht. Aber heute sagen wir: Abtreibungen sind etwas Normales, es wird
       sie immer geben.
       
       Würde ein liberalerer Zugang zu Sexualität helfen, Abtreibungen zu
       verhindern? 
       
       Sicher. Wenn die [6][sexuelle Aufklärung besser wäre] und wenn es einen
       besseren Zugang zu Verhütungsmitteln gäbe, dann gäbe es weniger ungewollte
       Schwangerschaften. Aber eben nicht keine. Jede Verhütung kann scheitern.
       Abtreibungen sind Teil unseres Lebens als sexuelle Wesen, wir müssen offen
       darüber sprechen. Und deswegen müssen sie nicht nur legalisiert werden,
       sondern es sollte gar keine eigenen Gesetze dafür geben. So, wie es für
       andere medizinische Versorgungsangebote ja auch ist.
       
       12 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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