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       # taz.de -- Diversität beim Klimaprotest: Zu jung, zu weiß, zu akademisch
       
       > Viele Anhänger:innen der Klimabewegung kommen aus der Mittelschicht.
       > Aktivist:innen von Fridays for Future versuchen nun, Barrieren abzubauen.
       
   IMG Bild: Zu wenig divers und deshalb abgehoben? AktivistInnen beim Streik von Fridays for Future in Berlin
       
       Moon ist 22 Jahre alt, sie studiert Kunst, sitzt im Rollstuhl und
       blockierte vor zwei Wochen die Schienenwege nahe beim Braunkohletagesbau in
       der Lausitz. „Es gab eine Gegendemo, bei der Kohlebefürworter kamen, die
       teilweise Nazi-Symbole trugen. Das war bedrohlich“, sagt Moon, die
       eigentlich anders heißt. „Aber die Polizei hat gut eingegriffen. Bei der
       ganzen Aktion habe ich mich durchweg wohlgefühlt.“ Zweimal habe sie
       Schienen blockiert, zweimal wurde nicht geräumt.
       
       Aktivistin kann Moon nur deshalb sein, weil in der Klimabewegung langsam
       ein neues Bewusstsein für ein Problem einsetzt. Der Vorwurf, der den
       Klimabewegungen anhaftet, lautet, dass die Akteur:innen jung, weiß und
       akademisch sind. Damit einher geht der unterschwellige Vorwurf, die
       Protestierenden agierten irgendwie abgehoben von der harten Realität des
       großen Rests der Bevölkerung. Aktivist:innen von [1][Fridays for Future]
       (FFF), Ende Gelände und anderen Organisationen versuchen deshalb seit
       einiger Zeit, Barrieren abzubauen.
       
       So gibt es bei Ende Gelände seit ein paar Monaten eine Antirassismus-AG und
       den „bunten Finger“. Diesen Sommer blockierte der bunte Finger im Rheinland
       zum ersten Mal Straßen: mit Rollstuhlfahrer:innen, Menschen mit Gehhilfen
       und anderen Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind.
       
       ## Protest von jungen, gut gebildeten Menschen
       
       „Ich habe bei Facebook eine Aktion im Livestream gesehen und dachte mir:
       ‚Wow, da will ich auch mitmachen‘“, erinnert sich Moon. „Aber an Aktionen,
       bei denen gerannt wird, kann ich mich nicht beteiligen.“ Dann sei sie zu
       einer Schulveranstaltung gegangen, bei der ihr das Konzept des bunten
       Fingers vorgestellt wurde: Weil Kohlegruben nicht barrierefrei sind, werden
       Straßen in der Nähe von Gruben blockiert. „Drei Tage später war ich im
       Rheinland mit Ende Gelände unterwegs.“ Moon findet, dass Leute mit
       Einschränkungen bei Ende Gelände gut aufgehoben seien.
       
       In der Breite der noch jungen Klimabewegung ist diese Diversität jedoch
       nicht zu erkennen: Beim globalen Streik von FFF im März führte das Institut
       für Protest- und Bewegungsforschung (IPB) Kurzinterviews in Berlin und
       Bremen, später füllten Teilnehmende online einen Fragebogen aus. Die
       [2][Auswertung] zeigte, dass die FFF-Proteste von jungen, gut gebildeten
       Menschen und überraschend stark von Frauen getragen werden. Über die Hälfte
       der Streikenden an diesem Tag waren unter 19 Jahre alt, fast 60 Prozent
       gaben an, weiblich zu sein.
       
       Gruppen wie Arbeitslose und Rentner:innen waren in der Umfrage eindeutig
       unterrepräsentiert. 92 Prozent der Befragten gaben an, mindestens Abitur
       oder einen höheren Bildungsgrad zu haben oder diesen anzustreben. Unter
       Studierenden und Schüler:innen gingen vor allem Akademiker:innenkinder auf
       die Straße. Auch Migranten waren unterrepräsentiert: Fast 17 Prozent der
       Befragten gaben an, dass sie selbst oder ein Elternteil im Ausland geboren
       wurden. Dabei haben in Deutschland etwa 25 Prozent (post-)migrantische
       Erfahrungen.
       
       ## Mehr Diversität in die Klimabewegung
       
       Tonny Nowshin ist Aktivistin aus Bangladesch und arbeitet in Berlin für die
       Klimaschutzorganisation 350.org. Sie vernetzt weltweit lokale Gruppen der
       Graswurzelbewegung miteinander. „Ich denke, es gibt Diversität in der
       Klimabewegung. Aber in einem Ausmaß, das nicht sichtbar ist.“
       
       Sie sieht die Gefahr, dass nun viel über das Thema gesprochen wird und
       einzelne Maßnahmen getroffen werden, die am Problem aber wenig ändern.
       Nowshin selbst setzt auf eine bereits vielfach angewandte Strategie, um
       mehr Diversität in die Klimabewegung zu bringen. Dafür müsse man zunächst
       das Problem anerkennen. „Weltweit gibt es Diversität in der Klimabewegung,
       sie wird von Medien jedoch unsichtbar gemacht“, sagt Nowshin.
       
       „Die Klimaproteste in Bangladesch gibt es seit 2011. Seit 2016 sind sie
       richtig groß. Wenige in Deutschland wissen das.“ Nur wer die Kämpfe um
       Klimagerechtigkeit in Indien, Peru oder Liberia kenne, könne sich auch
       damit solidarisieren.
       
       Auch müsse die Klimabewegung sensibler für die Bedürfnisse ihrer
       Aktivist:innen mit migrantischem Hintergrund sein und mehr inklusive
       Aktivitäten anbieten.
       
       Und ein weiterer wichtiger Punkt: „Macht den Anfang damit, die Sprache zu
       ändern!“, sagt Nowshin. Auch die Diversität auf Podien und bei
       Diskussionsveranstaltungen hält sie für unumgänglich: „Und nicht bloß, wenn
       es um das Thema ‚Diversität‘ geht.“
       
       13 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Fridays-For-Future/!t5571786
   DIR [2] https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2019/08/ipb-working-paper_FFF_final_online.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Opitz
       
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