# taz.de -- Die Wahrheit: Oma wird Influencerin
> Kein WLAN im Altersheim? Die neue Klasse der „Digital Moribunds“ will
> sich das nicht länger bieten lassen. Das erfreut jedoch nicht jeden.
IMG Bild: Sieht aus, als ob es sich selbst auskotzt: Neubau des Springer-Konzerns in Berlin
Von Computern wollte meine inzwischen 89-jährige Mutter definitiv nichts
mehr wissen. „Da geh mir wech mit. Da weiß ich nichts von, das will ich
auch gar nicht wissen. In meinem Alter muss man nicht mehr jeden Scheiß
mitmachen!“
So gesehen war es ein ziemliches Wagnis, ihr voriges Jahr zu Weihnachten
ein Tablet zu schenken. Aber wir hatten ihr WhatsApp eingerichtet und ihr
Bilder gesendet. Es hatte sie nämlich immer schon geärgert, dass wir der
anderen Oma Bilder aus dem Urlaub geschickt haben und ihr nicht.
Die Jungs bemühten sich eifrig, ihr über die Feiertage das neuartige Gerät
näherzubringen. Das größte Problem bestand darin, dass man überflüssige
Tasten, anders als auf der Fernbedienung für den Fernseher, nicht einfach
mit Gaffa Tape abkleben kann. Aber bald schon bekamen wir erste
Botschaften. Sie waren mitunter schwer zu lesen, weil Oma offenbar Space-,
Umschalt- und Korrekturtaste noch nicht entdeckt hatte, aber immerhin
konnte man sie als eine Art Empfangsbestätigung deuten. Ging doch!
Im Lauf des Jahres machte sie erstaunliche Fortschritte. Ich habe jetzt
morgens immer die neusten Todesanzeigen aus den Westfälischen Nachrichten
auf dem Bildschirm. Aber neulich musste Oma wegen Altersgebrechen ins
Krankenhaus, eine geriatrische Abteilung. Am Telefon schimpfte sie: „Hier
bleibe ich auf keinen Fall zwei Wochen!“ – „Was ist los?“ – Die Stimme
meiner Mutter bebte vor Empörung: „Die haben kein WLAN hier!“ – „Was?“ –
„Die haben gesagt, da wäre ich auch die Erste, die danach fragt. Wie soll
ich denn da mein Teeblett anschließen?“
## Einen Channel gelegt bekommen
Zum Glück konnte das Problem mit einer SIM-Karte gelöst werden. So wurde
sie zum Star des Pflegepersonals. „Sag mal“, fragte sie mich, „kennst du
eigentlich dieses JuTupp? Hat mir der Olaf gezeigt, wenn er Nachtdienst
hatte.“ Ich bekam Angst.
Dann ist es passiert. „Guck mal, Papa!“, ruft mein Älterer. – „Wer hat euch
erlaubt, schon beim Frühstück Videos auf dem Handy zu gucken?“, frage ich
streng. – „Oma!“, antworten beide. – „Hä?“ – „Oma hat eine WhatsApp
geschickt, dass wir sofort auf YouTube gucken sollen.“ Sie zeigen den
Bildschirm. Darauf sehe ich: meine Mutter.
Die offensichtlich gerade auf die Kinder einredet, dass sie
Weihnachtslieder üben sollen, damit sie ihr Heiligabend was vorspielen
können. „Und das erzählt sie auf YouTube?“, frage ich alarmiert. – „Ja,
schau mal, sie hat schon vier Likes! Sie hat einen eigenen
YouTube-Channel!“, erklärt der Ältere. „Hat der Krankenpfleger ihr
eingerichtet, hat sie gerade erzählt.“ Ich bin entsetzt. Die Kinder jubeln:
„Oma wird jetzt Influencerin!“
Um Gottes willen, denke ich. Diese moderne Welt ist irgendwie nichts mehr
für mich. „Oma fragt, ob wir ihr Weihnachten dann auch TikTok beibringen
können“, verkündet der Ältere. – „Da geht mir wech mit!“, sage ich
bestimmt. „Da weiß ich nichts von, das will ich auch gar nicht wissen. In
meinem Alter muss man nicht mehr jeden Scheiß mitmachen!“
13 Dec 2019
## AUTOREN
DIR Heiko Werning
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