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       # taz.de -- Rassismus-Debatte in Österreich: Ich überfordere euch jetzt
       
       > Früher, als wir Migrant*innen schwach und hilflos waren, habt ihr gerne
       > geholfen. Nun da wir Stimmen haben, passen wir euch nicht mehr.
       
   IMG Bild: Kundgebung für eine menschliche Asylpolitik und gegen Rassismus in Wien, März 2018
       
       Österreich tut sich schwer im Umgang mit Rassismus. Lange sah sich das Land
       als erstes Opfer des Nationalsozialismus. Irgendwann begann man sich dann
       doch mit seinem Nazihintergrund zu beschäftigen und
       Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Wenngleich es noch immer
       österreichische Politiker*innen gibt, die trotz rechtsradikaler
       Entgleisungen nicht sofort ausgeschlossen werden – „Einzelfälle“ nennt man
       das hierzulande gern.
       
       Gesamtgesellschaftlich könnte man aber sagen, dass Antisemitismus in
       Österreich offiziell nicht geduldet wird. Was Rassismus gegenüber anderen
       Minderheiten angeht, ist man sich nicht so einig. Es herrscht die Annahme,
       dass es zwischen eindeutigen Nazis und allen anderen keine rassistischen
       Grautöne gibt. Wenn du noch nie „scheiß Ausländer“ gesagt hast, kannst du
       kein Rassist sein.
       
       Ich halte oft Vorträge zum Thema. Jedes Mal passe ich Ton und Inhalt an das
       Publikum an, denn ich habe gelernt: man darf die autochthonen Zuhörer*innen
       nicht überfordern. Sie hören nicht gern, dass auch „Woher kommst du
       wirklich“-Fragen rassistisch sind. Denn sie stellen diese Frage doch so
       gerne – und auch nur aus Interesse. Vor allem lassen sie sich nicht gerne
       von mir, einer Migrantin, erklären, was sie jetzt noch fragen oder sagen
       dürfen. Ob diese Haltung denn nicht schon rassistisch ist?
       
       Wenn sie nach meinen Vortrag oder währenddessen aufzeigen, um mir zu
       erklären, warum ich falsch liege, erzählen sie mir gerne, wie sie damals
       1992 bosnischen Flüchtlingen wie mir geholfen haben. Ja, als wir
       Migrant*innen arm und schutzlos waren und jemanden gebraucht haben, der für
       uns spricht, da haben sie uns unterstützt (wofür wir unglaublich dankbar
       sind).
       
       ## Gut, aber bitte nicht besser
       
       Aber jetzt, wo eben diese Migrant*innen eine eigene Stimme haben, vor ihnen
       stehen und erklären, was falsch läuft, passt ihnen das nicht mehr. Man will
       ja, dass es den Migrant*innen gut geht – aber bitte nicht besser als einem
       selber.
       
       Das Thema Migrantenquote in wichtigen Positionen hat sich in Österreich
       noch niemand gewagt anzusprechen. Stellenausschreibungen, die Menschen mit
       Diskriminierungserfahrungen bevorzugen und in Deutschland nicht unüblich
       sind, würden hierzulande eine Welle der Empörung auslösen. Es ist auch kein
       Zufall, dass das Kopftuch erst zum Streitfall geworden ist, seit es nicht
       mehr die Putzkräfte sind, die Kopftuch tragen, sondern Akademiker*innen.
       Doppelte Staatsbürgerschaften sind in Österreich ein Tabuthema.
       
       Je älter ich werde, umso mehr Wissen ich mir zu dem Thema aneigne, aber
       auch je klarer ich sehe, dass Bildung und Fleiß allein mir eben nicht
       dieselben Chancen wie gebürtigen Österreicher*innen eröffnen, desto weniger
       möchte ich mit meinen Worten Rücksicht auf die Befindlichkeiten der
       Mehrheitsgesellschaft nehmen. Denn Rassismus ist nicht nett, er nimmt keine
       Rücksicht auf meine Befindlichkeit. Wir müssen endlich einen ehrlichen
       Rassismus-Diskurs in diesem Land führen, nur so kann Gegenwartsbewältigung
       stattfinden.
       
       16 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Melisa Erkurt
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
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