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       # taz.de -- Strittige Kunstaktion des ZPS: Grob gepixelt
       
       > Was Super Mario und das Zentrum für politische Schönheit verbindet:
       > überwiegend männliche Rollenmuster und der Kampf gegen das Böse.
       
   IMG Bild: Stein des Anstoßes: Darf man mit der Asche von Opfern der Schoah vor Rechtspopulismus warnen?
       
       Allein gegen das Böse in der Welt, so ungefähr lautet wohl die Devise des
       Zentrums für politische Schönheit. Dessen letzte Aktionsidee, [1][mit der
       Asche ermordeter Juden] vor einem Schulterschluss zwischen CDU und AfD zu
       warnen, war ein Höhepunkt [2][pietätloser Maßstabsverirrung], und so geriet
       das Zentrum weithin in Misskredit.
       
       Die radikal heroische, alle Mittel rechtfertigende Agenda aber war schon
       vorher da. Man dränge „in die Leerstelle, die jahrzehntelang von den
       öffentlichen Intellektuellen besetzt wurde: das moralische Gewissen“,
       proklamierte das Zentrum über sich selbst und imaginierte damit die übrige
       Öffentlichkeit als versagend, um die Notwendigkeit der eigenen Taten umso
       deutlicher hervortreten zu lassen.
       
       Dabei ist die intellektuelle Öffentlichkeit ja unübersehbar da, sie heißt
       nicht mehr Böll und Grass, sondern reicht von Eva Menasse und Juli Zeh über
       Enis Maci und Carolin Emcke bis hin zu Rahel Jaeggi und Aleida Assmann, um
       nur einige wenige zu nennen. Sie haben übrigens auch ein Gewissen, sie
       sprechen über Politik und mitunter über Moral, sie sind manchmal sogar
       moralapostolisch, aber, das scheint mir bei allen Genannten zuzutreffen, es
       wird kein Alleinherrschaftsanspruch gestellt, wie es das Zentrum und einige
       andere, auffälligerweise besonders gern männliche Akteure mitunter tun.
       
       ## Wie im Gameboy
       
       Es mag sein, dass jemand wie Philipp Ruch, Kopf des Zentrums, die
       öffentlichen Intellektuellen in seiner selbstbezüglichen Blase tatsächlich
       nicht wahrnimmt. Vielleicht ist das nicht einmal böswillig, denn in seiner
       eigenen Heldenwelt geht es womöglich zu wie im Endspiel von „Super Mario
       Land“, da existiert nur das eigene Ich, das in einem kleinen
       Propellerflugzeug gegen eine niederträchtige Wolke ankämpfen muss und dann
       noch gegen eine hochgerüstete Zerstörungsmaschine.
       
       Das möglichst wendig sich gebende Ich und der gefährliche,
       softballspuckende Monstergegner sind unter sich. Zu siegen, genauer noch zu
       besiegen ist das Ziel der Reise. Dann erzittert die Welt, also die Grafik
       des Gameboys, und Prinzessin Daisy ist endlich befreit.
       
       ## Rettung der Welt
       
       Hier ist das Gute, da ist das Böse und Klempner Mario läuft gradlinig durch
       seine Abenteuer. Weil nicht weniger auf dem Spiel steht als die Rettung der
       Welt, ist für Zweifel kaum Platz. Das hat den Vorteil, dass jeder Einwand
       leicht abgewehrt werden kann: Wollt ihr wirklich, dass alles untergeht?
       Game over und das war’s? Es ist kein Wunder, dass die neoheroische Geste
       sich einiger Beliebtheit erfreut und bei Weitem nicht nur auf das Zentrum
       beschränkt ist. Die vorgefertigten Erregungszustände sind einfach zu
       adaptieren und vor Katastrophenkulissen geht das Glänzen leicht. Durch die
       Simplizität ihrer Anklagen und Antworten aber erziehen die ästhetischen
       Hobbyklempner das Publikum leider zur braven Lämmerschar.
       
       Auch wenn ich selbst schon als Schaf verkleidet für Greenpeace vor einem
       Patentamt stand und generell durchaus Freundin von zivilgesellschaftlicher
       Gegenrede, mitunter auch strategischer Selbstentblödung bin, geht mir etwa
       die Radikalität der Umweltbewegung XR spätestens dann zu weit, wenn sie
       ihre Ziele über die Demokratie setzt – eigentlich schon, wenn sie einfach
       nur Blödsinn verzapft. In Paris zerstörte XR während des Generalstreiks
       unzählige Elektroroller, die sie als Streikbrecher fürchteten. Sinngehalt?
       Ça m’est bien égal.
       
       In Frankreich wurde ich auch jenseits des Umweltaktivismus von
       Umsturzfreude übermannt. So sehr ich die Kritik am oft aggressiven Vorgehen
       der Polizei nachvollziehen kann, war mir die fundamentale Missgunst
       gegenüber dem Staat bisweilen zu viel, und ich begriff auch nicht, wie man
       bei einer möglichen Stichwahl zwischen Macron und der rechtsradikalen
       Marine Le Pen für Wahlabstinenz plädieren kann.
       
       Ebenso rätselhaft ist mir, Blick zurück nach Deutschland, wieso es vor zwei
       Jahren als hippe Aktion galt, von links den Bundestag zu stürmen, obwohl es
       bereits damals genügend revolutionäres Potenzial gab, das nur darauf
       wartete, die kippende Demokratie von rechts zu übernehmen. Oder war da nur
       leichtfertig mit Gewichtigem gespielt worden, war das nicht mehr als ein
       PR-Gag von Milo Rau, dem mit Ruch geltungsfreudigsten unter den
       Provokations-Marios?
       
       ## Alte Rollenmuster und Politaktivismus
       
       Egal, weiter im Kampf gegen Schildkröten und Fischskelette. Frauen haben in
       der Super-Mario-Reihe leider nur Statistenrollen. Das mag in der Welt des
       grobgepixelten Klempners ein wenig ärgerlich sein, weil es alte
       Rollenmuster nicht gerade über den Haufen wirft.
       
       Umso ärgerlicher ist es allerdings im Kontext eines Politaktivismus, der
       von Hierarchiefreiheit und Gleichberechtigung spricht, um ja auch alle
       Ecken des derzeit zu gewinnenden linken Publikums abzugreifen. In Wahrheit
       aber gefriert er die Weltrettung in konventionellen, männlichen
       Heldengesten, die allenfalls noch an die spießige Spielart eines
       70er-Jahre-Sozialismus erinnern, in dem kleinbürgerliche Rollenbilder allzu
       oft fortlebten.
       
       Das Ziel jedenfalls wird so groß geschrien, bis alle Mittel geheiligt
       scheinen. Der Zweck aber heiligt nicht die Mittel, das ist nur ein immer
       wieder behaupteter Irrtum. Wenn die Mittel nicht stimmen, dann wird das
       Ziel selbst zur Heuchelei – im noch besten Fall, denn die
       Kompromisslosigkeit kann eben auch die Kompromisslosigkeit der Gegner
       werden. alte
       
       Erst wer meint, dass auch die gegnerischen Entscheidungen mit ebensolcher
       Drastik und unbegrenztem Machtanspruch willkommen wären, sollte wirklich
       über den Staatssturz nachdenken. Man muss nicht erst mit Carl Schmitt
       kommen, um daran zu erinnern, dass mit dem Ausnahmezustand nicht zu spaßen
       ist.
       
       Warum überhaupt hören die Mario-Männchen das Kriegsgeheul und Säbelrasseln
       so gern? Was passiert mit ihnen, wenn sie einmal in ihrem
       Weltrettungsgehüpfe innehalten? Schrumpfen sie? Oder ist dann einfach die
       Batterie leer? Meine zumindest braucht eine Ladepause, deshalb ist dies
       mein letztes Schlagloch. Thank you, Marios! The quest is not over.
       
       20 Dec 2019
       
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