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       # taz.de -- Prozess gegen „Hannibal“-Schlüsselfigur: Das Handy des Polizisten
       
       > Marco G. organisierte die Preppergruppe Nordkreuz. Wie sich die Justiz
       > mit der Aufdeckung rechter Netzwerke schwertut.
       
   IMG Bild: Ist Marko G. nur ein Waffennarr? Vor dem Landgericht Schwerin muss sich der Polizist verantworten
       
       Schwerin taz | Es gibt sie, diese eine dreiviertel Stunde, da ist es ganz
       still im Gericht. Die Freunde und Bekannten des Angeklagten auf der
       Besucherempore sagen nichts mehr. Der Vorsitzende Richter macht keinen
       seiner Scherze, Staatsanwälte und Verteidiger haben aufgehört, sich
       anzufrotzeln. „Scheiße“, sagt eine Frau, die den Angeklagten vor dem
       Prozess begrüßt hat, „das ist schlecht.“
       
       Im Zeugenstand steht ein Polizist. Es ist Mitte Dezember, der dritte
       Verhandlungstag und der Kriminaloberkommissar sitzt hier, weil er die
       Mobiltelefone des Angeklagten ausgewertet hat. Er berichtet, wie die
       Nachrichten ausgesehen haben, die Marko G. in Chats austauschte. Am 20.
       April 2017 verschickte er etwa ein Bild von Adolf Hitler, beschriftet mit
       „Happy Birthday“. Am 19. November 2016 ein Video, in dem eine Frau und ein
       Nussknacker zu sehen sind, die Frau bewegt den Arm nach oben und sagt „Sieg
       Heil“. Er hat auch ein Bild verschickt, auf dem mehrere Soldaten zu sehen
       sind. Einer zielt auf eine am Boden liegende Person. Dazu der Schriftzug
       „Asylantrag abgelehnt“.
       
       Der Angeklagte Marko G. ist Polizeibeamter, 49 Jahre alt, seit 2004 war er
       für das Spezialeinsatzkommando (SEK) in Mecklenburg-Vorpommern tätig.
       Derzeit ist er vom Dienst suspendiert. Er steht seit Ende November
       [1][wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz], das Kriegswaffenkontrollgesetz
       und das Sprengstoffgesetz vor dem Landgericht Schwerin, weil er
       widerrechtlich Waffen und Munition beschafft und gelagert haben soll. 42
       Minuten hat die Staatsanwältin gebraucht, um die Liste mit den Patronen,
       Pistolen, Gewehren und Sprengkörpern vorzulesen, die G. bei sich gehortet
       haben soll, darunter rund 55.000 Schuss Munition, auch solche für
       Kriegswaffen.
       
       [2][Nach Recherchen der taz] ist Marko G. eine der Schlüsselfiguren des
       Hannibal-Netzwerks, bestehend aus bundesweit mehreren Chatgruppen, die von
       einem damaligen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte ins Leben gerufen
       wurden, um sich auf einen „Tag X“ vorzubereiten. Für manche der Prepper war
       das eine Naturkatastrophe, andere glauben, sich vor Geflüchteten schützen
       zu müssen. Marko G. administrierte unter anderem die Gruppe Nordkreuz.
       Gegen zwei ihrer Mitglieder ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen
       Terrorverdachts, Marko G. zählt für die Ermittler in Karlsruhe bisher nicht
       als Tatverdächtiger.
       
       ## Die seltsamen Gesten des Angeklagten
       
       [3][Der Prozess in Schwerin] ist der bisher größte zum Hannibal-Komplex,
       aber Marko G.s Verstrickungen in das Netzwerk sind hier eigentlich nicht
       Thema. Die Staatsanwaltschaft hat die Rolle von Marko G. bei Nordkreuz und
       Nord.com aber mit in die Anklageschrift aufgenommen. Schließlich könnte die
       Vorbereitung auf den ominösen Tag X ein Motiv für das exzessive
       Waffensammeln sein.
       
       Der Staatsanwalt und die Staatsanwältin fragen den Kriminalbeamten im
       Zeugenstand, ob er einen Zusammenhang zwischen den Waffenermittlungen und
       den Chats sieht. Es sei von einem möglichen Krisenfall gesprochen worden
       „und dann ist die Frage, was man mit Krisenfall meint“, sagt er. „Wenn man
       Ausländer meint, dann kann man das in Zusammenhang sehen.“
       
       Das ist ein entscheidender Moment, das merken sie auch auf der Empore.
       Marko G. grüßt sie immer, vor Verhandlungsbeginn und am Ende, mal mit einer
       besonderen Geste – die rechte Hand auf die linke Brust und dann den Arm in
       weitem, gemessenem Schwung nach vorn –, mal, weil mit Handschellen
       gefesselt, beide Arme nach oben streckend. Von oben grüßen sie zurück. Wenn
       die Staatsanwältin Zeugen zu Patronen oder Waffen befragt, lachen sie. Die
       Alte habe ja keine Ahnung von nichts, tuscheln sie, oder auch mal: „Wenn
       die quatscht, könnte ich reinschlagen.“ Aber in dem Moment, als der Beamte
       über die Chats spricht, schauen sie einfach nur still nach unten.
       
       Dieser Moment zeigt, welchen Fragen der Prozess nachgehen könnte: Wie
       konnten sich Netzwerke von radikalisierten Männern in Polizei, Armee und
       anderen Behörden bilden und wie gefährlich sind sie? Handelt es sich um
       frustrierte Männer mit rassistischem Humor oder sind sie auf dem Weg,
       rechtsradikale Terroristen zu werden?
       
       Aber es geht in Schwerin allein um das Waffenarsenal von Marko G. Die
       dreiviertel Stunde der Stille geht vorbei wie eine Geistererscheinung.
       
       ## Marko G., der Waffennarr
       
       In den Tagen davor wurde stundenlang über Waffen und Patronen gesprochen
       und wo sie gefunden wurden, überall im Haus verteilt. Am zweiten
       Verhandlungstag hat sich Marko G. selbst zu Wort gemeldet. Er erzählte von
       der ersten Durchsuchung im August 2017, damals war er noch Zeuge. Wie er um
       vier Uhr aufgestanden sei, Schlafstörungen in der lauen Sommernacht. Also
       habe er damit begonnen, sein Auto mit Munition zu beladen, am Vormittag
       wollte er auf den Schießstand.
       
       Dann knurrte sein Hund. Einbrecher? Er habe im Flur seine Pistole in die
       Hand genommen, dann ein Blick durchs Fenster: Laserlicht,
       Maschinenpistolen, Beamte der GSG9. Also die Pistole auf den Boden. „Ich
       habe die Kollegen im Bruchteil einer Sekunde wahrgenommen, bevor sie mich
       wahrgenommen haben“, sagt er. „Wäre es umgekehrt gewesen, säße ich heute
       nicht hier.“
       
       Marko G. ist jemand, der sich mit Waffen auskennt wie wenige im Land.
       Selbst der Zuständige der Waffenbehörde im Landkreis fragte ihn regelmäßig
       um fachlichen Rat. Die beiden duzen sich.
       
       Der Beamte, seit 1991 in der Waffenbehörde, ist im grauen Anorak gekommen,
       er hat einen Ordner vor sich liegen. Auf viele Nachfragen kann er nicht
       antworten, er sei ja kein Sachverständiger. Jedenfalls kommt heraus, dass
       er den Bescheid über den endgültigen Entzug der Waffenberechtigung mit fast
       zweijähriger Verzögerung erst im September 2019 hat zustellen lassen. Und
       dann: Die Erlaubnis zum Kauf von Munition hat er Marko G. bisher gar nicht
       entzogen. Er werde da jetzt, murmel, murmel, mal einen Bescheid ausstellen.
       
       Ein Waffenexperte baut am dritten Verhandlungstag eine Uzi-Maschinenpistole
       auseinander und wieder zusammen. Polizisten fanden sie bei der zweiten
       Hausdurchsuchung im Juni 2019 in einem Metallkoffer. Im Jahr 1993 war sie
       bei der Bundeswehr gestohlen worden. G. will sie nach einer Waffenmesse auf
       einem dunklen Parkplatz gekauft haben, als Sammler. „Leider siegte meine
       Faszination für Waffen und sicher auch meine Abenteuerlust“, heißt es in
       seiner Aussage. Zudem: Als Präzisionsschütze sei er gar nicht daran
       interessiert, mit einer Uzi zu schießen. Präzisionsgewehre haben die
       Ermittler bei ihm nicht gefunden.
       
       Es klackt und klickt, als die Waffenteile einrasten. Es soll geklärt
       werden, ob man mit der Maschinenpistole einfach so hätte schießen können
       oder ob da ein Bauteil zwischen Lauf und Schalldämpfer stecken müsste,
       welches Marko G. nicht hatte. Dafür war eine Schraubenmutter im Koffer, die
       den gleichen Zweck erfüllt. „Kann man sich das Ding auch einfach im
       Baumarkt kaufen? Also die Mutter, nicht die Uzi“, sagt der Vorsitzende
       Richter und lacht.
       
       ## Fragen, die nicht gestellt werden
       
       Die Staatsanwaltschaft agiert oft so, als wolle sie Marko G. unbedingt
       drankriegen, wisse aber nicht genau, wie sie das anstellen soll. Den
       Polizisten, der die Kommunikation ausgewertet hat, befragt sie hart nach
       den Gründen dafür, wieso er nach Hitler-Bildern und rassistischen
       Nachrichten gesucht hat. Diese Hartnäckigkeit wäre auch bei der Befragung
       von Marko G. interessant gewesen. In dessen Aussagen gab es durchaus
       Widersprüche.
       
       So behauptet Marko G., er habe zunächst nicht gewusst, worum es sich bei
       dem „Mehmet-Turgut-Pokal“ handle. Turgut, das zur Erinnerung, wurde am 25.
       Februar 2004 vom rechtsterroristischen NSU in Rostock mit drei Kopfschüssen
       getötet. G. gewann also einen nach diesem Mann benannten Pokal beim
       Schießen mit dem Luftgewehr, es war der Geburtstag eines ihm bekannten
       Anwalts, den die Bundesanwaltschaft als rechtsextremen Terrorverdächtigen
       führt.
       
       Als er begriffen habe, was er da gewonnen hatte, habe er die Trophäe
       vernichtet, sagt Marko G. Der Beamte, der seine Chats ausgewertet hat,
       berichtet aber von Nachrichten vor dem gemeinsamen Schießen, in denen beim
       Thema Pokal von einem „bedauernswerten Südländischen“ die Rede ist, den es
       „vor nicht allzu langer Zeit in unserer schönen Hansestadt dahingerafft
       hat“.
       
       ## Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu erwarten
       
       Marko G. behauptet, seine Chatgruppen seien unideologisch. Auch die Gruppe
       „Vier gewinnt“, in der einer der beiden terrorverdächtigen
       Nordkreuz-Mitglieder aktiv war, auch er Polizist. Nach Bewertung der
       Bundesregierung allerdings manifestiert sich bei den Beteiligten eine
       „gefestigte rechtsextremistische Einstellung“.
       
       Auch bei den sogenannten Safe Houses hätte man nachhaken können. Diese
       Orte, an denen Vorräte, Waffen und Munition gelagert werden sollten, seien
       „eher ein Gedankenspiel“ gewesen, heißt es in der Einlassung des
       Angeklagten. In den Chats wurde aber explizit auf das „Safe House Nord“
       hingewiesen und darauf, dass es dort sehr viel Platz für „Mun und Mat“
       gebe, was wohl für Munition und Material steht. Es ist auch von einem
       bereits bestimmten Safe-House-Führer die Rede. Wirklich nur ein
       Gedankenspiel?
       
       Solche Fragen werden in Schwerin wohl nicht mehr beantwortet werden. Die
       ursprünglich acht Verhandlungstage hat das Gericht auf fünf verkürzt, am
       heutigen Mittwoch sollen bereits die Plädoyers vorgetragen werden, am
       Donnerstag soll das Urteil fallen. Marko G. kann eine Freiheitsstrafe ohne
       Bewährung erwarten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollten sich vor
       Prozessbeginn auf zwei Jahre einigen, doch der Deal scheiterte. Seine
       Freunde, so ist auf der Empore zu hören, planen schon für die Zeit nach der
       Haft. Waffen werde der Marko jetzt wohl selbst erst einmal nicht mehr
       besitzen dürfen, aber als Ausbilder in einer Schule für private
       Sicherheitsleute zum Beispiel, da könne man sich ihn durchaus vorstellen.
       
       17 Dec 2019
       
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