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       # taz.de -- Streit über Stadion-Umbau: Bangen um die heiligen Tannen
       
       > Der geplante Umbau des Traditionsstadions „Sander Tannen“ in
       > Hamburg-Bergedorf verärgert den Verein und linke Fans.
       
   IMG Bild: Die Fans des „Anhängerclubs ASV Bergedorf 85“ fürchten um die Stehplätze im Traditionsstadion
       
       Hamburg taz | Wenn der Ultra Malo über die Sportstätte seines Vereins ASV
       Bergedorf 85 spricht, kommt er ins Schwärmen. „So eine Art Stadion gibt es
       kaum noch“, sagt er. Der 38-jährige ist der Vorsänger des „Anhängerclubs
       ASV Bergedorf 85“, der multifunktional „ACAB“ abgekürzt wird. Das Stadion
       Sander Tannen betrachtet er als „Wohnzimmer“. „Ganz Hamburg hasst die AfD“
       skandiert die UItragruppe an Spieltagen oft ins relativ leere Rund – eine
       linke Positionierung, die auf Bezirksligaplätzen nicht alltäglich ist. Die
       Vorstellung, dass aus den Sander Tannen eine identitätslose Sportanlage
       werden könnte, ist für Malo „der Horror“.
       
       Doch der Umbau ist geplant – wie an so vielen Spielstätten in Hamburg.
       
       Noch vor zwei Jahren brachte das österreichische Magazin Ballesterer
       immerhineine Titelgeschichte über den Hamburger Amateurfußball: Dort warte
       „eine ganze Welt darauf entdeckt zu werden“. Diese Welt aber ist ärmer
       geworden in den vergangenen zehn Jahren.
       
       Auf dem früheren Gelände des imposanten Marienthalstadions des SC Concordia
       beispielsweise entstehen heute Luxus-Immobilien, auch der
       Wilhelm-Rupprecht-Platz in Barmbek-Uhlenhorst musste Wohnungen weichen.
       Gleiches blüht der legendären Adolf-Jäger-Kampfbahn von Altona 93, die neu
       gebaut werden soll.
       
       ## Stehtribünen sollen weg
       
       Und nun ist eben auch die Zukunft des traditionsreichen Stadions Sander
       Tannen ungewiss. Knapp 60 Jahre nach seiner Einweihung will der Bezirk
       Bergedorf, dem das sanierungsbedürftige Stadion gehört, dort für die
       benachbarte Stadtteilschule Bergedorf eine 100-Meter-Laufbahn sowie weitere
       Leichtathletikanlagen errichten. Der ASV begrüßt das, er findet, dass diese
       sich gut in das bestehende Fußball-Stadion integrieren lassen.
       
       Der Bezirk allerdings will im Zuge der Baumaßnahmen die Stehtribünen
       „zuschütten“ und „begrünen“. Im September drohte kurzzeitig ein
       De-facto-Abriss – und die Reduzierung des Fassungsvermögens auf 150
       Zuschauer. Eine halbe Million Euro steht dafür aus dem Rahmenprogramm
       Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) und der Sanierungsoffensive
       Sportstätten bereit.
       
       Für Malo sind die Pläne ein Problem. Der Amateurfußball lebe von solchen
       alten Stadien, nur so sei er attraktiv für Fans, die vom
       durchindustrialisierten Profifußball die Nase voll haben. In der
       ASV-Ultra-Gruppe, die locker mit dem örtlichen Jugendzentrum Café Flop
       verbunden ist, gebe es viele solcher „Fußball-Nostalgiker“.
       
       Argumente bietet ihnen auch der Stadionhistoriker Werner Skrentny. Der
       schreibt in seinem Standardwerk „Das große Buch der deutschen
       Fußball-Stadien“: „Bemerkenswert“ sei „der 20 Stufen hohe Stehwall“, der
       „für Plätze dieses Zuschnitts außergewöhnlich“ sei.
       
       Solche Argumente goutiert Bezirksamtschef Arne Dornquast (SPD) eher nicht.
       Womöglich erkläre bald noch jemand das Stadion „zur Geburtsstätte des
       kontinentaleuropäischen Fußballs“, spottet er.
       
       Doch nicht nur die Ultras, auch der Verein selbst ist not amused über die
       Pläne und zudem über den Kommunikationsstil des Bezirksamts verärgert. So
       schickte ein Mitarbeiter an einem Freitag um 19 Uhr eine Mail mit der
       Aufforderung, innerhalb von drei Wochen Vorarbeiten für die baulichen
       Maßnahmen zu erledigen – und entschwand dann in den Urlaub. Für drei
       Wochen.
       
       Dornquast gibt zu, dass die „Kommunikation von unserer Seite nicht optimal“
       gelaufen sei. Am 9. Januar will er sich mit dem Verein zusammensetzen und
       „etwas Besseres“ präsentieren, „als wir ursprünglich geplant hatten“.
       
       Der ASV spielt derzeit in der 7. Liga vor 100 Zuschauern. Ende der 1950er
       Jahre gehörte er der höchsten Spielklasse (Oberliga) an. In den 1960er
       Jahren kamen – in der damals zweitklassigen Regionalliga – Tausende
       Zuschauer pro Spiel. Ein Höhepunkt der Stadiongeschichte: ein
       DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern 1982, in dem der ASV bis zur letzten
       Minute der regulären Spielzeit mit 1:0 führte.
       
       ## „Sporthistorischer Wert“
       
       Für einen Bergedorfer seien „die Sander Tannen heilig – auch wenn er kein
       ASVer ist“, sagt der SPD-Politiker Gert Kekstadt, der für den Wahlkreis
       Bergedorf in der Bürgerschaft sitzt. Die Anlage habe „auf jeden Fall einen
       sporthistorischen Wert“. Der 56-Jährige spielt beim ETSV Hamburg in der
       Supersenioren-Mannschaft. „Als Fußballer“ beeindrucke ihn „das Flair“, sagt
       er. „Als Politiker“ habe er aber noch einen anderen Blick. Der
       „Instandsetzungsbedarf“ sei „augenfällig“.
       
       Diesen Zustand wiederum habe „der Bezirk wegen mangelnder Pflege selbst
       verschuldet“, schreibt der Bergedorfer CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dennis
       Gladiator in einer Kleinen Anfrage an den Senat zum Thema „Rückbau von
       Sportstätten in Bergedorf“ vom 28. November. Spätestens damit ist die
       Bergedorfer Stadionfrage zum Politikum geworden.
       
       Was Dornquast dem Verein im Januar konkret präsentieren wird, möchte er
       nicht verraten. SPD-Politiker Kekstadt rechnet „mit einer Lösung, mit der
       der Verein ganz zufrieden sein wird“. Eine tribünenlose Anlage wäre für den
       ASV aber „kein gutes Ergebnis“. In jedem Fall habe er versprochen, zu
       vermitteln. Auch Kekstadt möchte bei der Wahl am 23. Februar schließlich
       wieder in die Bürgerschaft einziehen.
       
       30 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
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