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       # taz.de -- UN-Flüchtlingspolitik 2019: Ein schlechtes Jahr
       
       > Das UN-Hochkommissariat hat sich den verbesserten Schutz der Flüchtlinge
       > weltweit auf die Fahnen geschrieben. Die Realität hingegen ist
       > deprimierend.
       
   IMG Bild: Flüchtlingskinder hinter einem Zaun im Nizip-Flüchtlingslager in Gaziantep (Türkei)
       
       Genf taz | Der Schutz von Flüchtlingen und ihr Zugang zu Arbeit, Ausbildung
       und Gesundheitsversorgung sollen verbessert, die Verantwortung und Kosten
       für ihre Aufnahme und Versorgung gerechter verteilt werden zwischen reichen
       und armen Ländern und Weltregionen. So [1][steht es im „Global
       Flüchtlingspakt“], den 181 der 193 UN-Staaten Mitte Dezember 2018
       beschlossen hatten. Doch die realen Entwicklungen im Jahr 2019 verliefen in
       die Gegenrichtung.
       
       Die weltweite Zahl der vom UN-Hochkommissariat (UNHCR) in Genf
       registrierten Auslandsflüchtlinge und Binnenvertriebenen stieg bis Ende
       November auf die Rekordzahl von fast 71 Millionen. Zu dem Anstieg hat
       wesentlich der Vertreibungs- und Vernichtungskrieg der Türkei gegen die
       Kurden in Nordsyrien beigetragen. Das UNHCR erhielt 2019 von den reichen
       Ländern des Nordens (Nordamerika, Europa, Australien) lediglich 55.000
       statt der dringend benötigten 1,4 Millionen Aufnahmeplätze zur Umsiedlung
       von [2][Flüchtlingen aus unsicheren Erstaufnahmeländern] im Süden (darunter
       Libanon, Jordanien, Pakistan). 2016 waren es noch 126.000 Plätze.
       
       Statt der für die Versorgung der Geflüchteten im Jahr 2019 erforderlichen
       10 Milliarden US-Dollar bekam das UNHCR von den UN-Staaten bis Ende
       November nur 4 Milliarden. 2020 soll nun alles besser werden. Diese frohe
       Botschaft kurz vor Weihnachten verkündete das UNHCR nach dem ersten
       „Globalen Forum“ zur Umsetzung des Flüchtlingspakts, zu dem 3.000
       VertreterInnen von Regierungen, Unternehmen und humanitären Organisationen
       vergangene Woche in Genf zusammenkamen.
       
       Das Forum habe „eine entscheidende Wende in der internationalen
       Flüchtlingshilfe gebracht“, jubelte das UNHCR, mit „verbindlichen
       Finanzzusagen über 7,7 Milliarden US Dollar – darunter allein 4,7
       Milliarden von der Weltbank – sowie 770 weitere Verpflichtungserklärungen
       für eine verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen und für ihre vereinfachte
       Integration durch verbesserte Zugangsmöglichkeiten zu Beschäftigung und
       Ausbildung.“
       
       ## Handelt es sich um frisches Geld?
       
       Doch zunächst bleiben [3][Skepsis und Fragen, insbesondere mit Blick auf
       das versprochene Geld]. Handelt es sich bei den zugesagten 7,7 Milliarden
       US-Dollar um frisches Geld? Also um Geld, das nicht zuvor anderweitig
       zugesagt wurde? Oder um Mittel, die jetzt aus anderen Haushaltsetats – zum
       Beispiel aus der Entwicklungszusammenarbeit – in das Budget für
       Flüchtlingshilfe umgeschichtet werden?
       
       Dieser auch durch die Erfahrungen mit früheren Geberkonferenzen begründete
       Verdacht wird bestätigt durch eine „Meldung zur Klarstellung“, die das
       UNHCR inzwischen verbreitete. Danach sollen 2,5 Milliarden Dollar der
       insgesamt 4,7 Milliarden US-Dollar, die die Weltbank zugesagt hat,
       verwendet werden „zur Förderung der Privatwirtschaft und zur Schaffung von
       Arbeitsplätzen sowohl für Flüchtlinge wie für die einheimische
       Bevölkerung“. Die weiteren 2 Milliarden sollen „in den nächsten drei Jahren
       zur Verfügung stehen für Flüchtlinge und Einheimische in Ländern mit
       geringem Einkommen“.
       
       Das klingt zumindest zum Teil eher nach traditioneller Entwicklungshilfe
       der Weltbank. Ob die auf dem Forum gemachten Versprechen reicher Staaten
       zur verstärkten Übernahme von Flüchtlingen aus unsicheren
       Erstaufnahmeländern auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Die EU hat
       laut der Erfolgsmeldung des UNHCR die zusätzliche Aufnahme von 30.000
       Menschen zugesagt. Diese Zusage steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass
       sich die 28 EU-Mitglieder zuvor auf die Verteilung dieser Flüchtlinge
       einigen. Entsprechende Vereinbarungen oder ihre Umsetzung werden aber nach
       wie vor von den osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, der Slowakei und
       Tschechien blockiert.
       
       Zu den 770 verbindlichen Zusagen, die laut der Erfolgsmeldung des UNHCR auf
       dem Forum gemacht wurden, gehören auch zahlreiche Versprechen von
       Wirtschaftsunternehmen, kurzfristig Ausbildungs- und Arbeitsplätze für
       Flüchtlinge anzubieten. Diese Versprechen wären relativ leicht zu
       überprüfen. In zwei Jahren will die UNO eine Zwischenbilanz ziehen. Sollte
       sich dann herausstellen, dass auch nur die Hälfte der über 770
       verbindlichen Zusagen aus der Erfolgsmeldung des UNHCR umgesetzt wurden,
       wäre das bereits ein großer Fortschritt.
       
       23 Dec 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Zumach
       
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