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       # taz.de -- Frauenhäuser im Berliner Doppelhaushalt: Fatales Misstrauen
       
       > Es rumort gewaltig: Das Land Berlin wird zwar mehr Geld für Opfer
       > häuslicher Gewalt ausgeben. Aber völlig an der Praxis vorbei, so die
       > Akteurinnen.
       
   IMG Bild: Mitarbeiterinnen der Frauenhilfeprojekte demonstrierten Ende November für mehr Frauenhausplätze
       
       Zugegeben: Im folgenden, politisch heiß umkämpften Konflikt verliert man
       leicht den Überblick. Und vergisst dabei, dass es um Frauen in absoluten
       Notlagen geht. Um Frauen und Kinder, die von ihrem Partner und Vater
       geschlagen und gedemütigt werden und die nicht morgen oder übermorgen Hilfe
       und Obdach brauchen, sondern sofort.
       
       Die Schutzplätze für diese Frauen reichen bei Weitem nicht aus, sagen
       Akteurinnen der Frauenselbsthilfe. Sie sagen es seit Jahren. In der
       zuständigen Senatsverwaltung für Gleichstellung unter Senatorin Dilek
       Kalayci (SPD) sieht man das Kapazitätsproblem dagegen nicht annähernd so
       dramatisch und stellt die Daten der Frauenhäuser zu Ablehnungen wegen
       Platzmangel in Frage. Deshalb steht im neuen Doppelhaushalt nicht die
       Finanzierung der geforderten Anzahl an Frauenhausplätzen, sondern einer
       umstrittenen Clearingstelle.
       
       Die Senatsverwaltung verweist auf eine Auslastung der Frauenhäuser unter 90
       Prozent. Dass die Einrichtungen keine hundertprozentige Auslastung haben
       und trotzdem fast immer voll belegt sind, hat nach Auskunft der
       Frauenhäuser verschiedene Gründe: Etwa, dass Mehrbettzimmer nicht mit
       mehreren Familien belegt werden können. Da es sich bei Frauenhäusern um
       eine Versorgung in Notsituationen handelt, dürfte eine andere Frage ohnehin
       viel entscheidender sein: Wie viele Frauen müssen aus Kapazitätsgründen
       abgewiesen werden?
       
       ## Notfall-Hotline: Kein Platz für die Hälfte der Hilfesuchenden
       
       Der Senatsverwaltung werden dazu nach eigenen Angaben monatlich Daten der
       BIG-Hotline als zentrale telefonische Anlaufstelle für gewaltbetroffene
       Frauen geliefert. „In diesem Jahr konnten wir in keinem einzigen Monat mehr
       als die Hälfte der hilfesuchenden Frauen auf einen freien Schutzplatz
       vermitteln, im Oktober waren es sogar weniger als 20 Prozent“, sagt Doris
       Felbinger von BIG. Erfasst würden dabei die Erstanruferinnen, die nicht
       vermittelt werden können.
       
       Aus der Senatsverwaltung heißt es zu den Daten: „Diese Angaben sind für uns
       nicht überprüfbar.“
       
       Die Frauenhäuser fordern eine Aufstockung der Frauenhausplätze entsprechend
       der europäischen [1][Istanbul-Konvention], die 2018 in Deutschland in Kraft
       getreten ist. Rund 940 sofort zugängliche, anonyme Schutzplätze für
       gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder wären dann der aktuelle Richtwert
       für Berlin. Frauenhausplätze gibt es derzeit nur 301, 2021 sollen es nach
       den Plänen im Doppelhaushalt 371 sein. Die Senatsverwaltung verweist stets
       auf eine viel höhere Zahl von verfügbaren Schutzplätzen, nämlich aktuell
       729 und geplanten 827 bis zum Jahr 2021. Sie rechnet aber neben den
       Frauenhäusern auch Schutzwohnungen mit ein, die laut Praxis gar nicht
       sofort, sondern beispielsweise erst nach Klärung der Sozialbezüge der Frau
       zugänglich sind.
       
       Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass auch längst nicht
       alle Frauenhausplätze sofort zugänglich im Sinne der Istanbul-Konvention
       sind – etwa weil sie nicht barrierefrei sind oder eine Nachtbereitschaft
       fehlt. Insofern könnte das neue Vorzeigeprojekt der Senatsverwaltung, eine
       rund um die Uhr geöffnete Clearingstelle als zentrale Anlaufstelle für
       schutzsuchende Frauen mit 15 Kurzzeitplätzen zur sofortigen Aufnahme, eine
       sinnvolle Neuerung sein. Von dort sollen die Frauen nach wenigen Tagen an
       andere Schutzplätze weitervermittelt werden. 550.000 Euro sind dafür im
       Doppelhaushalt eingestellt.
       
       Die Clearingstelle sei angesichts des Bedarfs völlig unterdimensioniert und
       kann das Problem der fehlenden Frauenhauskapazitäten nicht lösen, heißt es
       dazu von den Vertreterinnen der Frauenhilfeprojekte. Sie fordern die
       gemeinsame Erarbeitung eines tragfähigen Gesamtkonzeptes. Die
       Senatsverwaltung aber will erst einmal abwarten, welcher tatsächliche
       Bedarf an Schutzplätzen sich aus der Arbeit der Clearingstelle ergibt.
       
       Nun ist es gewiss nicht ungewöhnlich, dass Praxis und Verwaltung einen
       Bedarf in Nuancen unterschiedlich bewerten. Aber in dieser Dimension?
       
       Für Frauen, die jetzt Schutz suchen, sagt Stefanie Föhring vom Team des 2.
       Autonomen Frauenhauses, sei das Misstrauen jedenfalls fatal.
       
       10 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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