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       # taz.de -- Neues Charles-Bukowski-Buch: Vor jeder Lesung gekotzt
       
       > Bislang unveröffentlichte Texte des „Dirty Old Man“ der US-Literatur:
       > Über den Band „Ein Dollar für Carl Larsen“ von Charles Bukowski.
       
   IMG Bild: Gelegentlich auch mal bedingt kompromissbereit: Charles Bukowski, 1978
       
       Allem Gerede vom einsamen Wolf zum Trotz hatte Charles Bukowski
       literarische Verbündete. Dazu zählten etwa die Schriftsteller Steve
       Richmond, Al Purdy, William Wantling und nicht zuletzt Douglas Blazek, der
       Bukowski und anderen mit seiner auflageschwachen, aber einflussreichen
       Undergroundzeitschrift Ole' eine Plattform bot.
       
       [1][Bukowski] unterstützte seine Leute mit lobenden Kritiken und Vorworten,
       er betrachtete sich als Teil einer „Poetischen Revolution“ gegen die
       etablierte Dichtung, die nun endlich „die Muse auf die Tellerwäscher,
       Tankwarte, Bauern, Betrüger, Traubenpflücker, Landstreicher und
       Fabrikarbeiter losgelassen“ hätte.
       
       Bukowski propagierte dabei eine unakademische und unelitäre Literatur, eine
       Literatur von unten, die in den bürgerlichen Publikationen damals kaum eine
       Rolle spielte. Er und seine Mitstreiter mussten sich schon selbst helfen
       und eigene Zeitschriften gründen.
       
       Dabei profitierten sie von den technischen Neuerungen auf dem Druckmarkt.
       Mit Matritzen-Kopierern ließen sich relativ preisgünstig und schnell Hefte
       von ein paar hundert Exemplaren herstellen. Sie sahen oft schäbig aus,
       billig, improvisiert, aber sie erfüllten ihren Zweck, indem sie die
       gewünschte Gegenöffentlichkeit herstellten.
       
       Als „Mimeo Revolution“, benannt nach der Vervielfältigungsmethode der
       Mimeografie, ist diese Bewegung in die US-Literaturgeschichte eingegangen.
       Dank der nun erschienenen Textsammlung „Ein Dollar für Carl Larsen“ kann
       man Bukowskis Bezug zu jener literarischen Off-Kultur bestens
       nachvollziehen.
       
       ## Im Würgegriff des Zeitgeists
       
       Denn dieser Szene fühlte er sich zugehörig, obwohl sie ihm bisweilen
       unglaublich auf den Geist ging, weil sich seiner Meinung nach so viele
       Nichtskönner darin tummelten. Die Herausgeber reagierten zu langsam oder
       überhaupt nicht, schickten abgelehnte Texte trotz frankiertem Rückumschlag
       nicht zurück und verloren schnell ihren oppositionellen Drive.
       
       Sie „legen oft einen guten Start hin“, konstatiert er in seiner polemischen
       Bestandsaufnahme „Die Minipresse in Amerika“, „aber meistens dauert es
       nicht lange, bis sie nicht mehr das sind, was sie mal waren, weil sie sich
       der Meinung anderer Herausgeber, Kritiker, Leser, Schreiber, Drucker,
       Straßenbahnschaffner, Freundinnen, Universitätsbibliothekaren, Eunuchen,
       Wahrsager, Abonnenten, Punks, Dilettanten, Clowns, Ahnenforscher und all
       dem Dampf und Gestank und dem Würgegriff des Zeitgeists beugen müssen, der
       ihnen vorschreibt, was sie zu tun haben. Und irgendwann ist dann aus so
       einer Literaturzeitschrift ein Vorzimmer für Teetrinker geworden.“
       
       Dennoch hat er den Zeitschriften-Underground weiterhin beliefert, auch als
       er bereits gegen Honorar in Tittenheften, Illustrierten und Tageszeitungen
       wie der [2][L.A. Free Press] publizierte.
       
       Der Band „Ein Dollar für Carl Larsen“ enthält bislang größtenteils
       unübersetzte Stories, Reportagen, Vorworte, Rezensionen und Interviews aus
       den Jahren 1961 bis 1974, der mittleren Werkphase also, in der aus Bukowski
       langsam ein professioneller Schriftsteller wurde. Das Buch dokumentiert
       sehr schön, wie er an der Konsolidierung und Selbstverständigung der Szene
       strategisch mitwirkte und sich trotzdem seine Unabhängigkeit und
       schriftstellerische Integrität zu bewahren suchte.
       
       Gelegentliche Kompromisse nicht ausgeschlossen: So gab er nach der
       Demission bei der Post 1969 seine „splendid isolation“ auf und nahm
       schweren Herzens Lesungsangebote an. Die Tantiemen und Magazinhonorare
       sprudelten noch nicht so reich wie in der zweiten Hälfte der 70er Jahre –
       er musste Geld verdienen. Universitäten holten sich zudem gern einen bunten
       Hund wie ihn auf den Campus und zahlten ordentlich.
       
       ## Antrag abgelehnt
       
       In einer bislang wenig bekannten „Dirty Old Man“-Kolumne erzählt er von
       einem zweitägigen Lese-Trip, der ihm angeblich üppige 375 Dollar einbrachte
       (laut Inflationskalkulator mehr als 2.000 Dollar heute). „Ruckzuck
       verdientes Geld und hundert Prozent Vaudeville“, schreibt er. Der Text
       zeigt auch, wie schwer ihm solche öffentlichen Auftritte fielen: Er kotzte
       vor jeder Lesung.
       
       In einem der abgedruckten Interviews gibt er zu, dass er überhaupt erst
       „vier oder fünf“ Abende erlebt hat, die er als gelungen bezeichnen würde.
       Dabei war er doch ein ziemlich guter Entertainer, es gelang ihm, die Figur
       des dreckigen alten Mannes auf der Bühne mit Leben zu füllen, weil er die
       Sache ernst nahm. „Ich habe schon viele dieser Dichter erlebt: sie haben
       nur das Geld kassiert, sich hingestellt und den Heiligen gemimt. Wenn man
       sich schon prostituiert, dann sollte man auch eine gute Prostituierte
       abgeben.“
       
       In den hier versammelten Texten zeigt sich einmal mehr Bukowskis
       Souveränität als Autor. Er verstellte sich nie, redete keinem nach dem
       Mund. Sogar im Bewerbungsschreiben für ein Guggenheim-Stipendium lieferte
       er keine Antragslyrik, sondern die übliche unverfrorene – von Esther
       Ghionda-Breger zupackend übersetzte – Klartextprosa. Er wurde natürlich
       abgelehnt.
       
       22 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Schäfer
       
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