URI: 
       # taz.de -- Deutsche Ein-China-Politik: Taiwan hui, China pfui
       
       > Ein Rostocker Rentner mischt mit einer Petition an den Bundestag die
       > deutsche Ein-China-Politik auf, indem er die offizielle Anerkennung
       > Taiwans fordert
       
   IMG Bild: Taiwans Demokratie lebt: Am 11. Januar will Präsidentin Tsai Ing-wen (Mitte) wiedergewählt werden.
       
       BERLIN taz | „Das Auswärtige Amt verbreitet die Mär, die Taipeh-Vertretung
       hätte mich vorgeschickt. Das stimmt aber nicht. Ich kannte vor meiner
       Petition überhaupt keine Taiwaner in Deutschland.“ Das sagte der
       pensionierte Rostocker Meeresbiologe Michael Kreuzberg (71) zu seiner
       chinakritischen Petition, die der Petitionsausschusses des Bundestags
       verhandelt hat.
       
       Kreuzberg war 2018 privat nach Taiwan (offiziell: Republik China) gereist
       und von der lebendigen Demokratie dort sehr angetan. Als früherer
       DDR-Bürger mit eigener Diktaturerfahrung ärgerte er sich, dass Deutschland
       durch seine Ein-China-Politik die diktatorische Volksrepublik China
       anerkennt, aber nicht das kleine Taiwan. Dieses sieht Peking als abtrünnige
       Provinz und [1][droht mit gewaltsamer Wiedervereinigung].
       
       Kreuzberg fordert mit einer Petition beim Bundestag die diplomatische
       Anerkennung Taiwans und mischt damit die Ein-China-Politik der
       Bundesregierung und aller anderen EU-Staaten auf. Nach dieser Politik kann
       es volle diplomatische Beziehungen nur mit China oder Taiwan geben. In
       Europa hält nur noch der Vatikan zu Taiwan.
       
       Zu seiner eigenen Überraschung bekam Kreuzberg in kurzer Zeit die
       benötigten 50.000 Unterschriften zusammen. Dabei halfen auch Unterschriften
       von Taiwanern, was nach deutschem Recht legal ist, und sicher half auch
       Chinas derzeit sehr schlechtes Image wegen [2][Pekings harter Haltung in
       Hongkong] und der [3][Masseninternierungen der Uiguren] in Xinjiang.
       
       ## Die Petition sollte zunächst nicht öffentlich werden
       
       Der unabhängig agierende Ausschussdienst des Bundestages folgte zunächst
       der Argumentation des Auswärtigen Amtes und empfahl aus Sorge um das
       Verhältnis zu Peking eine Nichtveröffentlichung der Petition. Doch
       Kreuzberg ließ nicht locker. Er schaltete die Fraktion der Grünen ein, und
       schließlich votierten alle Fraktionen für öffentliche Befassung. Kreuzberg
       ist seitdem für die Taiwaner ein Held und wird von der Taipeh-Vertretung,
       der inoffiziellen Botschaft in Berlin, unterstützt.
       
       Am Montag durfte er dann seine Forderung, die trotz der geringen
       Erfolgsaussichten für Nervosität im Auswärtigen Amt gesorgt haben dürfte,
       im Petitionsausschuss vortragen. „Es geht darum, eine Demokratie vor dem
       Zugriff einer Diktatur zu bewahren,“ erklärte er. Die westlichen
       Demokratien müssten ein Interesse haben, Taiwan zu schützen.
       
       Zu seiner Unterstützung hatte er die aus Taiwan stammende Frankfurter
       Rechtsanwältin Pey-Fen Fuh mitgebracht, die zugleich dem Weltverband der
       Taiwaner vorsteht. Sie sagte: „Die Ein-China-Politik stammt aus dem Kalten
       Krieg.“ Für Kreuzberg und Fuh trägt die Anerkennung Taiwans zum Frieden in
       der Region bei. „Deutschland braucht eine China-Politik und eine
       Taiwan-Politik,“ forderte Fuh.
       
       Die Bundesregierung wurde bei der Anhörung von der Leiterin der
       Asien-Pazifik-Abteilung des Auswärtigen Amtes vertreten. Sie verteidigte
       Berlins Ein-China-Politik, die nur wenige „souveränitätsrelevante“ Kontakte
       verbiete. Ansonsten lobte sie aber wiederholt das sehr gute Verhältnis zu
       Taiwan, das auch unterhalb der Ebene offizieller diplomatischer Beziehungen
       noch weiter ausgebaut werden könne.
       
       ## Auswärtiges Amt lobt ausdrücklich Taiwans Demokratie
       
       Sigmund lobte auch ausdrücklich Taiwans erfolgreiche Demokratisierung:
       „Taiwan ist für uns in vielen Bereichen ein Wertepartner“. Doch sei für die
       Bundesregierung Taiwan klar ein Teil Chinas. Sie sagte allerdings nicht,
       „ein Teil der Volksrepublik China“ wie Peking es gern hören würde und
       zumindest jetzt schon so verstehen will.
       
       Doch Fuh und Kreuzberg regten sich bereits über Sigmunds Äußerung auf. „Die
       Voksrepublik hat nicht einen Tag Taiwan regiert,“ sagte Fuh empört.
       Vielmehr gehörte Chinas Festland vor 1949, als die im Bürgerkrieg
       unterlegene Nationalistische Partei (Guomindan) mit ihren Truppen vor Maos
       Kommunisten auf die Insel Taiwan floh, zur 1911 gegründeten Republik China.
       Lange hatte auch Taiwan einen Alleinvertretungsanspruch für China, der
       heute den meisten Taiwanern fremd ist.
       
       Sigmund warnte vor einer Anerkennung Taiwans. Denn dies würde die
       Beziehungen zu Peking „schwer belasten“. Zunächst nannte sie China einen
       „strategischen Partner“ Deutschlands, später wurde sie präziser in der
       Beschreibung des Dilemmas: Peking sei „Partner, Wettbewerber und
       strategischer Rivale“. Aber ohne eine Zusammenarbeit mit China seien
       wichtige Fragen wie etwa der Klimawandel nicht zu lösen.
       
       ## 2019 ist nicht mehr 1971
       
       Die Bundesrepublik Deutschland hatte erst 1972 die Volksrepublik China
       offiziell anerkannt. Zuvor war 1971 die Republik China, die ein
       Gründungsmitglied der UNO war, ausgeschlossen und die Volksrepublik China
       in die Weltorganisation aufgenommen worden. Seitdem – so manche Stimme im
       Ausschuss – habe sich die Welt aber weiter entwickelt.
       
       Zugleich dürfte im Petitionsausschuss allen klar gewesen sein, dass es
       wegen der wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu China für Berlin sehr riskant
       wäre, würde Deutschland allein vorpreschen und Taiwan anerkennen.
       
       Kreuzberg kündigte zudem an, als nächstes beim Europaparlament eine
       Petition einzureichen. Schließlich gibt es auch auf europäischer Ebene
       Entwicklungen, die aufhorchen lassen. So beendete jüngst die tschechische
       Hauptstadt Prag ihre Städtepartnerschaft mit Peking und nahm eine mit
       Taipeh auf.
       
       „Ich verstehe ja, dass der Bundesregierung bei China die Hände gebunden
       sind,“ erklärte der Grünen Abgeordnete Cem Özdemir. „Aber das muss ja nicht
       für den Bundestag gelten“. Er verwies auf die [4][Armenien-Resolution des
       Parlaments] von 2016, bei der die Abgeordneten gegen den Willen der
       Regierung votierten und damit die türkische Regierung empörten. Auch im
       Falle China dürfte das ein deutliches Signal sein.
       
       Der Ausschuss will erst zu einem späteren Zeitpunkt über die Petition
       abstimmen.
       
       9 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /China-will-Taiwan-zurueck/!5559936
   DIR [2] /Proteste-gegen-die-Regierung/!5610869
   DIR [3] /China-und-die-Uiguren/!5642452
   DIR [4] /Streit-um-Armenien-Resolution/!5333113
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
       ## TAGS
       
   DIR Taiwan
   DIR China
   DIR Bundestag
   DIR Menschenrechte
   DIR China
   DIR Gender
   DIR Präsidentschaftswahl Taiwan
   DIR Taiwan
   DIR Kolumne Chinatown
   DIR Homosexualität
   DIR Taiwan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Diplomatischer Streit eskaliert: China sieht in Litauen rot
       
       China beruft seinen Botschafter aus Litauen ab und weist Vilnius’ Vertreter
       aus. Es geht um ein neues Handelsbüro Taiwans in Litauen.
       
   DIR Trans Ministerin über Taiwan: „Ich erteile keine Befehle“
       
       Als erste trans Ministerin weltweit: Audrey Tang war Programmiererin, bevor
       sie sich überreden ließ, in Taiwan Digital-Ministerin zu werden.
       
   DIR Präsidentschaftswahl in Taiwan: Generation Freiheit
       
       Kurz vor der Wahl in Taiwan waren die Proteste in Hongkong das bestimmende
       Wahlkampfthema – zumindest unter jungen Demokratinnen.
       
   DIR Taiwan vor der Präsidentschaftswahl: Der Niedergang der Kuomintang
       
       Für das moderne China schufen die Kuomintang eine Grundlage. Maos
       Kommunisten vertrieben die Partei vom Festland. Nun droht in Taiwan ihr
       Niedergang.
       
   DIR Besuch in Taiwan: Junge Sorgen verbinden
       
       Das Leben in China, Taiwan und Deutschland mag auf den ersten Blick viele
       Unterschiede haben. Doch das Gemeinsame ist überdeutlich da.
       
   DIR Homo-Ehe in Taiwan: Die ersten Paare heiraten
       
       Vor einer Woche hat das Parlament in Taiwan per Gesetz die Ehe für
       Homosexuelle geöffnet. Nun haben sich mehrere Dutzend Paare trauen lassen.
       
   DIR Prozess gegen Aktivist Lee Ming-che: Von Taiwan aus Peking untergraben?
       
       Schauprozesse mit Zwangsgeständnissen sind in China an der Tagesordnung.
       Neu ist, dass dieses Vorgehen nun auch einen Hochschullehrer aus Taiwan
       trifft.